Heute will ich mal von was anderem bloggen als von meinen Geschichten und Gedichten und sonstigen Projekten.
Ich wollte schon sehr lange mal einen Artikel zu meinen Panikattacken schreiben. Ja, zu meinen Panikattacken. Wie sie losgegangen sind, wie sie mein Leben erschwert haben, wie sie mich eingeschränkt haben, und wie ich dann erst erkannt habe, was überhaupt mit mir passiert ist.
Denn das ist ein sehr großes Problem. Zu erkennen, was mit einem passiert. Ich wurde im Zuge meiner Panikattacken auf Asthma behandelt, mein Magen bekam eine endoskopische Untersuchung, und ich wurde gegen Hausstaubmilbenscheiße immunisiert. Das hat alles Symptome behandelt, die ich hatte, aber sie haben nicht zur Lösung des Problems beigetragen, beziehungsweise zur Auflösung der Symptome, die ich ja als eigentliches Problem angesehen habe. Was sie aber nicht waren.
Ich will das Problem mal näher erläutern. Bei mir war es zum Beispiel so, dass Autofahren für mich ein großes Problem war (und unter bestimmten Umständen auch heute manchmal noch ist). So ein richtig großes Problem. Anfangs wurde mir übel, und ausspeien brachte mir Erleichterung. Später befürchtete ich, am eigenen Schleim aus der eigenen Lunge zu ersticken, oder daran, dass Schleim aus meiner verstopften Nase besagte Lunge versperrt. Schließlich und endlich aber erlebte ich das Schlimmste überhaupt: Ich konnte nicht aufstoßen, obwohl ich das dringende Gefühl hatte, es ginge um Leben und Tod, wenn ich den Rülpser, der ständig drückte und raus wollte, aber nicht raus kam, nicht endlich auch raus beförderte. Unfähig, irgendetwas zu tun war dies ein sehr schlimmes Erlebnis, und eine lange Zeit war der selbstblockierte Rülpser mit Todesangst mein allerschlimmstes Problem.
Über all das will ich heute mal bloggen. Nicht nur, um es mir von der Seele zu reden, sondern weil ich irgendwann erkannt habe, dass andere auch so etwas haben, dass sie leiden, ohne zu wissen, woran sie leiden. Und wenn man versteht, dass die Krankheit bekannt ist und behandelt werden kann, verliert sie schon sehr viel von ihrem Entsetzen.
Auch darum schreibe ich das heute: Um anderen zu helfen. Denn die ganz großen Schwierigkeiten bei diesem Thema sind zu erkennen, dass man ein Problem hat, dass man nicht der Einzige mit solch einem Problem ist, und das Wichtigste: Der Auslöser der Panik und der eigentliche Grund der Panik müssen nicht viel miteinander zu tun haben.
Jetzt habe ich meinem alten Freund und Mitblogger Nerdlicht neulich einen Brief geschrieben, in dem ich mich intensiv mit meinen Panikattacken auseinandergesetzt habe. Dies ist natürlich eine tolle Grundlage für einen Artikel, weil das Meiste schon geschrieben ist. Ich muss jetzt also nur noch den Teil des Briefs mit meinen Panikattacken in einen Artikel umschreiben und hier und da wie jetzt neue, erklärende Sätze einfügen oder etwas streichen. Sollte Euch also eine Passage hier und da komisch vorkommen, sagt Bescheid, da habe ich dann wohl nicht richtig drüber gelesen.
Aber legen wir los mit dem eigentlichem Artikel: Ace hat(te) Panikattacken und lange gebraucht, dies zu erkennen.
Wie fing es eigentlich an? Ich hatte Atembeschwerden. Ich konnte nicht richtig atmen und dachte mehr als einmal, ich müsste an meiner eigenen Spucke ersticken oder an dem, was ich hochhuste oder aus der Nase runter ziehe. Es begann langsam, unerwartet und trat selten auf. Zu der Zeit war ich arbeitslos und stand natürlich unter extrem viel Stress aus verschiedenen Quellen, denn die deutsche Gesellschaft verzeiht es nicht, wenn man nicht schnellstmöglich wieder in Arbeit kommt.
Es ist nicht so, als hätte ich die Zeit nicht genutzt. Ich habe die vierbändige Für den Kaiser-Reihe geschrieben, neben mehreren Dutzend Bewerbungen pro Monat, die auch in Bewerbungsgesprächen resultierten und dann in kurze Arbeitsepisoden, die Monate oder Jahre andauerten. Aber da will ich jetzt nicht so ins Detail gehen. Ich war fleißig, aber das wurde nicht anerkannt. Dabei nahm ich jede Arbeit an, die ich kriegen konnte, und deshalb hatte ich einen auf zwei Monate befristeten Arbeitsvertrag ohne Verlängerung, der mir den Lebenslauf verhunzt hat, kam in ein Arbeitsverhältnis mit einem extrem toxischen Chef, der zudem Konkursbetrüger war, landete bei einem Urgestein, der mit mir kollidierte und ich mit ihm, um nur ein paar zu nennen.
