Diesmal ein paar mehr Informationen. Ursprünglich 2003 geschrieben, wurde diese Geschichte in der Anthologie "Deus ex machina" veröffentlicht. Später brachte ich sie auch im World of Cosmos und veröffentlichte sie auch unter meinen Geschichten auf Fanfiktion.de. Wie viele meiner älteren Geschichten habe ich ihr keine Überarbeitung gegönnt, sondern sie einfach gepostet.
Heute erreichte mich eine recht kritische Stimme von meiner Briefbekanntschaft Uwe Lammers vom SFCBW, der das Fanzine Baden-Württemberg Aktuell herausgibt, wobei er mir sagte, ich hätte zuviel Potential verschwendet und die Geschichte hätte eigentlich acht oder zehn Seiten lang sein müssen. Nun, für mich war sein Brief zumindest Ansporn genug, um mich heute mal hinzusetzen und die Fehler aus der Version auf FF.de rauszusuchen. Da ich vier verschiedene Versionen auf meiner Festplatte hatte, erschien mir das der gangbarste Weg zu sein. Damit habe ich das Potential noch immer nicht ausgeschöpft, zufrieden bin ich trotzdem. Viel Spaß mit der Kurzgeschichte wünsche ich. ^^
„Und hier sehen Sie die
Solarwind-Tänzer bei ihrer Arbeit!“ Die Stimme der Fremdenführerin
überschlug sich fast, als sie mit geröteten Wangen und einer weit
ausladenden Armbewegung durch die transparente Kuppel des
Touristenpendlers nach draußen deutete.
Draußen, das war die unmittelbare
Umgebung von SOLAR FIVE, dem Sonnenwindkraftwerk, welches die
Energieversorgung der Erde, des Mondes und der neun großen orbitalen
O´Neill-Kolonien sicherte.
„Die Oberfläche des Kollektors von
SOLAR FIVE beträgt zweihundert Quadratkilometer. Sie ist also um
einiges größer als St.Andrews, die mit zwei Kilometern Radius
neueste und größte O'Neill-Kolonie im Tausend Kilometer-Orbit um
die gute alte Erde.
Die Fläche muss so groß sein, um
genügend Partikel des allgegenwärtigen Sonnenwindes einzufangen.
Der Energiebedarf der Menschheit ist riesig, und dieses Kraftwerk
liefert sie.
Es ist eigentlich kaum vorstellbar,
dass eine zweihundert Quadratkilometer weite, aber nur wenige
hundertstel Millimeter dünne Kollektor-Folie dies bewerkstelligen
soll. Vor allem nicht, da die Folie extrem gefährdet ist, und zwar
von…“
Ein junges Mädchen hob eifrig die
Hand. Sie gehörte wie zwei Drittel der Passagiere des
Touristenbootes zu einer Schulklasse aus Shanghai, die zur SOLAR FIVE
ihren Tagesausflug machten. Die Kids liebten es, Dinge die eigentlich
jeder Mensch wusste, zu wiederholen.
„Von kosmischem Staub,
Mikrometeoriten, Weltraumschrott, mit dem unsere Vorfahren der
prästellaren Erde den Weltraum verschmutzt haben und von Trümmern
vom Mond, die bei Einschlägen von Meteoriten in den
Orbit geschleudert werden.“
„Richtig“, lobte die junge Frau.
„Und natürlich auch von teilweise gigantischen Meteoren und
Kometen, die unglücklicherweise die Mondbahn kreuzen und damit SOLAR
FIVE bedenklich nahe kommen. Erst letztes Jahr kam der Halleysche
Komet hier vorbei und passierte den Mond in lediglich zwanzigtausend
Kilometer Abstand. Die Besatzung von SOLAR FIVE hatte drei Monate
alle Hände voll zu tun, um die Staubpartikel und Trümmer
abzusammeln, die Halley hinter sich hergezogen hatte, bevor sie die
Kollektorfolie gefährden konnten. Und wer genau hat das gemacht?“
„DIE SOLARWIND-TÄNZER!“, riefen
die Kinder im Chor.
