Stimmt, ausnahmsweise geht es heute nicht ums Schreiben, sondern wieder um die Weltpolitik, oder im engsten Sinne um die Europapolitik. Aber nicht nur um das oben im Titel erwähnte Griechenland und dem Mythos des erzwungenen Euro-Ausstiegs, der angeblich... wenn sich alle einig sind... anhand der unterzeichneten Verträge... irgendwie möglich ist... wenn Griechenland zustimmt...
Nein, es geht nicht nur darum, wie Europa dieses Land beutelt. Es geht auch darum, wie sehr das Land in Stich gelassen wird.
Aber zuerst möchte ich den Grexit beleuchten. Ich habe es gesagt, oder? Ich habe es gesagt: Es wird keinen Grexit geben. Denn nur das griechische Parlament kann den Grexit beschließen, auf gar keinen Fall aber Mutti Merkel oder Wolfgang "grauer Tiger" Schäuble. Dennoch hat der graue Tiger Varoufakis das Genick gebrochen und Tsipras mindestens symbolisch ins Gemächt getreten. Sein Vorschlag des "vorläufigen Grexit" ist nicht anders zu verstehen denn als Versuch der Kastration der Syriza, was ja auch wunderbar geklappt hat, und der Rücktritt von Varoufakis erscheint mir heute noch mehr wie die kleinliche Rache eines alten Mannes an jemandem, der ihm erfolgreich und faktenbasiert widersprochen hat.
Vorweg eines: Ich glaube an den Schuldenschnitt. An die Schuldenneuberechnung, die Fristenverlängerung, und auch an den Zinsschnitt. Warum ich das sage? Tsipras hatte über sechzig Prozent der Bevölkerung hinter sich. Sie alle sagten nein zu den Forderungen der Troika. Trotzdem ist er umgekippt und hat sämtliche Maßnahmen beschließen lassen, gegen die er protestieren wollte?
Wie ist das möglich? Hat der Mann kein Rückgrat? Oder gab es hinter verschlossenen Türen ein paar Versprechen, die die Öffentlichkeit nicht erreicht haben, so nach dem Motto: "Alexis, hör mal, wir müssen unser Gesicht wahren und wir müssen die Bankensubventionierung unbedingt beibehalten. Wenn du uns gut aussehen lässt und wenn du es schaffst, noch ein halbes Jahr im Amt zu bleiben und unsere Reformen durchsetzt, dann führen wir den Schuldenschnitt der IWF durch und verlängern und reduzieren die Zinszahlungsziele für Griechenland."?
Letzteres kann ich mir sehr gut vorstellen, denn selbst die IWF hat schon VOR den Verhandlungen genau diesen "dringend nötigen" Schuldenschnitt ins Spiel gebracht.
Und er wird kommen, sobald "sich Griechenland mustergültig beim Sparkurs verhalten hat". Wobei Schäuble eine Regierung der alten Eliten sicher lieber wäre als Tsipras' Syriza als Partner.
Und noch mal für alle ein paar wichtige Fakten: Das Geld, das von unserem Parlament immer wieder gebilligt wird, geht nicht nach Griechenland. Es verweilt ein, zwei Tage auf einem griechischen Konto, und dann werden damit Forderungen der Gläubiger bedient. Aber wer hält heutzutage noch Schuldanleihen aus Griechenland? Außer der einen oder anderen griechischen Bank, die diese einfach nicht loswird? Richtig: Europäische Banken, allen voran die EZB.
Die Zeit recherchierte das schon 2011, und daran hat sich nichts geändert. Angereichert mit ein paar Milliönchen Steuergeldern aus griechischen Kassen fließt es zurück zur Europäischen Zentralbank, und von dort als Überschuss wieder in die Kassen der Staaten Europas. Was hat dieser Kreislauf für einen Sinn? Außer natürlich, weiteres Buchgeld aus dem gebeutelten Mittelmeerstaat abzufischen? Die einfachste Erklärung ist die: Damit man behaupten kann, unser Geld fließt nach Griechenland. Die zweiteinfachste Erklärung: Die Banken wollen es so.
Mit diesem Geld werden keinesfalls die "übergroßen griechischen Renten und Pensionen" finanziert.
Aber wenn Griechenland Staatseigentum für, so behauptet das der Schäuble, rund fünfzig Milliarden Euro verscherbelt, dann darf es ein Viertel von dem Geld für dringend erforderliche Investitionen im Inland behalten. Falls es diese fünfzig Milliarden überhaupt einnimmt. Ist das nicht nett von der EU?