Zwischen diesen Arbeiten hatte ich viel Kritik zu verdauen. Meine Kritiker sagten, ich tat einfach nicht genug, direkt ins Gesicht. Das traf mich, aber ich dachte, ich würde das wegstecken können, dank meines dicken Fells. Dass es aber Teil der Korrosion sein würde, hatte ich nicht erwartet.
Gleichzeitig aber nutzte ich meine Freizeit, um körperlich in Form zu kommen. Zu einem Zeitpunkt im Sommer ging ich regelmäßig ins Freibad, trainierte, steigerte mich und schwamm am Ende so viel, dass ich bereits bei achthundert Metern am Stück angekommen war.
Es machte mir Spaß, war eine großartige Herausforderung für mich, und ich wollte mich noch steigern, da ging es Peng, und irgendetwas rutschte durch meinen Körper, beziehungsweise ließ mich einen Moment vergessen zu atmen. Das war mir so noch nie passiert, vor allem nicht beim Schwimmen. Ich erschrak so sehr über meine Atemlosigkeit, dass ich seit diesem Tag nicht mehr im Schwimmbad war, um mein Training fortzusetzen. Und wenn ich doch im Wasser war, ein paarmal in der Ostsee, einmal in einem Spaßbad, ging das nur inklusive der üblichen Symptome wie Atemnot, Schleimbeschwerden und Reizhusten.
Und das ist ein großes Symptom der Panikattacken. Du gibst Dinge her, von denen du denkst, dass du keine Atemnot mehr hast, wenn du auf sie verzichtest. Aber dann lernst du irgendwann, aber erst Jahre später, dass das nur ein sogenannter Trigger war, also ein Auslöser, aber nicht der Grund für deine „Atemnot“. Denn Schalter, die die Beschwerden anstellen, gibt es viel zu viele. Die Ursache aber, die ist schwieriger zu erkennen. Und dann passiert das hier: Du gibst Dinge auf, schränkst dich ein, damit es dir besser geht, gibst Dinge aus deinem Alltag her, Deine Welt schrumpft und schrumpft, aber es wird nicht besser. Aber die Ängste werden größer.
Mein Hausarzt behandelte mich wegen der Atemnot auf Asthma. Ich musste alle Vierteljahre reinkommen, um meine Lungenfunktion zu bewerten, aber ich schaffte immer was um zwölf oder dreizehn Liter Durchflussvolumen, was weit über Durchschnitt liegt. Und ich musste einen Inhalator benutzen, was auch nichts gebracht hat. Aber ich erhielt keine andere Diagnose und wurde auch nicht zu einem Spezialisten geschickt. Stattdessen landete ich im Asthmatikerprogramm, aber auch das half mir nicht, konnte mir nichts raten. Wie denn auch, wenn ich gar kein Asthma hatte?
Ich spoilere mal ein wenig und verrate, dass ich mir mit der vermeintlichen Atemnot und dem ganzen Hochwürgen auch den Magen involviert hatte. Wann immer also der dachte, das ist mir zu heiß, zu scharf oder zu stark, oder hier ist mir zu viel los, machte er Randale – und meine Panikreaktion setzte ein. Dagegen hat natürlich ein Inhalator nicht geholfen. Und auch die Magentabletten, die ich mir selbst verabreichte, brachten nicht die Genesung, nur ein wenig Linderung. Wie denn auch? Ich behandelte Symptome, keine Ursachen. Auch diese Erkenntnis fand ich erst im Nachhinein.
Aber: Wenn ich jetzt so zurückdenke, dann hatte ich Panikattacken aus den unmöglichsten Gründen eigentlich schon früher, aber selten. In der Realschule in der Winterzeit, neunte und zehnte Klasse, verbrachte ich oft die erste, manchmal auch die zweite Stunde mit Übelkeit auf dem Klo und wartete ab, dass das flaue Gefühl, das mich so sehr quälte, verschwand. Heute weiß ich, irgendetwas hat meinen Magen getriggert und deshalb war mir so übel. Was es war, ich weiß es nicht. Aber mein Lebensweg wäre vielleicht ohne diese fehlenden Unterrichtsstunden heute ein wenig anders gewesen. Ja, damals war mir übel. Heute ist es das auch, ich verstand es nur falsch als Atemnot.