Die Touristenführerin lächelte.
„Richtig. Die Solarwind-Tänzer. Obwohl die Arbeit auf SOLAR FIVE
sehr, sehr wichtig ist, und nur die Qualifiziertesten und fähigsten
Menschen hier arbeiten dürfen, so sind die Tänzer unter ihnen doch
etwas Besonderes. Sie sind es, die jeden Tag ihr Leben riskieren, um
die Folie vor Schaden zu bewahren. Sie sind die großen Helden
unserer Zeit.“
Ein Erwachsener im Hawaii-Hemd spähte
nach draußen und deutete auf die im All umeinander kurvenden
Tänzer-Schiffe. „Miss, ich dachte, die Tänzer kriegen immer die
neueste und beste Hardware. Aber das Ding da draußen neben dem
Armstrong Hewlett Alpha 3 ist ja noch aus dem letzten Jahrhundert.
Eine Fokker Spacebus 39, wenn ich nicht irre.“
„Na, das nenne ich einen Glücksfall.
Es gibt nur einen einzigen Sonnenwind-Tänzer, der dieses Modell noch
benutzt. Pilot, bringen Sie uns bitte näher heran.
Meine Damen und Herren, liebe Kinder.
Wir haben das äußerst seltene Glück, einen der berühmtesten
Tänzer unserer Zeit zu sehen. Er war der Anführer der
Sonnenwind-Tänzer von SOLAR FOUR, hält neun stellare Rekorde, hat
bereits hundertfünfundsiebzigtausend Flugstunden, flog
vierundzwanzigtausend Einsätze und bekam für seinen
aufopferungsvollen Dienst an der Menschheit neun
Tapferkeitsmedaillen, drei Belobigungen des Parlaments und wurde
elfmal zum wichtigsten Mann des Systems gewählt. Er war es, der zur
richtigen Zeit am richtigen Ort war, um die sieben Fragmente des
Kometen Wong-Mbuto zu zerstören, als dieser zerbrach und auf die
Erde, den Mond und die damalige Kollektoranlage SOLAR FOUR zu stürzen
drohte. Er war es auch, der in der legendären
Hundert-Stunden-Schicht, sowohl im Erdorbit als auch um SOLAR FOUR,
die Anstrengungen der anderen Tänzer koordinierte, die Trümmer der
von ihm vernichteten Fragmente einzusammeln und damit Millionen
Menschen allein in den O'Neill-Kolonien und auf der Erde das Leben
rettete. Und das ohne eine einzige Pause.
Er ist das Vorbild jedes
Solarwind-Tänzers, und sicher ist er auch euer Held. Von wem spreche
ich?“
„DENNAR WATTS!“, riefen die Kinder
im Chor. Auch der eine oder andere Erwachsene fiel ein.
„Dennar Watts“, brummte der Mann im
Hawaii-Hemd und machte Aufnahmen mit seiner Holocam. „Als ich klein
war, da war er mein großer Held.“
Die Touristenführerin lächelte. Das
war er immer noch, für viele Menschen im gesamten Sonnensystem. „Es
ist gerade sehr ruhig da draußen, die Tänzer sind nur auf
Patrouille. Ich denke, wir können es wagen, Dennar Watts anzufunken.
