Ja, es wurde in Deutschland gestreikt. Ja, es betraf den Nah-, und Fernverkehr. Ja, es wird auch wieder diesen Bereich betreffen. Völlig legal, alles im rechtlichen Rahmen, seit Jahrzehnten vom Gesetzgeber erlaubt und von Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite ratizifiert.
...sacken lassen.
Aber jetzt muss ich mal meinem Unmut Luft machen. HABT IHR SIE NOCH ALLE?
...noch mal sacken lassen.
Liebe deutsche Presse, was Ihr in den letzten Wochen getan habt und gerade tut, ist eine bodenlose Frechheit. Die Lokführer streiken, und ihre Gewerkschaft ist zu klein, oder die Urabstimmung wurde gefälscht; die Piloten streiken, und die sollen sich doch mit ihren bereits angehäuften Luxusgehältern zufrieden geben; aber wenn bei Amazon gestreikt wird, ist das ein aufrichtiger, zu fördernder Arbeitskampf?
...sacken lassen.
Ich bringe es mal auf den Punkt. Eine Gewerkschaft ist eine Organisation von Arbeitern. Diese Organisation von Arbeitern verhandelt, ihre Mitglieder im Rücken, mit dem Arbeitgeberverband über Löhne und Gehälter. Ist selten geworden in Deutschland, seit Hartz IV-Empfänger ihr Schicksal durch Faulheit, Alkoholkonsum und Lotterleben selbst verdient haben und man zur Mittelschicht gehört, kaum dass man eintausend Euro Netto verdient; es gibt ja immer noch jemanden, der unter einem steht. Und der kriegt noch viel zu viel, sodass der Staat versucht, so viel Sozialleistungen wie möglich abzuknapsen und zu kürzen. Aber ich schweife ab.
Wir haben da also eine Gewerkschaft. Nennen wir sie Verdi. Die verhandelt mit den Arbeitgebern. Je stärker eine Gewerkschaft ist, je mehr Mitglieder sie hat, je besser sie ihre Mitglieder auf den Arbeitskampf einstimmen kann und je besser die Streikkasse gefüllt ist - ja, Leute, das vergessen viele. Im Streik wird das Gehalt nicht weiter bezahlt. Da leben die Streikenden von der gemeinsamen Kasse, also gehen sie tatsächlich ein Risiko ein - desto mehr Druck kann sie auf den Arbeitgeber ausüben, um ihre Forderungen durchzusetzen.
Die Gewerkschaft macht ein Angebot. Die Arbeitgeber machen ein Gegenangebot. Man trifft sich irgendwo in der Mitte. In den letzten vierzehn Jahren war das Angebot der Gewerkschaften relativ klein, bei zwei, drei Prozent Lohnsteigerung, weil sie "nicht den hoffnungsvoll aufkeimenden Aufschwung" kaputt machen wollten. Stattdessen ging der Binnenhandel flöten. (Siehe Karstadt. Kein Geld im Inland - das Aus für inländische Warenhäuser.)
Forderungen von dreieinhalb, vier oder gar fünf Prozent? Nicht zu realisieren. Die einzigen, die da eine Ausnahme bildeten, waren lt. meiner Erinnerung die Lufthansa-Piloten. Die waren mutiger und haben mehr gefordert. Bei Zuwachsraten im Luftverkehr auch das richtige Vorgehen.
Nun kommen aber Arbeitgeber und Gewerkschaften zu keiner Einigung. Was passiert? Arbeitskampf.
Der Arbeitskampf sieht den Streik vor. Die Beschäftigten legen die Arbeit nieder, der Arbeitgeber hat das Recht, die Beschäftigten auszusperrren und Streikbrecher einzusetzen. Wer den längeren Atem hat, gewinnt. Um zu streiken, hat der Gesetzgeber aber hohe Hürden gesetzt. In der sogenannten Urabstimmung zum Streik müssen achtzig Prozent der Gewerkschafter FÜR den Streik sein.
Anders herum sieht es zum Streikende aus. Hier müssen nur zwanzig Prozent dafür sein, und der Streik ist zu Ende.
...sacken lassen.
Sicher, es gab Zugausfälle. Sicher, es gab und wird geben, dass Flüge ausfallen, nicht ersetzt werden, ersatzlos gestrichen sind. Na und? Okay, ich arbeite gleich um die Ecke und habe ein Auto. Aber ehrlich, Leute, auch wenn ich direkt betroffen wäre, hätte ich als Arbeitnehmer Verständnis für die Streikenden. Denn wenn ich mal im Arbeitskampf bin und meine, mehr Lohn zu verdienen, als mir angeboten wird, und wenn meine Gewerkschaft mit über drei Vierteln das Gleiche denkt, dann will ich in der Bevölkerung auf Verständnis treffen. Nicht auf ein von Hohn, Spott und Anschuldigungen verseuchtes Klima, wie sie die deutsche Presselandschaft gerade mehrheitlich produziert.
JEDER gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer Deutschlands hat das Recht auf Streik. Für den Arbeitskampf. Um für mehr Lohn zu streiten, um am zweifellos weitergehenden Aufschwung teilzuhaben. Damit nicht noch mehr Geld von ganz unten nach ganz oben verteilt wird - und von allen Einkommensklassen bis hoch zu den 0,1% der Bevölkerung, die das Gros des Geldes halten, noch was abknapsen, und das nicht gerade wenig...
...sacken lassen.
Liebe deutsche Presselandschaft. Die deutschen Streikenden bewegen sich vollkommen konform mit den Gesetzen zum Arbeitsrecht. Sie tun NICHTS VERBOTENES! Das wisst Ihr natürlich, liebe Reporter. Warum also drückt Ihr auf die moralische Tränendrüse und sprecht von "Unverhältnismäßigkeit", "Verantwortung" und "dem Leid des Pendlers"? Ihr wisst schon, dass das, was Ihr hier zelebriert, Wasser auf die Mühlen der Arbeitgeber ist, um die Streikenden in ihrem Sinne unter Druck zu setzen? Ihr wisst schon, dass eine solche Berichterstattung die Streikenden demoralisiert und sie um den gerechten Lohn ihrer Mühen bringt, nämlich einen gerechten Anteil am Gewinn der Arbeitgeber? Ihr wisst schon, dass man hier vermuten kann, dass Ihr absichtlich parteiisch handelt - und das auch noch in bester Propaganda-Manier?
Und dann gibt es einen Streik bei Amazon (was ich übrigens begrüße, weil bessere Arbeitsbedingungen immer einen Streik wert sind), und obwohl durch einen Amazon-Streik mehr Menschen betroffen sind als durch einen Pilotenstreik bei der Lufthansa, geht der in Ordnung, weil es gegen einen amerikanischen Konzern geht, oder was?
An dieser Stelle verlinke ich mal auf den Spiegelfechter, der einen etwas anderen Aspekt dieses Themas beleuchtet. Im Prinzip sind wir uns aber einig: Das geht so nicht.
...sacken lassen.
Liebe deutsche Medien, wenn jemand im Rahmen der Gesetze handelt, und Ihr alles dafür tut, um ihn unter Druck zu setzen, ihn moralisch ins Abseits zu stellen und drängt, seine Handlungen, sprich Streik, einzustellen, dann ist das Meinungsmanipulation. Und das hat in Deutschland einen wirklich schlechten Beigeschmack. Denkt mal drüber nach, liebe Reporter und Redakteure in Deutschland.
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