Auch danach, zwischen dieser Krise und meiner ersten Krise hatte ich das ab und an, aber nach der Schulzeit war es das erste Mal in meiner Arbeitslosigkeit, dass es so auftrat und mich nicht mehr verlassen wollte. Jahre der Qual, und sie sind noch nicht ganz vorbei.
Was ist das Ereignis Null? Nun, es war Hochsommer, ich fuhr einen Golf III ohne Klimaanlage, und ich hetzte im Geschäftsanzug zu einem Vorstellungsgespräch. Es war heiß, stickig, der Anzug warm, ich Idiot trug die Jacke im heißen Auto, und ich bekam kaum noch Luft. Ich fuhr zwanzig Kilometer im aufgeheizten dunklen Auto, steckte meinen Kopf aus dem Fenster und hoffte, es ginge mir bald besser. Auf der Rückfahrt zog ich dann die Jacke aus, man wird ja schlauer. Aber da hatte ich das erste Mal die Beklemmung, die Atemprobleme und die Schleimgeschichte auf der Hinfahrt erlebt, während die Rückfahrt fast vollkommen symptomfrei war.
Dann, ein paar Tage später, fuhr ich wesentlich leichter bekleidet, aber immer noch im heißen Auto zum Schwimmtraining und erlebte da das oben beschriebene Phänomen. Ich war auf der letzten von sechzehn Bahnen, und mittendrin passierte irgendwas in meinem Körper, was ich glaubte nicht zu kennen und mich dermaßen erschrak, dass ich sofort zu schwimmen aufhörte. Daraufhin bin ich mit Wassertreten, nicht mit meinem Kraustil, zum Rand gelangt und habe das Becken nie wieder betreten.
Ab da steigerten sich diese Anfälle, wurden mehr und mehr und bekamen neurotische Auswüchse. Plötzlich hatte ich Probleme und Angst davor zu schlucken. Ich erinnere mich, am nächsten Tag war ich zur Probearbeit eingeladen und musste dreißig Kilometer fahren. Ich saß da und aß etwas, und plötzlich hatte ich Angst, mich zu verschlucken. Nur sehr langsames Kauen und sehr wohl dosiertes, stark überwachtes Schlucken brachten mich da durch. Natürlich war es wieder Hochsommer.
Während der Probearbeit war ich vom
Harz bis Braunschweig unterwegs und trank dabei gerne mal einen
Kaffee. Das bereitete mir Magenschmerzen, aber noch keine
Panikattacke. Die Arbeit war nichts für mich, also ließ ich es. Vor
allem, nachdem ich in Seesen an einem sehr heißen Tag durch die
Stadt rannte und glaubte, an der Hitze sterben zu müssen. Zugegeben,
es war sehr heiß und ich war sehr überhitzt. Ab hier entwickelte
ich die ganzen Symptome generell beim Auto fahren.
Ich stieg ins
Auto und musste husten, niesen, würgen, musste meine Konzentration
für die Straße erzwingen und verstand überhaupt nicht, was
überhaupt mit mir vorging.
Trotzdem bin ich stolz darauf, dass ich in dieser Zeit jeden einzelnen meiner nahen Verwandten zu jedem verdammten Arztbesuch gefahren habe, und sie sicher hin und wieder nach Hause gebracht habe. Auch den wöchentlichen Einkauf habe ich übernommen, und selbst wenn ich im Rewe in der langen Reihe an der Kasse stand und mich dem Würgehusten hingeben wollte, der mir angeblich Erleichterung verschaffte, zog ich es durch, blieb stur und aufrecht. Damals wusste ich ja noch gar nicht, dass dies ein Teil der Lösung war. Ich war einfach stur, wie es meine Art ist. Aber, meine Güte, was habe ich dafür gelitten.
Es verging die Zeit, ich blieb arbeitslos oder war nicht sehr lange angestellt (aus den verschiedensten Gründen, und ja, damals war ich dann schon in Hartz IV, was meine Situation noch weiter verschlimmerte, weil ich natürlich viel zu wenig gegen meine Situation tat, wie man mir wieder und wieder sagte), und ich kann wohl zu Recht sagen, dass die ungewisse Situation ihren Teil dazu beigetragen hat, mir diese Beschwerden einzubringen und zu kultivieren.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich am Wochenende eine Zeitlang in einer Disco einen Bandwettbewerb moderierte, unentgeltlich, einfach nur damit ich einen Vorwand hatte, Auto zu fahren. Ich quälte mich die Abende hin und dann zurück nach Hause, aber ich ließ es mir nicht nehmen, mal wieder rauszukommen und ein wenig Normalität erleben zu wollen. Besser wurde es nicht, aber ich bewies mir selbst, dass da noch was war. Dass ich noch eine gewisse Kontrolle hatte.