Er ist heute draußen mit Sarem Adegi, seinem Flügelmann und
diesjährigem Sieger im Pan-Planetoidenrennen. Wir werden ihn zuerst
fragen, ob Dennar mit uns sprechen kann. Sarem, können Sie uns
hören?“
Die Stimme des Tänzers erfüllte die
halbtransparente Kabine. Kaum jemand wagte zu atmen. „Sarem Adegi
hier. Sind Sie das, Kassia?“
„Kassia Poul, richtig. Es freut mich,
dass Sie sich an mich erinnern. Sagen Sie, hat Dennar Watts heute
einen guten Tag? Ich habe hier eine Besuchergruppe aus Shanghai, die
für ihr Leben gerne mit ihrem großen Helden sprechen würde.“
Sarem Adegi lachte leise. „Ich werde
sehen, was sich machen lässt. Dennar? Hast du Zeit?“
Einen Moment lang war Stille, dann
vernahm man die unverkennbare Stimme des berühmten Piloten. „Wofür?
Um den Leuten etwas zu zeigen, was ich nicht bin? Himmel, Sarem,
zeige mir einen Helden und ich zeige dir einen Lügner. Es gibt nur
zwei Sorten von ihnen. Strahlende Lügner und tote Helden. Dazwischen
ist nichts.“
Kassia Pouls Lächeln gefror. Sie flog
die Strecke beinahe täglich und traf dementsprechend oft auf Dennar
Watts. Sie hatte sich gefreut, überhaupt die Stimme des legendären
Piloten zu hören, aber seine Antwort war wie immer patzig und dazu
geneigt, ein Dutzend Kinderträume zu zerstören.
„Alter Tattergreis!“, blaffte Sarem
Adegi wütend. „Wir wissen alle, was du über Helden denkst. Aber
da sind Kinder an Bord, die gerne ein paar Worte vom fähigsten
Sonnenwind-Tänzer des Systems hören würden!“
„Dann rede du doch mit ihnen!“
blaffte Dennar zurück. „Ich habe meinen Zenit lange schon
überschritten!“
Darauf folgte eine atemlose Stille, die
endlos zu sein schien. Eines der Kinder begann zu weinen.
„Na schön.“ Der legendäre Pilot
seufzte steinerweichend. „Liebe Kinder, ich bin Dennar Watts. Ihr
habt sicher schon von mir gehört. Wenn ich all meine Auszeichnungen
anstecke, brauche ich eine zweite Jacke, um alle unterzukriegen. Ich
fliege schon seit fünfzig Jahren und bin Sonnenwind-Tänzer, seit
ich meinen Abschluss in stellarer Navigation gemacht habe. Okay, für
einige von euch mag mich das zum Helden machen. Aber das bin ich
nicht. Vielleicht ein Vorbild. Denn die Arbeit hier draußen ist
gefährlich, anstrengend und zeitraubend. Es ist ein Dienst an der
gesamten Menschheit. Ich wusste das, als ich mich für diesen Posten
beworben hatte. Und ich wusste, dass es eine Lebensaufgabe ist. Doch
es sind nicht nur wir Sonnenwind-Tänzer, die der Menschheit mit
dieser gefährlichen Aufgabe dienen.“
Innerlich atmete Kassia Poul auf. Der
alte Pilot schien heute wirklich einen seiner besseren Tage zu haben,
wenn er so freundlich werden konnte.
„Neben uns Tänzern, die den Nordpol
des Mondes und die Umgebung von SOLAR FIVE nach kosmischen Trümmern
absuchen, gibt es noch fünftausend Menschen von der Erde, dem Mond,
dem Mars und den Venus-Habitaten, die hier arbeiten, um die
Energieversorgung zu sichern. Sie sind hier als Techniker, als Ärzte,
Köche, Ingenieure, Fährenpiloten, oder Fremdenführer. Ja, auch
eure Fremdenführerin, Frau Poul, ist eine von uns. Sie arbeitet
bereits seit fünf Jahren hier und hilft den Menschen, einen Einblick
in die gefährlichste Arbeit im ganzen Sonnensystem zu bekommen.“
Kassia wurde rot. Der alte Haudegen
erinnerte sich an sie?
