So, es ist passiert. Hellmut Königshaus, FDP, und als wenn das noch nicht schlimm genug wäre, auch noch Wehrbeauftragter der Bundeswehr, fordert tatsächlich, dass Bundeswehrsoldaten länger schlafen dürfen sollen. Hier geht's zum Spiegel-Bericht. Darin wird mockiert, dass Zapfenstreich um dreiundzwanzig Uhr ist, Wecken aber schon um vier Uhr dreißig.
...sacken lassen.
Args. Args! Aaaaaaargs!
Ich HOFFE, das ist nicht authentisch und es taucht auch nicht im Wehrbericht auf. Denn wenn es das ist, dann haben wir den dümmsten Wehrbeauftragten, der mir je untergekommen ist. Und ich habe einen wirklich oberflächlichen Verteidigungsminister erlebt, der nicht in der Lage war zu begreifen, dass die gerichtliche Erlaubnis, das Kurt Tucholski-Zitat "Soldaten sind Mörder" dürfe tatsächlich zitiert werden, keinesfalls ein Angriff auf die Truppe war, sondern im zeitgenössischen Kontext (Erster Weltkrieg) gesehen werden muss.
Also, ich hätte nie gedacht, dass da mal jemand einen noch größeren Bock schießen könnte. Aber es ist geschehen. Und während man Volker Rühe, obengenanntem Verteidigungsminister a.D. zumindest noch zugutehalten kann, dass er der Truppe den Rücken stärken wollte (wobei es ja eigentlich nichts zu stärken gab), hat Herr Königshaus vollkommene Inkompetenz bewiesen und Äpfel mit Birnen vermischt - wenn er es denn wirklich so gesagt hat. Denn ich hoffe noch immer, dass hier falsch zitiert wurde, denn so %*§$)§&/§%$%)§$ kann ein einzelner Mensch doch gar nicht sein.
Um meinen Unmut zu verstehen, und meine Kopfschmerzen, will ich erst ein wenig zur Sache schreiben und danach aus meiner Bundeswehrzeit, damit Ihr da draußen, die Ihr nicht gedient habt, versteht, warum der Mann so einen großen Bockmist verzapft hat.
Zuallererst zur Sache:
Der Zapfenstreich, nicht zu verwechseln mit dem großen Zapfenstreich, ist die allgemeine Umschreibung für den Befehl: Ab in die Betten, Truppe. Das Militär ist ja, man mag es kaum glauben, eine militärische Organisation. Und diese Organisation bedient sich militärischer Regeln und Verhaltensmaßnahmen, um sich zu organisieren. Dazu gehört auch, dass man der Truppe zwar ihre Freizeit gönnt, aber irgendwann auch sagt: Nun reicht es aber. Morgen wird sonst sehr lang für euch.
Tatsächlich geht der Zapfenstreich weit in die Vergangenheit zurück, als man sich noch in nicht gepanzerten Uniformen in großen Formationen gegenüberstand. Eventuell noch früher, als die Hauptwaffe ein Spieß war. Damals soll, wenn es Zeit wurde, die Männer für den nächsten Tag in die Betten zu schicken, ein Unteroffizier durch die örtlichen Kneipen gegangen sein, um auf die Zapfhähne zu klopfen, um anzuzeigen, dass es das jetzt war mit Bier und Schnaps. Später wurde er durch ein Signal ersetzt und auch heute noch findet er - während der Ausbildung, wohlgemerkt - seine Anwendung. Was ja auch Sinn macht, denn während der Ausbildung wird die Truppe körperlich belastet, zum Teil schwer. Da macht es Sinn, vor allem wenn man die Fürsorgepflicht der Offiziere ihren Soldaten gegenüber berücksichtigt, dass man ihnen aufgrund ihrer langjähriger Erfahrung sagt, wann denn Schluss ist mit lustig.
Ich betone absichtlich, dass es hier um Ausbildung geht. Nach der Grundausbildung sieht das vollkommen anders aus. Da ist Dienstschluss wirklich Dienstschluss und man kann sich so lange und so weit frei bewegen, wie immer man es möchte. Zur Zeit der Nachtwache sollte man sich allerdings nicht im Mat-Bereich rumtreiben. Da schießt die Wache scharf.
Und es ist ja wohl anzunehmen, dass ein erwachsener Mensch, der weiß, dass er den nächsten Morgen um halb fünf raus muss, selbst einschätzen kann, wann er ins Bett gehen sollte. Spätestens an Tag zwei sollte er es so oder so wissen. Denn was der Wehrdienstbeauftragte bewusst NICHT ERZÄHLT, das ist, dass Dienstschluss und Zapfenstreich NICHT IDENTISCH SIND!
Das bedeutet schlicht und einfach, dass man NICHT bis zum Zapfenstreich warten muss, wenn man schlafengehen will. Autschautschautschautsch.