Dann geschah das Schlimmste, was ich mir in diesem Zusammenhang vorstellen konnte. Das mit dem Aufstoßen. Es klingt banal, ich weiß. Es war natürlich wieder Sommer, ich war noch immer arbeitslos, aber ich erledigte den Einkauf für die ganze Familie. Natürlich. Man will ja was Sinnvolles machen. Ich hatte wieder Angst, an der eigenen Spucke zu ersticken. Nur diesmal wollte ich aufstoßen, aber es kam nichts raus. Rein gar nichts. Ich hatte das Gefühl, der Rülpser würde mir in der Kehle stecken und mich irgendwann zerreißen. Stundenlang gelang es mir nicht, den Überdruck abzusondern. Ich quälte mich nach Hause und konnte nicht mal die Nudeln zum Abendbrot essen, mein Lieblingsessen. Da sah mich meine Mutter an und sagte, ich solle in die Hände atmen, da ich offensichtlich Panik hatte.
...Das war der Wendepunkt für diese Erkrankung. Denn in die hohlen Hände atmen und mehr CO2 zu inhalieren half dabei, mich zu beruhigen, half mir aufzustoßen und für dieses Mal die Panik wieder loszuwerden. Nicht nur das, ich wusste plötzlich, dass ich kein Asthma und keine Atemwegsbeschwerden hatte. Es war der dämliche Magen. Ab hier war es natürlich ein weiter Weg zur eigentlichen Erkenntnis. Einige Nächte wachte ich auf und glaubte, schier ersticken zu müssen. Jede Autofahrt, zu der ich mich durchquälte, wurde eine Tortur für mich.
Einmal fuhr ich nach Braunschweig. Die Rückfahrt war so schlimm für mich, ich habe danach Jahrelang den Zug genommen, was noch irgendwie einigermaßen ging.
Aber selbst eine Busfahrt oder eine Zugfahrt löste die Symptome aus. Eine Sache ließ ich mir nie nehmen, das war mit meinen Freunden zum letzten Heimspiel von Hannover 96 zu fahren. Noch bevor ich in den Zug stieg, setzte die Panik mit den Magenbeschwerden ein. Aber ich wusste, nachdem ich das erste Bier getrunken hatte, würde sich meine Welt wieder beruhigen. Also lief ich mit den Anderen durch Hannover, an der Markthalle schmiss jemand die erste Runde, und ich hatte Probleme, auch nur von meinem Bier, das mir doch die Linderung meiner Symptome versprach, zu trinken. Meine Freunde missverstanden das, und einer sagte mir: „Alex, wenn du jetzt auf den Streifenwagen da vorne kotzt, wirst du unsterblicher Held der Runde.“
Nun, ich musste nicht kotzen, trotz aller Übelkeit, und irgendwann konnte ich trinken, zeigte das Bier Wirkung, und der Rest des Tages verlief wesentlich angenehmer. Auf das Bier werde ich später noch mal eingehen, wichtig hier zu wissen ist, dass ich bereits Wege kannte, meine Beschwerden zu erleichtern, bevor ich wusste, was ich hatte. Aber wie gesagt, seit dem Tag, an dem ich nicht aufstoßen konnte, war mir klar, was mit mir los war. Das, was mir passierte, hatte viel von Hyperventilieren. So kam ich den Dingen auf die Spur.
Dann traf ich mehrere Leute, die ähnliches durchgemacht hatten und noch immer tun. Ich erkannte, dass ich nicht alleine war, dass es oft vorkam, und dass die Meisten nicht wussten, was sie hatten oder wie sie damit umgehen mussten. Auch ich musste erst jemanden treffen, der mir erklärte, dass die Angst selbst und deren Auslöser nicht unbedingt etwas mit dem Grund der Angst zu tun hatten. Das Erschreckende daran? Nur weil du es nun weißt, geht die Angst nicht weg. Ich hatte mich beim Autofahren weiter und weiter eingeschränkt, selbst Fahrten in Nachbarortschaften oder die nächste Stadt waren eine Tortur, zumeist aber nur auf dem Hinweg. Oft genug verließ der Rückweg für mich beschwerdefrei, aber nicht immer.
Der Grund für meine Angstattacken, also der Ursprung, rückte in die Bedeutungslosigkeit. Wichtig war die getriggerte, symptomische Angst. Ich lernte also etwas über Trigger, die Auslöser, die wirklich unwillkürlich passieren konnten, über die Angst selbst, die nichts mit der Atmung zu tun hatte, sondern mit dem Magen – so oft, wie ich hochgewürgt habe, kann ich wahrscheinlich froh sein, dass meine Magensäure nicht die Speiseröhre verätzt hat – und dass meine Angst vor dem Autofahren mit einer Art ritueller Handlung bekämpft werden konnte, dem sogenannten Skill. War bei mir eine Hand vor den Mund halten und meine Atemluft wieder einatmen, was ich dann auch oft genug tat. Hatte natürlich keinen wirklichen Effekt, aber es half mir, die Symptome zu kontrollieren. Später erarbeitete ich mir neue, wichtige Tipps, doch dazu später mehr.