„Denkt also immer daran, Kinder. Die
Tänzer sind vielleicht die berühmteste Gruppe von SOLAR FIVE, aber
ohne die anderen wären wir nichts. Ohne die Besatzung der ARCHE, die
den von der Kollektorfolie gesammelten Sonnenwind konvertiert und als
Mikrowellenstrahl zum Nordpol des Mondes hinab schickt, wäre unsere
Arbeit sinnlos. Wenn überhaupt, dann sind wir alle hier oben Helden.
Vielleicht machen wir aber auch nur unsere Arbeit.“
Ein Knacken in der Leitung deutete an,
dass Dennar abgeschaltet hatte.
Die beiden Tänzer-Schiffe verharrten
noch kurz neben dem Touristenpendler, dann beschleunigten sie und
verschwanden in der Tiefe des Alls. Im Shuttle selbst herrschte
beängstigende Stille.
„Ich will auch Sonnenwind-Tänzer
werden und der Menschheit dienen“, sagte das Mädchen von vorhin
plötzlich. „Ich will auch auf SOLAR FIVE arbeiten.“
„Du? Du könntest doch in tausend
Jahren kein Tänzerschiff bedienen“, spottete der Junge neben ihr.
„Na und? Dennar Watts hat doch
gesagt, jede Arbeit an Bord der ARCHE ist genau so wichtig wie die
der Tänzer. Dann werde ich eben Ärztin oder ich werde auch eine so
gute Fremdenführerin wie Miss Poul!“, konterte sie.
Der Mann im Haiwaii-Hemd nickte
bestätigend. Er klatschte in die Hände, und die gesamte Fähre fiel
nach und nach ein. „Unsere Helden von SOLAR FIVE!“
Mühsam hielt Kassia die Tränen
zurück. Alles in allem war Dennar Watts doch kein so übler Kerl,
fand sie.
Als die Fähre zur eigentlichen
Besichtigung die ARCHE erreichte, durchlief Kassia wie immer ein
wohliger Schauer. Der konische Zylinder mit den Dutzenden Auslegern
erreichte eine Maximallänge von elf Kilometern, oben an der
Kollektorfolie, wo die aufgesammelten Partikel des Sonnenwindes
zusammenliefen drei, und unten am Fuß, von wo der Mikrowellenstrahl
die aufgesammelte Energie an die Nordpolstation des Mondes
verschickte , einen halben Kilometer.
Dies erschien auf den ersten Blick
groß. Aber der Zylinder war innen weitestgehend hohl, lediglich
durchsetzt mit hunderten schwebenden Generatoren, die den stetigen
Strom von Partikeln konvertierten und weiter nach unten sandten.
Die Ausbeute der aufgefangenen Partikel
betrug siebenundachtzig Prozent. Über die Ausleger wurden die
übrigen dreizehn wieder abgegeben, bevor sie der ARCHE schaden
konnten.
An diesen Hohlraum drängte sich der
Lebensraum für die fünftausend hier arbeitenden Menschen.
Die Zustände waren nicht wirklich
beengt, aber auch nicht großzügig. Kassia Poul schauderte bei dem
Gedanken, dass es auf SOLAR FOUR noch knapper zugegangen sein sollte.
Aber es reichte, um eine
Touristengruppe beinahe unbemerkt von der Besatzung einmal durch das
riesige Gebilde zu führen.
Die Fähre dockte an und die
Fremdenführerin lächelte. „Sie haben nun alle etwas Zeit, um sich
nach Herzenslust umzusehen. Aber bitte bleiben Sie in dem grün
markierten Bereich. Der rote Bereich ist Sperrgebiet, seit die
Kämpfer für den Sonnenwind neun Anschläge auf die ARCHE verübt
haben.“
„Was sind denn die Kämpfer für den
Sonnenwind?“, wollte das kleine Mädchen wissen, das mal Ärztin
auf SOLAR FIVE werden wollte.
Kassia runzelte die Stirn. „Du, das
ist schwierig zu erklären. Weißt du denn, was die Gäaner sind?“
„Das ist leicht“, strahlte sie.
