Ich gebe zu, ich lese meine Tageszeitung meist nur oberflächlich. Und ich gebe auch zu, dass ich die Kolumnen und Kommentare meistens bestenfalls überfliege. Gestern aber hatte es mir ein Kommentar in meiner Lokalzeitung Leine Deister Zeitung angetan. Verfasser ein gewisser Dirk Ippen. Zeitungsverleger, Vertreter des Rechtsstaats und augenscheinlicherweise Millionär, obwohl der letzte Punkt der unwichtigste in seinem Kommentar ist.
Allerdings neige ich seit dem Konsum einiger Kolumnen eines gewissen Herrn Wagners in einer gewissen Zeitung mit vier Buchstaben dazu, derart "unwichtiges zu überlesen. Heute wurde ich eines Besseren belehrt.
Entschuldigen Sie, Herr Ippen, dass ich Sie bis dato noch nicht gekannt habe, und danke für Ihren Kommentar.
Jedenfalls hat bereits der Titel seines Kommentars mein Auge eingefangen: Christian wer?
Herr Ippen bezieht sich auf den zur Freilassung anstehenden RAF-Mitanführer der Zweiten Generation Christian Klar, der mehr als ein Vierteljahrhundert inhaftiert war.
Ich könnte jetzt darüber referieren, wie Herr Ippen darlegt, was aus unserem Rechtsstaat wird, wenn wir für manche Straftaten andere Maßstäbe legen als für "normale" Verbrecher. Ich könnte darüber referieren, wie populistisch manche Politiker aus gewissen Parteien der Mitte dieses Thema ausgeschlachtet haben, um für sich und ihre Partei Stimmung zu machen, obwohl sie sich bewusst sein mussten, dass sie damit den Rechtsstaat unterhöhlten. Und ich könnte anführen, wie gierig sich eine gewisse Zeitung mit vier Buchstaben auf dieses Thema gestürzt hat und eine Sonderbehandlung für Herrn Klar einforderte. Sprich, ihn im Angesicht seiner Opfer und im Angesicht der Hinterbliebenden nicht in die Freiheit zu entlassen.
Nun, mein Mitgefühl gehört natürlich Opfern und Hinterbliebenen, aber wir leben in einem Rechtsstaat. Und auch wenn diverse Medien immer wieder versuchen uns das Gegenteil weis zu machen, unser Rechtsstaat funktioniert. Und damit er das auch weiterhin kann, muss man ihn gewähren lassen, anstatt bei solchen "Gelegenheiten" sofort ein Zweiklassenstrafrecht zu fordern.
Herr Klar mag als Mensch sein wie er will, mag seine Taten bereuen oder nicht, für seine Freilassung sind nur zwei Dinge relevant. Wird er erneut terroristisch oder kriminell aktiv? Ist seine vorzeitige Entlassung im gesetzlichen Rahmen? Beides kann man mit ja beantworten.
In Deutschland gibt es keine Todesstrafe. Warum ist das so, und was hat das hiermit zu tun? Nun, die Todesstrafe ist Teil des Vergeltungsstrafrechts. Genauer formuliert, Auge um Auge und Zahn um Zahn. Wohin so etwas führen kann sehen wir in den U.S.A., wo es eine erkleckliche Anzahl Unschuldiger gibt, die hingerichtet wurden und auch in Zukunft hingerichtet werden. Wir pflegen kein Vergeltungsstrafrecht. Manche Menschen wegzusperren bis sie hinter Gittern sterben mag für viele eine Option sein, sie töten zu lassen ebenso, aber Rechtsstaatlichkeit bedeutet nun einmal, dass Menschen, die das Potential dazu zeigen wieder in den Rechtsstaat eingegliedert zu werden, auch die Möglichkeit dazu erhalten. Das mag für viele unverständlich, zu nett und nicht abschreckend genug sein. Aber welche Abschreckung? In Amerika, wo es die Todesstrafe noch immer gibt, sind die Gefängnisse voll wie nie. Dort sperrt man Menschen in fast allen Bundesstaaten weg und/oder behält sie Jahrzehnte im Todestrakt, bevor sie hingerichtet werden. Das kann doch nicht die Lösung sein. So haben auch die Väter der Bundesrepublik gedacht und sich für Resozialisierung entschieden, für Wiedereingliederung. Für Wiedergutmachung. Daran ändert auch die Forderung nichts, diese RAF-Terroristen besonders "hart" anzupacken. Man möchte sagen, dass es ganz gut so ist. Denn unsere Freiheiten, unsere Kultur und unsere Selbstauffassung resultieren letztendlich auch daraus, wie wir unsere schwarzen Schafe behandeln.
Zum Schluss vielleicht noch ein paar passende Worte von Herrn Ippen. In seinem Kommentar sagt er ganz klar eines: Wenn man RAF-Terroristen strenger behandelt, verfallen diese weiterhin dem Irrglauben, mehr als normale Verbrecher zu sein.
Nun, sie sind Verbrecher, die sich gegen den Rechtsstaat gestellt haben, die gemordet, gebombt und entführt haben, die sich vom Rechtsstaat entfernt haben. Aus welchen Motiven dies geschah sei vollkommen dahin gestellt. Wie edel oder wie niederträchtig auch die Beweggründe gewesen sein mochten, sie tun nichts zur Sache. Die Taten sprechen für sich und werden geahndet. Beim Maß der Strafe mögen die Beweggründe wieder eine Rolle nach oben oder nach unten spielen, aber generell werden sie verurteilt. Auch das ist der Rechtsstaat.
Aber man kann das eine nicht haben ohne das andere zu akzeptieren. Man kann es mögen oder hassen, ein Schwerverbrecher und Terrorist ist wieder frei, nachdem er der Gesellschaft gegenüber seine Sühne geleistet hat. Ob er seine Taten bedauert, bereut, oder sie noch immer für gerechtfertigt hält tut ebenfalls nichts zur Sache. Das ist der Rechtsstaat.
Herr Ippen, haben Sie vielen Herzlichen Dank für Ihren Kommentar und verzeihen Sie mir, dass ich mich so schamlos daran bedient habe. Letztendlich sprechen Sie mir aus der Seele. Denn wer hat je behauptet, dass der Rechtsstaat einfach wäre? Genau wie die Demokratie ist es etwas, um dessen Erhalt wir täglich kämpfen müssen.
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