Wichtig war, dass ich in jener Zeit eine Hürde übersprang. Ich wurde von der Post befristet eingestellt, ausgerechnet von der Post. Die nächsten zwei Jahre war ich damit beschäftigt, jeden Tag Auto zu fahren. Selbst zu fahren, wohlgemerkt. Und ja, was habe ich gehustet und geprustet und gezittert und gebebt. Aber nicht die ganze Zeit, nicht immer. Anfangs, als ich das erste Mal allein fuhr öfters, im nächsten Monat nur noch in Situationen mit besonderem Druck, wie wenn ich so spät dran war, dass ich die Tour abbrechen musste. Selbstredend kam das selten vor, und ich habe auch ein gutes Zeugnis für meine Arbeit erhalten, aber das nur am Rande.
Aber, mich der Angst zu stellen und das Auto fahren zu erzwingen half mir tatsächlich. In zwei langen Jahren erlangte ich zumindest auf kurzer Strecke eine gewisse Kontrolle, Resistenz zurück. Der Anfang war schwer, zugegeben, aber es trat ein Gewöhnungseffekt ein, sodass ich irgendwann nicht mehr jeden Tag mit Übelkeit und Atemnot zu kämpfen hatte. Es wurde für mich normal, meistens nichts zu haben. Hilfreich war für mich natürlich in meinem Dasein als Postbote, dass ich nicht wirklich weite Strecken zu fahren brauchte. Aber hey, es waren trotzdem einige Kilometer, und ich fuhr den ganzen Tag. Und für die, die es interessiert: Ja, ich habe trotz den gelegentlichen Übelkeitsattacken meine Arbeit fast immer gut geschafft, und das auch in der vorgegebenen Zeit. Weil ich mich einfach gezwungen habe, die Attacken wegzuschieben und meine Arbeit zu machen, anstatt irgendwo still die Dinge auszusitzen. Das war nie meine Lösung, nie meine Art.
Wichtig muss ich hier anmerken: Es braucht Jahre, diese Angst aufzubauen. Und selbst wenn du erlernst, wie du ihr begegnest, dauert es ebenso lange, bis du sie wieder los bist. Ich habe die Angst in Jahren kultiviert, und ich brauchte Jahre, um sie einzudämmen. Wann immer mein Magen in Aufruhr ist oder wann immer mir ein Rülpser quer steckt, merke ich natürlich, dass ich noch nicht ganz durch bin. Man entkommt nicht so ohne weiteres. Der Körper hat sich das mit der Angst gemerkt und kramt es gerne wieder vor, gerade wenn irgendwelche unbekannten Dinge auftreten wie ein Gluckser hier im Magen, dieses tuckernde Gefühl im rechten Arm, dieses plötzliche merkwürdige Ziehen irgendwo in der Lunge. Der Körper spielt dann sofort die Angst-Geschichte ab.
Dann wurde ich bei der Post nicht verlängert, (was ich aber von vorne herein gewusst hatte) und weite Strecken traute ich mir immer noch nicht zu. Es folgte wieder ein halbes Jahr Arbeitslosigkeit, aber dankenswerterweise kein Hartz IV, was wohl der Hauptauslöser gewesen war, das zusammen mit dem „ich würde mir nicht genug Mühe bei der Jobsuche geben“ von Dritten. Nicht hilfreich, wirklich nicht hilfreich.
Aber nach dem halben Jahr bekam ich eine neue Stelle. In Hildesheim wurde ein Fahrer gesucht. Der Einsatzort: Ostniedersachsen. Ich fuhr Autolack und KFZ-Teile nach Hannover bis Celle, manchmal bis Soltau und sogar Bremen, nach Braunschweig und Umgebung bis Wolfsburg raus, den Harz runter bis Nordhausen, also das alte „drüben“, und einmal um den Solling und das Weserbergland wieder hoch manchmal bis Stadthagen. Langstrecke also, jede Menge Langstrecke. Mein erklärter Endgegner.
Klar ging das nicht ohne die körperlichen Symptome. Sie waren nicht ständig da, aber manchmal hatte ich sie, und das glücklicherweise sehr, sehr selten. Ich kämpfte mich durch, unterbrach sie, durchlitt sie, wurde sie wieder los. Sie wurden weniger, dank meiner Fahrerei. Ich ging in den anderthalb Jahren bis zum Tode meines damaligen Chefs sehr wichtige Schritte zurück auf dem Wege, meine Angst loszuwerden. Leider war sein Tod auch das Ende der Firma.