„Das sind Menschen, die die Erde als geschlossenen, lebenden
Organismus verstehen. Es gibt verschiedene Ausprägungen: Neo-Gäaner,
Kontra-Gäaner, Gäaner Vieille…“
„Gut“, lobte Kassia. „Dann weißt
du sicherlich, dass es noch eine vierte Gruppe Gäaner gibt, die
Radikalen.“
Das Mädchen nickte eifrig. „Das sind
doch die, die wollen, dass alle Menschen wieder auf die Erde
zurückkommen, um dort absolut naturverbunden zu leben.“
„Richtig. Es gibt da eine ähnliche
Gruppierung wie die Gäaner, das sind die Solaner. Sie verstehen das
gesamte Sonnensystem unserer Sonne Sol als lebenden Organismus und
sehen uns als Teil dessen an.
Wie bei den Gäanern gibt es friedliche
Gruppen wie die Kontras oder die Vieilles.
Es gibt aber auch aggressivere Gruppen
wie die Radikalen Gäaner, die sogar Gewalt einsetzen, um ihre Ziele
durchzusetzen. Eine dieser Gruppen bilden die Kämpfer für den
Sonnenwind. Auch sie glauben daran, dass das gesamte Sonnensystem ein
Organismus ist. Und sie glauben daran, dass der Sonnenwind für das
gesamte System sehr wichtig ist, so wie Blut, das durch den
menschlichen Körper fließt. Die sagen nun, dass Stationen wie SOLAR
FIVE den Sonnenwind abfangen, bevor er die Außenbereiche des Systems
erreichen kann. Dort entsteht dann ein riesiger Teil im Raum, wo kein
Sonnenwind hinkommt. Oder anders gesagt, dort droht der Organismus
Sonnensystem abzusterben.“
Das kleine Shanghaier Mädchen sah die
Fremdenführerin aus traurigen Augen an. „Ist das wahr, Miss Poul?“
Kassia drückte sie an sich. „Nein,
mein Engel, natürlich nicht. Denn selbst wenn die Solaner Recht
hätten, würde der Schatten von SOLAR FIVE durch das Sonnensystem
wandern, wie es die Planeten auch tun. Außerdem ist die Sonne so
groß, dass sich die Strahlen vom linken und vom rechten Rand der
Sonne schon wenige tausend Kilometer hinter der Station treffen. Du
brauchst keine Angst zu haben.“
Die Tür glitt auf, nachdem das
Andockmanöver beendet war. „Sie haben zwei Stunden, bevor wir den
Rundgang auf der Beobachtungsplattform oben an der Kollektorfolie
beginnen. Ein Elektrobus wird uns dort hinbringen.“
Kassia lächelte jedem einzelnen
freundlich zu, als sie die Fähre verließen. Besonders freundlich
dem Mann im Hawaii-Hemd, der sich seine kindlichen Helden bewahrt
hatte. Er musste ein Gäaner sein, denn diese trugen, um ihre
Verbundenheit mit der Natur zu vergegenwärtigen, gerne
Pflanzenmotive wie Palmen und Strand. Auf dem Hemd des Touristen war
sogar ein Stück des Sternenhimmels zu erkennen.
„Kassia!“ Die Fremdenführerin
wandte sich um. Fröhlich winkend kam Sarem Adegi auf sie zu. Der
mittelgroße Spitzenpilot legte seine Rechte auf ihre Schulter, als
er die zierliche Frau erreicht hatte. „Kassia. Ich darf Sie doch
Kassia nennen? Es tut mir leid wegen vorhin, aber Sie wissen ja, wie
Dennar so ist. Aber ich glaube, wenn man nur den Mund aufmacht und
schon schieben sich zehn Mikrophone davor, um die eigenen Worte für
die Nachwelt festzuhalten, darf man ruhig etwas ruppig und genervt
sein.“
Kassia erschien die Szene wie aus einem
Traum. Adegi, ausgerechnet Adegi, sprach mit ihr. Und seine Hand lag
auf ihrer Schulter. Wie gerne hätte sie ihn jetzt einfach geküsst.