Ich wurde auf Facebook von einem Freund darauf hingewiesen, dass in vielen staatlichen Betrieben Investitionen für Modernisierungen dringend notwendig sind, um sie überhaupt konkurrenzfähig zu halten, und dies ginge am einfachsten über den Verkauf, weil dies die Investoren eher anlockt als eine eher ungeliebte Beteiligung an einer staatlichen Firma. Gut, das mag sein. Dem versperre ich mich nicht - ich habe dabei allerdings auch nicht mitzuentscheiden. Hätte ich das allerdings, dann würde ich eine ganz klare Grenze bei der Grundversorgung ziehen. Strom, Wasser, Gas, Post, Krankenhäuser, Bahn, all das würde ich ums Verrecken nicht privatisieren. Was dann passiert, wissen wir ja alle. Zum Beispiel teilen sich in Deutschland vier große Konzerne den Kuchen, weshalb wir in Europa den höchsten Strompreis zahlen, obwohl die Preise an der Strombörse purzeln. Und auch Personen, die zu anderen Anbietern wechseln als E.ON, Vattenfall und Co. entkommen ihnen nicht wirklich, denn selbst am kleinsten Stadtwerk ist mindestens einer der großen Vier irgendwie auch noch beteiligt und hält mit Sicherheit zumindest eine Sperrminorität
Und deshalb können uns die großen Vier auch vorjammern, sie müssten Großkraftwerke in die Nordsee setzen und eine Stromtrasse nach Süddeutschland legen, um den Strom zu den dortigen Industrien bringen, oberirdisch natürlich, sonst kostet das zu viel (dabei hat mir mein MdB Bernd Westphal vor über vier Jahren schon
zugebrüllt verraten, die Strompreise wären so hoch, weil die Unternehmen für den Umbau des Netzes Mittel zurücklegen würden - war anscheinend nicht genug für die Erdverkabelung, zumindest nicht bis zum Machtwort aus Berlin). Dabei läge die Zukunft der Energieversorgung eher in der dezentralen Versorgung in kleinen Stadtwerken und kleineren Energieprojekten, nicht darin, die abgeschalteten Atomkraftwerke gegen Großkraftwerke in Form von Offshore-Windparks auszutauschen. Die Spargel alle über Deutschland zu verteilen dürfte für die - zugegeben, wesentlich umweltfreundlichere und von mir auch geschätzte - Windenergie wesentlich mehr bringen als die Bündelung in der Nordsee, aber das ist nur die Meinung eines Mannes, der die Dezentralisierung bevorzugt, nicht die Bündelung.
Mein Fazit also: Die Versilberung der Grundversorgung wird mit Sicherheit kommen, die Griechen werden noch mehr Geld dafür ausgeben müssen, um überhaupt leben zu können, und ob die Privatisierung anderer Staatsbetriebe überhaupt erstmal die bestehenden Jobs erhält, geschweige denn die Höhe der bisherigen Gehälter, wage ich doch ernsthaft zu bezweifeln.
Immerhin ist es sogar hier in Deutschland üblich, verschiedene Löhne für gleiche Arbeit zu bezahlen, und das nur, indem die deutsche Post mal eben ein paar Tochterunternehmen gründet. Wenn das bei uns möglich ist, dann wird es in einem Land wie Griechenland, dem das Rückgrat gebrochen wurde, noch richtig lustig werden. Natürlich nicht für die Arbeiter und Angestellten, aber für die potentiellen Investoren, die jetzt ein Billiglohnland ausgerechnet in Westeuropa zum Austoben haben werden...
Weiterer Unsinn ist im Übrigen die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23% - zehn Prozent mehr, die jetzt vor allem die einfachen Bürger aufbringen müssen. Ich meine, hierzulande wettert die Zeitung für Hetze und Schuldzuweisung, die Griechen sollen doch ihre Inseln verkaufen, und ihre Reeder und ihre Milliardäre besteuern, vor allem aber ihr Schwarzgeld zurückholen. Und dann ist nicht eine einzige Maßnahme aus dem Forderungskatalog darauf ausgelegt, diese demographische Gruppe überhaupt zu erreichen. Keine Schwarzgeldmaßnahmen, keine Sondersteuer auf Reiche (an die Reeder gehen die eh nicht ran, denn die bezahlen europaweit keine oder nur wenige Steuern), keine Erbschaftssteuer für Mega-Erbschaften - aber die Renten und Pensionen sollen weiter gekürzt werden. Das stört hier aber keinen, weil die Solidarität in Europa mit den einfachen Leuten in den anderen Ländern erfolgreich totdemagogiert wurde. Wieder von der uns bekannten Zeitung, aber auch von Stammtischparolenparteien wie AfD und, ja, der CSU.
Ich meine, wie viel Ouzo verbraucht ein Reicher so am Tag, wie viel Tzaziki braucht er, und wie viele nagelneue Sportwagen wird er die Woche kaufen und damit die Mehrwertsteuererhöhung um zehn Prozent mittragen? Ich verrate es Euch: Der superreiche Grieche wird unter dreiundzwanzig Prozent Mehrwertsteuer eher kaum so leiden wie der einfache Bürger. Weil er nicht mehr braucht als die kleinen Leute, weil er nur eine begrenzte Anzahl an Sportwagen kaufen kann und weil er, ja, wesentlich mehr Geld zur Verfügung hat. Das immer noch sakrosant ist.