Traurig ist, dass ich trotz dieser Arbeit, in der ich durch Hannover fuhr, durch Bremen, den Harz rauf und runter, immer noch nicht wirklich meine Angst vor Fernstrecken verloren habe. Solange ich im T5 saß, war fast immer fast alles gut. Aber im eigenen Auto auf längerer Strecke? Tja. Das ist noch da, das nagt an mir. Und als ich zweimal nach Braunschweig gefahren bin, hatte ich durchaus wieder Beschwerden. Aber, es wird besser. Die Angst wird weniger, und so richtig Schiss davor, an einem Rülpser zu sterben habe ich auch nicht mehr. Im Gegenteil, wenn mir wieder einer quer steckt, warte ich gelassen die Zeit ab, bis er kommt. Und auch wenn es danach noch nicht gut ist, warte ich eben den nächsten Rülpser ab, den übernächsten, und, und, und. Ich habe gelernt, Dinge, die mich nicht töten, zu ignorieren oder zumindest aus meinem Bewusstsein rauszunehmen und in eine Schublade zu packen.
Diese Dinge werden seltener und seltener. Ich erinnere mich, dass ich mir einmal im Auto sagte, als ich Angst hatte, ich würde während der Fahrt Panik kriegen: „Alex, irgendwann steigst du in dein Auto und vergisst, dass du eigentlich Angst vor einer Panikattacke haben solltest.“
Und genau das ist auch eingetreten. Die
meiste Zeit, in der ich mich jetzt in meinen Wagen setze, habe ich
keine Symptome mehr, und meistens denke ich auch überhaupt nicht
daran, dass ich eigentlich eine Panikattacke oder zumindest Angst
davor haben müsste.
Ich bin es noch nicht ganz los, aber es wird
besser. Jeder Tag wird besser.
Wie bin ich es losgeworden? Erkennen, dass du ein Problem hast. Dass viele das Problem haben. Man ist damit nicht allein, es gibt Hilfe. Dass Sprechen, Erfahrungen austauschen, sehr wichtig ist. Erkennen, was das Problem ist. Das beseitigt nicht die Ursachen der Angst, aber es macht die Symptome bekämpfbar. Als ich wusste, es ist Angst, die ausgelöst wird, wenn ich nervös, ängstlich werde, wenn ich ins Auto steige, war klar, was ich tun musste.
Ich verdanke sowohl meinem Job bei der Post als auch dem im Hildesheim, bei dem ich noch mehr und noch weiter fahren musste, einen Teil meiner Befreiung. Dass ich mich jetzt wieder auf weitere Strecken traue, liegt auch daran, dass ich bis Bremen hoch musste. Aber das Thema ist noch nicht ganz erledigt. Zwar vergesse ich meistens, dass ich eigentlich Angst haben müsste – oder Angst vor der Angst – aber ich hadere immer noch vor weiteren Strecken.
Eigentlich müsste ich sie deshalb erst Recht fahren. Eigentlich müsste ich auch wieder anfangen, regelmäßig zu schwimmen oder sonst einen Sport aufnehmen, etwas, was mich auch getriggert hat, nebenbei bemerkt. Ich habe viele negative Erlebnisse, das Reisen betreffend, in diesem Leben getan, und obwohl ich weiß, dass ich ruhig mal nach Hildesheim fahren sollte, um die Autobahn A7 mal bis Seesen runter zu fahren, einfach um meinen inneren Dämon herauszufordern und niederzuringen, wie ich es beim Fahren durch Ostniedersachsen so oft getan habe, tue ich es nicht. Ich traue mich nicht so recht, aber diesmal hoffentlich nur aus Bequemlichkeit.
Ich bin es fast los. Fast. Ich ging einen langen Weg, um es problematisch zu machen, und ich gehe immer noch einen langen Weg zurück, um es wieder los zu sein. Diesmal hoffentlich für immer. Diesmal weiß ich ja, was es ist und warum ich es habe. Noch kein Happy Ende. Noch nicht.
Aber ich habe noch etwas anderes
versprochen. Was hilft denn jetzt wirklich?
Leute, ich sage es
nicht gerne, aber Bier hat mir geholfen. Es beruhigt, es entspannt.
Man kann wenigstens in Ruhe schlafen. Hopfen und Malz sind natürliche
Nervenberuhiger. Aber, auch das musste ich feststellen: Zu viel Bier,
und das Maß hierfür ist recht klein, bedeutet einen sauren Magen am
nächsten Morgen und eine unglaublich große Chance, wieder ins alte
Angstverhalten reinzurutschen, einfach weil der Magen vollkommen zu
Recht Beschwerde einlegt, dabei aber die alten Angstsymptome vom
Ersticken und vom Aufstoßen hochspült.