Etwas, irgendetwas getan. Doch sie starrte ihn nur an.
Sarem runzelte verwundert die Stirn,
weil die junge Frau beharrlich schwieg. Geradezu erschrocken riss er
die Hand von ihrer Schulter und murmelte eine hastige Entschuldigung.
Er trat von einem Bein aufs andere, sah
ihr stumm in die Augen. Sie sah zurück, unfähig, auch nur einen Ton
zu sagen.
„E-entschuldigung“, stammelte Sarem
und wandte sich zum Gehen.
Kassia erschrak und erstarrte noch
mehr. Sie fühlte genau, dies war ihre einzige und letzte Chance,
ihrem Schwarm nahe zu kommen.
„Na, du bist mir ja ein Held“,
hörte sie plötzlich Dennar Watts spöttische Stimme hinter sich.
„Lässt dieses tolle Mädchen hier einfach so stehen.“
Sarem wandte sich wieder um und warf
dem berühmten Solarwindtänzer einen tiefen, verzweifelten Blick zu.
„Ich… Ich will Kassia nicht aufhalten. Sie hat noch soviel zu
tun…“
Dennar gab der Fremdenführerin einen
sanften Klaps auf den Rücken.
„Du hältst mich doch nicht auf!“,
rief sie hastig und viel zu laut. Erschrocken über ihre eigene
Courage starrte sie Sarem an. „Die Tour geht erst in zwei Stunden
weiter.“
„Oh“, machte der Solarwindtänzer.
„Oh.“
„Nun lad sie schon zum Mittagessen
ein“, schalt Dennar seinen Flügelmann. „Sonst stehen wir morgen
noch hier.“
„Äh“, machte Sarem. „Hast du…“
„Ja!“, kam ihre viel zu laute
Antwort.
Der junge Pilot lächelte. „Okay. Ich
hoffe, du magst venusianisch?“
„Leidenschaftlich gerne. Da gibt es
doch dieses tolle Restaurant an der Ecke…“
Dennar sah den beiden hinterher. Manche
Dinge brauchten ab und an einen leichten Stoß.
Andere, wie diese hier hingegen, einen
ausgeprägten Tritt in den Hintern.
Er seufzte und dachte an seine eigenen
Beziehungen. Keine von ihnen hatte so unschuldig angefangen. Und
keine hatte auch nur annähernd so lange gehalten, wie er es von
seinem Flügelmann und der Fremdenführerin erwartete.
Plötzlich schreckte ihn der Alarm auf!
Der Rhythmus der Sirenen war eindeutig: Störung der Kollektoranlage!
Dennar Watts reagierte mit den guten
Reflexen eines Solarwindtänzers, rannte zum nächsten Interkom und
informierte sich über die Art der Störung.
Er erstarrte. Der Mikrowellenstrahl
wurde gestaut. Das bedeutete Sabotage.
Watts rannte zum nächsten
Verbindungskorridor, schnappte sich einen Elektrowagen und fuhr zur
Schnittstelle, in der der Mikrowellenstrahl gebündelt wurde.
Ein heftiger Ruck sagte ihm, dass er
einen Passagier dazubekommen hatte. Er sah hinter sich und erkannte
seinen Flügelmann. Neben ihm hangelte sich gerade Kassia auf den
bereits fahrenden Wagen.
Dennar sah die beiden an, nickte
grimmig und beschleunigte.
Als sie die Beobachtungsgalerie
erreicht hatten, von der aus die Techniker rein optisch die Anlage
überwachen konnten, blendeten sämtliche Bildschirme den Befehl zur
Evakuierung und einen Countdown ein.