Bei der Umfrage, auf die sich Herr Königshaus stützt, müssen entweder ein paar Spaßvögel teilgenommen haben, oder aber er hat die Kadetten der Gorch Fock-Mission nach Argentinien befragt. In derem Jahrgang gibt es ja Großmäuler genug.
Also, Ziel verfehlt, Herr Abgeordneter. Ich schätze mal, mit dieser Forderung können Sie sich gar nicht genug blamieren.
...sacken lassen.
Jetzt wie versprochen der Einblick in meine BW-Zeit. Das war '94, und ich war Pionier in Holzminden. Unglaublich, aber wahr: Ich bin Obergefreiter der Reserve, aber nicht der Mob-Reserve, d.h. ich muss nicht mehr auf Übungen.
Als ich ankam, haben wir den Tag mit Beziehen der Stuben verbracht und das erste Mal den Dienstschluss und den Zapfenstreich kennengelernt. Der wurde resolut durchgeführt, aber unfreundlich war niemand. Natürlich habe ich die Nacht nicht geschlafen. Ich war viel zu aufgeregt. Die nächste Nacht, mit der entsprechenden Müdigkeit, ging es besser.
Als es dann mit dem Drill und der Waffenausbildung losging, hieß es für uns: Wecken um fünf, Revier machen (Jedes Zimmer hat etwas gereinigt, vom Waschraum über den Flur bis zur Toilette), Frühstück, und viertel nach sieben antreten zum Morgenappell. Anschließend Dienst, der normalerweise bis siebzehn Uhr gedauert hat. Großzügige Pausen bei voller Versorgung mitgerechnet. Anschließend, wenn wir nicht noch Material gereinigt haben, war Dienstschluss. In der Grundausbildung gab es aber noch den Stubenappell. Ab zehn war Zapfenstreich - spätestens - und ein Pionier (so nannte man uns ohne Rang) meldete die Stube, in der gefälligst alle anderen schon im Bett zu liegen hatten, ab. Dann ging es weiter bis zum Wecken.
Kleiner Zeitsprung, etwa nach einem Monat: Da sich der Ausbildungszug gut geführt hat, wurde uns erlaubt, dass wir freien Ausgang bis zum Wecken hatten, d.h. wir durften ab Dienstschluss bis zum Weckruf die Kaserne verlassen, wenn wir wollten. Ich habe das mehrfach ausgenutzt, indem ich die fünfzig Kilometer nach Hause gefahren bin, um da zu schlafen. War natürlich hartes Brot, um fünf wieder da zu sein, weil ich eine Dreiviertelstunde gefahren bin.
Das besserte sich, nachdem der Ausgang bis zum Morgenappell erweitert wurde. Das hieß, solange das Revier der Stube gemacht wurde, musste man erst um sieben Uhr zum Appell da sein, was nach Absprache mit den Kameraden recht gut ging. Man wurde zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr zum Frühstück "geführt", sondern ging selbstständig. Bei der Bundeswehr wird viel Wert auf Selbstständigkeit gelegt. So blieb es den Rest meiner Dienstzeit. Mein Dienst war meist mit dem Abschlussappell, d.h. dem Dienstschluss um siebzehn Uhr beendet und danach hatte ich bis sieben Uhr morgens Ausgang. Nach der Grundausbildung habe ich grundsätzlich Zuhause geschlafen.
...sacken lassen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in der Bundeswehr heutzutage so großartig anders sein soll.
Und genau deshalb halte ich den Vorstoß von Herrn Königshaus für vollkommenen Bullshit. Und die Implikation, die Bundeswehr würde ihre Rekruten erst um dreiundzwanzig Uhr ins Bett lassen, ist beinahe schon eine dreiste Verleumdung.
Und dann muss ich immer an meinen Bruder denken, der eine Zeitlang schon um vier Uhr morgens auf der Arbeit sein musste, um einen wichtigen Auftrag zu erfüllen... Der hat von selbst gewusst, wann er ins Bett gehen musste, um morgens fit zu sein. Dem durchschnittlichen Soldaten ist das natürlich nicht zuzutrauen. ^^°°°
Bleibt noch zu hoffen, dass Herr Königshaus NIE Verteidigungsminister wird.
Edit: Ich wusste, an dieser Berichterstattung musste etwas faul sein. Auf tagesschau.de klingt der Bericht von Königshaus doch schon wesentlich professioneller. Aber ich schließe nicht aus, dass der SP0N-Bericht sachlich richtig ist.
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4 Kommentare:
Was soll man sagen, der Mann ist für mich eine absolute Fehlbesetzung für diesen Posten. Wir hätten mal den 'Seehund' behalten sollen.
Ich weiß jetzt nicht, wen Du mit Seehund meinst, aber dass der Mann nicht weiß, was er tut, da gebe ich Dir Recht.
Das ist ein Witz auf eine Geschichte meines ehemaligen Teileinheitsführers.
Gemeint ist der vorherige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe.
Passt. Bei dem Namen definitiv. XD
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