Alles in allem mag sich dieses kleine Land in den Euro geschmuggelt haben, mag es gelogen haben, mag es zu hohe Pensionen bezahlt haben, mag es zu viele Beamte bezahlt haben, die gar nicht existieren, und meinetwegen mag es ein Ausbund an Korruption und Vetternwirtschaft sein, das die Mafia neidisch über die Adria blicken lässt - trotzdem ist der europäische Forderungskatalog ein Lebensverschlechterungspapier für die ganz normalen Bürger, wie wir sie auch sind. Aber "die Griechen haben das ja nicht anders verdient", oder wie?
Meine Idee ist ja, dass Griechenland gezielt ruiniert wird, damit die Arbeitslosen für nen Appel und nen Ei bereit sind, in Deutschland zu arbeiten. Der Mindestlohn ist immer noch günstiger als mancher Branchenlohn. (Dazu fällt mir Robert Bosch ein: Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe; ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne zahle.)
Zusammenfassend beklage ich nicht nur die Ausbeutung des ganz normalen Griechen, sondern auch den Zusammenbruch der innereuropäischen Solidarität und den fehlenden Willen, neben der Bankenrettung etwas wirklich effektives für Griechenland zu tun. Hier Gelder für vier Prozent zu leihen und dieses Geld für sechs Prozent an die Griechen weiterzureichen ist jedenfalls nicht diese Hilfe.
Und Zusammenbruch der innereuropäischen Solidarität ist auch das nächste Stichwort. Die "feigen, faulen, Ouzotrinkenden, Syrtaki tanzenden, Siestamachenden Griechen" bewältigen gerade ohne jede Hilfe von uns eine Aufgabe, die uns eigentlich genauso angeht wie die Griechen selbst. Über Griechenland, genauer gesagt über seine Inseln im ägäischen Meer ergießt sich ein Strom an Kriegsflüchtlingen aus Syrien und auch aus Afrika. Die gute
Net Sparrow war kürzlich vor Ort und hat einen Bericht darüber geschrieben, den ich jedem hier ans Herz legen möchte.
Hilfe oder Geld aus Europa? Fehlanzeige. Menschlichkeit? Fehlanzeige. Die Griechen leisten, was sie können, aber hierzulande faselt man von "sicheren Herkunftsländern" und "beschleunigten Asylverfahren".
Fakt ist, die Vereinten Nationen habe Deutschland schon vor Jahren empfohlen, pro Jahr zwei Millionen Neubürger aufzunehmen, um den demographischen Wandel zu stoppen. Fakt ist, wir haben in Deutschland einen Wohnungsleerstand von rund fünf MILLIONEN Wohneinheiten. Fakt ist, wir haben eine Infrastruktur, die auf wesentlich mehr Menschen ausgelegt ist, als in diesem Land leben. Weil mehr Leute sterben als geboren werden. Fakt ist, diese syrischen Flüchtlinge kommen freiwillig zu uns, ebenso tun dies die Schwarzafrikaner, die Afghanen, und auch alle anderen, die sich als Ziel nicht England ausgesucht haben. Es sind nicht mal ansatzweise so viele Menschen, wie wir jedes Jahr aufnehmen und integrieren müssten, um das jetzige Schrumpfen der Bevölkerung zumindest zu verlangsamen. Warum tun wir das nicht? Warum entlasten wir die Griechen nicht? Die Syrer zum Beispiel haben meist einen hohen Bildungsstand, ihr Kulturempfinden ist unserem ähnlicher als man vermutet, und sie kommen nicht wegen der guten Sozialleistungen zu uns, sondern weil wir seit siebzig Jahren keinen Krieg mehr kennen, sind integrationsbereit, lernwillig und keinesfalls arbeitsscheu. Wir könnten die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln problemlos aufnehmen. Der Platz ist da. Die Infrastruktur ist da. Die Nahrung ist da. Wir könnten die Griechen entlasten. Aber wir tun es nicht. Dies in einem Land, das von einer Partei regiert wird, die "christlich" im Namen hat, die aber statt nach christlichen Werten der Nächstenliebe zu handeln lieber "Das Boot ist voll"-Stammtischrhetorik betreibt, das ist für mich schwer zu verstehen.
Und nein, ich muss "nicht selbst Flüchtlinge aufnehmen, wenn ich schon so für sie Partei ergreife". Es gibt genügend freien Wohnraum in Deutschland. Paradoxerweise stecken wir sie lieber in Zelte auf öffentlichen Plätzen, damit sie es nicht zu komfortabel haben und lieber zurück in ihre kriegsgeschüttelten (oder von Konzernen ausgebluteten) Länder gehen. Und manche Idioten von der CSU finden es dann auch noch unerhört, wenn eine Zeltstadt voller Flüchtlinge WLAN hat...
Anstatt Chancen zu nutzen, wird mal wieder... Ausgesessen. Irgendwann gehen die schon wieder nach Hause, wenn wir sie nur schlecht genug behandeln, oder was?
Mit einem Kopfschütteln beende ich diesen langen Blogtext. Deutschland und deine Aussitzpolitik, Du verpasst nicht nur die humanitäre Krise, sondern auch Deine großen Chancen. Denn ich verrate Dir eins: Es werden garantiert keine zwei Millionen Schweden, Norweger, Dänen oder Holländer nach Deutschland einwandern wollen. Heute nicht, und auch im nächsten Jahr nicht.