Als Dennar vom Wagen sprang, eilte
sofort Maren Strautmann, die Diensthabende Chefingenieurin, herbei.
Sie deutete auf die Schnittstelle. Dort schwebte ein einsamer
Raumanzug. „Er verstopft die Schnittstelle mit einer Folie aus
Platin. Die Strahlung wird ihn in spätestens einer Minute umgebracht
haben. Aber ich befürchte, bis dahin hat er sein Ziel erreicht.
Bereits jetzt steigt die Strahlung so
stark an, dass ich keinen von meinen Leuten da hineinschicken kann.“
„Ich verstehe“, sagte Dennar.
„Totalabschaltung der Kollektorfolie?“
„Dauert zehn Minuten. Die Überladung
erfolgt aber in sieben. Keine Chance.“
„Was sagt Captain Myles?“
„Er hat die Evakuierung selbst
ausgerufen. Wir müssen hier in spätestens einer Minute raus, oder
wir kommen nicht mehr weit genug von der Station weg.“
„Meine Gruppe!“, rief Kassia
erschüttert. „Hoffentlich folgen sie den Anweisungen der
ARCHE-Besatzung. Sie dürfen sich ja frei bewegen und…“
Sie erstarrte und deutete auf den stumm
agierenden Mann im halbtransparenten Raumanzug. „Oh mein Gott,
warum habe ich das nicht sofort gesehen? Dies ist einer aus meiner
Touristengruppe! Der Mann mit dem Hawaii-Hemd. Die Sterne auf dem
Hemd, sie formen das Kreuz des Südens. Und das ist doch eines der
Symbole der Kämpfer für den Solarwind.“ Kassia Poul fluchte
unbeherrscht.
„Das erklärt einiges.“
Chefingenieurin Strautmann brummte missmutig. „Wenn das einer von
diesen Spinnern ist, wird er sich im Tode auch noch quer vor den
Strahl legen. Das wird das Ende der ARCHE um zwei bis drei Minuten
beschleunigen. Das war es dann. Wir kommen hier nicht mehr weg.“
Dennar sah der Ingenieurin in die
Augen. „Wir haben immer noch eine Chance.“ Er deutete auf den
Sterbenden, der sich nun wirklich direkt in den Strahl schob.
„Freiheit…“, kam eine raue Stimme
über die Kommverbindung, „für… den… Sonnen…“
Die Gestalt erstarrte. Der Mann mit dem
Hawaii-Hemd war tot.
„Einer geht da rein, schiebt den
Solaner aus dem Strahl und reißt die Folie ab“, sagte der alte
Pilot bestimmt.
„Irrsinn. Mit jeder Sekunde wird das
Operationsfenster für so einen Quatsch kleiner und kleiner. In zwei
Minuten überlebt man da drin höchstens noch zehn Sekunden.“
Dennar wandte sich um und sah Sarem und
Kassia an. Wieder seufzte er. "Ich gehe rein. Geben Sie mir
einen Anzug, schnell. Je eher ich rein komme, desto mehr Zeit habe
ich.“
„Das wird dein Tod sein, Dennar. Ich
werde gehen“, rief Sarem. „Ich bin ein ebenso guter Pilot wie
du.“
„Du sagst es, mein Junge. Und du hast
dein Leben noch vor dir. Falls ich es schaffe.“
„Sir?“ Dennar wandte sich um und
sah eine Faust auf sich zukommen. Der Schlag war hart genug, ihn zu
Boden zu schicken, aber nicht hart genug, um ihn ohnmächtig werden
zu lassen.
Einer der Techniker hatte sich einen
Anzug geschnappt und begann hinein zu steigen.
Der Schläger rieb sich die schmerzende
Rechte und nickte dem Techniker, der gerade den Anzug schloss,
aufmunternd zu. „Sir. Sie sind Pilot. Und Sie sind der Beste in
diesem Job. Aber das hier ist eine Aufgabe für einen Techniker.