Eine Zeitlang habe ich Tabletten gegen Magensäure genommen. Hat zumindest ein Symptom gemildert. Aber das Inhaliergerät gegen Asthma hat naturgemäß nichts gebracht, denn anstatt mich auf Asthma zu therapieren, hätte ich auf Angstattacken behandelt werden müssen.
Und, das habe ich oben auch schon geschrieben, Gewöhnung ist ein ganz großer Faktor. Gewöhnung ist das, was großartig dabei hilft, die über Jahre aufgebauten bösen Gewohnheiten wieder runterzuschleifen, sich wieder der Normalität zu nähern. Also Gewöhnung daran, das zu tun, was eigentlich die Angst auslöst, und dann ignorieren, dass man Angst kriegen könnte. Oder eine Angstattacke, egal wie groß oder wie klein, beiseite schieben und weitermachen, als hätte man keine.
Ich erinnere mich, vor zwei Jahren bekam ich zum Geburtstag einen Kaffeevollautomat. Ich probierte mit den Mahlwerkeinstellungen herum und machte mir zwei ziemlich starke Kaffee, die mir gut schmeckten. Aber die ich als Dünnkaffeetrinker nicht gewohnt war. Dadurch und die Tatsache, dass ich nachmittags arbeiten musste, hatte ich eine ziemliche Kreislaufgeschichte und musste einfach warten, bis das Koffein wieder abgebaut war. Dabei hatte ich erhebliche Probleme, die mich doch sehr an meine Angstattacken erinnerten, und selbst ein Kunde sprach mich an und empfahl mir, mich im Backroom irgendwo hinzusetzen und dort zu warten, dass die „Angst“ abklinge. Dabei war es nur Kaffee, der den Magen umdrehte und damit die Symptome duplizierte. Kreislauf, wenn man so will.
Ja, auch Kaffee triggert. Warum erwähne ich das hier und nicht weiter oben? Nun, weil es hilft, sich an den Kaffee zu gewöhnen. Eine Zeitlang habe ich gar keinen Kaffee getrunken, wenn ich wusste, dass ich noch Auto fahren musste. Aber genau das ist dieses selbst Einschränken, von dem ich ganz oben gesprochen habe. Dieses sich selbst ein Stück Leben wegnehmen. Deshalb trinke ich weiter meinen Kaffee, aber manchmal etwas schwächer.
Ich fasse zusammen: Wenn man beginnt, sich selbst einzuschränken, stimmt etwas nicht. Ich mag nicht mehr Autofahren, weil mir plötzlich schlecht wird? Ich kriege Flugangst vor der Zugfahrt? Ich gehe nicht mehr schwimmen, weil dann der Magen wieder hochkommt und ich Angst habe, am eigenen Schleim zu ersticken? Das sind alles Symptome, aber nicht der Grund der Beschwerden. An ihnen rumzudoktern hilft kurzfristig.
Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe,
weiß ich, dass ich an den Ursachen nur indirekt gearbeitet habe,
aber viel gegen die Symptome getan habe. Ich habe mir an die Nase
gefasst, um einen Skill auszulösen, der mir Erleichterung brachte,
ich atmete in die Hände, ich lernte aktiv, beim Aufstoßen keine
Konzentration darauf zu verschwenden, dass ich auch aufstieß, wenn
er kam, dann kam er, bis dahin schloss und schließe ich den Gedanken
weg. Ich weiß, zu starker Kaffee in Verbindung mit Autofahren ist
eine Sache, die Symptome auslöst. Das Gleiche gilt für durchzechte
Nächte. Der nächste Tag bringt einen Magen in Aufruhr, und auch
wenn ich weiß, dass sich die Ängste nur in meinem Kopf abspielen,
und ich nicht wirklich sterben muss, so nimmt mein Körper doch jedes
andere „unerklärliche“ Ereignis als Grundlage, um Todesangst
nach oben in mein Bewusstsein zu spülen. Ich weiß gerade, ich
vergesse hier eine Sache. Vielleicht reiche ich die nach.