Überlassen Sie das uns, bitte. “
Ohne ein weiteres Wort half der
Techniker seinem Kollegen in die Schleuse.
„Irrsinn!“, blaffte Strautmann
wieder. „Ihm bleiben zwanzig, bestenfalls dreißig Sekunden!“
Wortlos ließ der Mann die Schleuse
zufahren.
Atemlos beobachteten die Anwesenden,
wie der Techniker ausschleuste. Mit Hilfe der Schubdüsen des Anzugs
beschleunigte er hart und flog direkt auf die Schnittstelle zu.
Hart rammte er die Leiche des Solaners.
„Na toll“, murrte jemand, „jetzt
geht es noch schneller.“
Doch der Techniker war noch nicht am
Ende seiner Kraft. Er drückte und schob und befreite den Anzug mit
dem Toten aus der Schnittstelle. Als dies geschehen war, zog er sich
selbst heraus.
„Die Strahlung fällt wieder etwas.
Wir haben nun wieder fünf Minuten Spiel, das reicht für eine
Evakuierung!“ Strautmann sah zu ihrem leblos dahin schwebenden
Techniker hinein. „Verdammt, Antani, verdammt.“
Dennar aber sah noch etwas anderes.
Auch Sarem schien es zu sehen, denn er streckte die Hand aus und
deutete auf die Schnittstelle.
Unendlich langsam schob sich der
Techniker wieder auf die Schnittstelle zu. Die behandschuhte Rechte
griff in den Partikelstrom hinein. Die Fingerkuppen berührten die
Folie.
Wie in Zeitlupe begannen sich die
Finger zu krümmen. Die Folie dellte ein, spannte an den Seiten…
Und riss.
Lauter Jubel brandete auf, als die
Strahlung noch weiter zurückging.
„Sieben Minuten!“, rief Strautmann
aufgeregt. „Der Junge hat uns das volle Evakuierungsfenster
zurückgegeben! Wäre sein Arm nicht in der Schnittstelle, könnten
wir sogar die ARCHE retten!“
Als hätte sie damit ein Kommando
gegeben, glitt der Helm des Technikers auf. Die Luft innerhalb des
Anzuges schoss heraus und gab dem Anzug einen Bewegungsimpuls mit,
fort von der Schnittstelle.
„Jetzt hat er wirklich alles
gegeben“, hauchte Kassia ehrfürchtig. Ihre Hände berührten das
Schutzglas. Sarem stand hinter ihr und hielt sie fest an sich
gedrückt.
„Die Strahlung pendelt sich auf das
Niveau ab, das wir mit den Anzügen kompensieren können. Die ARCHE
wird nicht explodieren.“
Maren Strautmann ging zum Schrank mit
den Anzügen und suchte sich einen heraus. „Ich gehe unseren Helden
da raus holen.“
„Ja, das ist er wohl.“ Dennar
starrte hinein in die Schnittstellenkammer. „Er hat uns allen das
Leben gerettet. Ein wahrer Held…“
2 Kommentare:
„Von kosmischem Staub, Mikrometeoriten, Weltraumschrott, mit dem unsere Vorfahren der prästellaren Erde den Weltraum verschmutzt haben und von Trümmern vom Mond, die bei Einschlägen von Meteoriteneinschlägen in den Orbit geschleudert werden.“
2x einschläge ist zuviel.
mist da kommt man mal nach längerm wieder hier bei dir vorbei und du hast massig nachschub geliefert
Ach ja ich hab diese story schon früher gerne gelesen. Nur der schluß erfolg etwas zu hastig und zu salopp...
Okay, die zweiten Einschläge nehme ich raus. Danke für den Hinweis.
Ja, vielleicht habe ich ein klein wenig geschrieben zwischendurch, Nathan. ^^
Wie, der Schluss erfolgt zu hastig und zu salopp?
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