Also, wer immer so etwas erlebt: Das haben tausende, wenn nicht hunderttausende Menschen irgendwann einmal in ihrem Leben. Es ist schwierig, aber nicht gefährlich. Es ist schmerzhaft, aber nur wenige Menschen haben sich bisher zu Tode gefürchtet. Es gibt immer irgendjemanden, der diese Ängste auch hatte und mit Rat und Tat zur Seite stehen kann. Reden hilft enorm. Erkennen, was man hat, hilft auch sehr. Erkennen, was die Beschwerden auslöst, und daran arbeiten ist sehr hilfreich. Wie ich oben schon schrieb, man braucht Jahre, um so eine Angst aufzubauen und zu kultivieren, und Jahre, um sie wieder loszuwerden. Dabei ist, manche Dinge einfach nicht mehr zu tun, die dümmste Idee. Ergo müsste ich ein paarmal kreuz und quer durch Deutschland fahren, um meine Angst herauszufordern. Aber ich fange da lieber etwas kleiner an, denn ich weiß ja, bis Bremen habe ich es schon geschafft, und das nur anfangs mit Magenbeschwerden, die meisten Fahrten erfolgten symptomfrei. Die Skills entwickeln hilft auch, also Rituale, die ablenken, konzentrieren, die helfen, die Angst beiseite zu schieben.
Und es ist sehr, sehr wichtig, dass man daran arbeitet. Eine Episode aus dieser Zeit habe ich noch gar nicht erwähnt. Die Atmung. Es gab während meiner Krisenzeit nicht nur schlaflose Nächte, sondern auch Zeiten, in denen ich jeden einzelnen Atemzug bewusst tat. Ich kontrollierte, dass ich atmete. Ich war mir dieser Routinesache nie mehr bewusst als in jener Zeit, und ich war total verunsichert, was mit mir passierte. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass das das Erste war, was von meinem Symptomen verschwand, nachdem ich den Kampf gegen mich selbst aufgenommen hatte. Aber, es war eine grausame Zeit.
Wenn sich hier jemand wiedererkennt,
tretet ruhig an mich heran, fragt. Ja, Ihr braucht Hilfe. Ja, ich
hätte auch in professionelle Hände gemusst, das wäre
wahrscheinlich klüger gewesen. Aber alleine das Reden mit jemandem,
der so etwas ebenfalls durchmacht oder durchgemacht hat, ist alleine
schon wegen dem Erkenntnisgewinn wichtig. Werdet nicht wie der arme
Bursche, der nur noch zu Fuß ging, weil er Autofahren, Bus fahren,
Bahn fahren, alles nicht mehr ertragen konnte, seinen Heimatort nicht
mehr verließ, keine Orte mit vielen Leuten mehr aufsuchte, weil es
seine Beschwerden triggerte und der sich sicher war, so eine
exotische Krankheit zu haben, dass ihm niemand helfen konnte.
Seid
nicht wie das junge Mädchen, das nur deshalb Freitag Abends in die
Disco kam, in der ich den Bandwettbewerb moderiert hatte, damit sie
nicht auch den letzten Tag der Woche in der Sicherheit ihres
Schlafzimmers verbrachte und möglichst gar nichts tat, um keine
Angstattacken zu triggern.
Es ist Angst. Viele Leute haben Angst.
Wenige Leute suchen sich die Hilfe, die sie brauchen und die ihnen
auch zusteht. Einige wie ich werden missverstanden und falsch
behandelt.
Seid nicht wie der junge Mann, der nicht mehr essen
konnte, weil er Angst vor dem Schlucken hatte und sich deshalb
letztendlich selbst einweisen wollte - und dann noch Angst hatte,
nicht ernst genommen zu werden.
Ich merke eine Sache relativ genau. Je stabiler meine Arbeitssituation wird, je weniger Einsprüche ich vom Spielfeldrand meines Lebens erhalte, je mehr ich mich konsolidiere, desto weniger werden meine Beschwerden. Denn die innere Selbstsicherheit verloren zu haben, war die Ursache. Sie zurückzuerlangen ist meine Schlacht. Ich bin noch nicht ganz da, habe es noch nicht ganz geschafft. Die Angst begleitet mich, wartet auf meine Schwäche und schlägt dann zu. Ja, auch heute noch. Aber es wird weniger. Das Ende ist absehbar. Wenn nichts dazwischenkommt. Wir werden sehen.
Und Ihr seht, dass ich durch eine
unruhige Zeit gegangen bin. Dies wünsche ich niemandem. Also tut
etwas für Euch selbst. Gerade, wenn ihr Teile meiner Symptome an
Euch selbst entdeckt. Ihr verdient Hilfe. Ihr braucht Hilfe. Es ist
nichts Superkompliziertes, nichts Superseltenes. Man kriegt es mit
Hilfe in den Griff, versprochen. Und irgendwann ist man es auch
wieder los. Auch das verspreche ich. Aber diese Krankheit ist wie
eine Reise. Man muss sich auf den Weg machen, um das Ziel zu
erreichen. Ich bin fast an meinem Ziel, auch wenn ich öfter als ich
es gut finde strauchle, stolpere oder auch mal ein paar Schritte
zurückgehe. Aber ich bin dem Ziel näher als noch vor einem Jahr. Es
wird besser, nach und nach. Auch für Euch.