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Freitag, 4. Februar 2011

Til Schweiger fordert... Ja, was eigentlich?

Es ist noch nicht lange her, nämlich genau Dienstag, da hat der pensionierte Bundeswehroffizier Immo von Schnurbein ein sehr interessantes und erwachsenes Plädoyer für die Gorch Fock gehalten, deren Kapitän er einmal war. Auch brachte er seine absolute Wertschätzung für den abgesetzten Kapitän Schatz zum Ausdruck, der sogar von Schnurbeins Sohn ausgebildet hat. Mit anderen Worten: der graue, kluge alte Mann sprach mir in dieser unseligen, hochgeredeten Affäre so ziemlich aus der Seele.
Ich hätte danach nicht gedacht, dass da noch etwas nachkommt. Also schaute ich ab dort nicht weiter.

Augenscheinlich habe ich mich geirrt, denn Til Schweiger, dem bekannten deutschen Schauspieler, ging danach in der Diskussion um den Fall des toten Mirko die Hutschnur hoch, und erst eine Schlagzeile der BILD, in der Schweiger das "deutsche Gutmenschentum ankotzt", und danach Fragment auf Fragment in Fernsehsendungen purzelten auf mich ein, und ließen mich erkennen, dass Herr Schweiger vor allem die Sicherheit seiner Kinder im Sinn hatte. Nach ihm haben "Vergewaltiger ihren Platz in der Gesellschaft verwirkt".

Nun, Til Schweiger ist international bekannt, hat viele Filme gedreht, Drehbücher geschrieben und produziert. Er hat in Hollywood gedreht, und das nicht in den schlechtesten Produktionen. Und er hat vier Kinder. Das ist schon mal eine beeindruckende Biographie, und als Schauspieler schätze ich Herrn Schweiger spätestens seit "Der Eisbär".
Allerdings trübt sich das doch ein wenig, wenn Herr Schweiger wütend darüber berichtet, in den USA könne er anhand des Internets erkennen, ob in seiner Nachbarschaft ein Sexualstraftäter lebe oder nicht.

Sehr geehrter Herr Schweiger, dies ist nicht die USA, und das ist auch gut so.
Was das Thema Sexualdelikte angeht, so bin ich persönlich der festen Überzeugung, dass diese geahndet gehören. So bin ich der festen Überzeugung, dass den Tätern ebenso geholfen werden muss, wie es für die armen Opfer zwingend notwendig ist. So bin ich der festen Überzeugung, das sexuelle Gewalt ein Problem ist, das aus der Gesellschaft kommt, und vielleicht aus der Gelegenheit. Gerade Gewalt und gerade sexuelle Gewalt gegen Kinder findet im persönlichen Umfeld statt. Was kann man dazu sagen? Was den Tätern, was den Opfern? Es ist ein sehr schwieriges Thema, ein brisantes Thema, und es sollte auch ein gesellschaftlich geächtetes Thema sein.
Manche unseriöse Kinderschutzorganisationen sprechen sogar davon, es werde totgeschwiegen.
Tatsache ist natürlich, dass wir in Deutschland weder jeden Fall von Gewalt gegen Kinder, sexueller Gewalt gegen Kinder, noch jede Vergewaltigung aufdecken, aufrollen, und gerichtlich abschließen. Jede solche Tat, die uns entgeht, ist einer zuviel, möchte man sagen.
Falsch, sage ich. Jede solche Tat, die begangen wird, ist eine zuviel.
Soweit meine persönliche Meinung.

Aber kommen wir zur anderen Seite der Medaille. Kommen wir zu den Tätern. Herr Schweiger, haben Sie einmal, nur ein einziges Mal daran gedacht, dass Justiz, Ärzte, Therapeuten sich etwas dabei gedacht haben, wenn sie einen ehemaligen sexuellen Gewalttäter wieder "auf die Menschheit loslassen"?
Natürlich, jeder dieser Menschen, die rückfällig werden, die ein weiteres Menschenleben zerstören, ist auch einer zuviel. Aber ist lebenslang wegsperren die richtige Lösung? Ja, werden Sie sagen. Aber so funktionieren unsere Gesetze nicht.
Ich bin der festen, der festen Auffassung, dass jeder Mensch in seinem Leben eine zweite Chance verdient. Dass er Unrecht wieder gut machen darf, dass er nach seiner Strafe ein Anrecht auf ein Leben in der Gesellschaft haben muss. Ich bin der Überzeugung, dass ein therapierter ehemaliger Sexualstraftäter unter der Voraussetzung, dass er nicht als Rückfallgefährdet angesehen wird - psychiatrisch - auch diese Chance erhalten sollte.

Da gibt es Menschen, die Milliarden veruntreut haben, Tausenden ihrer Kunden die gesichert geglaubten Leben zerstört haben, und die nach ihrer Strafe wieder frei kommen, nur um mit ihrem Wissen über Finanzmärkte und die Leichtgläubigkeit genau das Gleiche wieder machen zu können. Geld vernichten, der Deutschen liebstes Kind. Geld, das eine essentielle Lebensgrundlage für uns alle ist. Gilt das als Kavaliersdelikt? Erstaunlicherweise fordert niemand, diese Leute im Internet kenntlich zu machen, damit man sehen kann, ob in seiner Nachbarschaft einer von ihnen lebt...
Und dann ist da noch der Fall der Männer, die aus dem Gefängnis entlassen werden mussten, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die nachträgliche Sicherheitsverwahrung für ungesetzlich erklärt hat. Diese ehemaligen Straftäter werden von Polizisten begleitet, egal wo sie leben. Im Moment schützen diese Polizisten diese Menschen vor Übergriffen aus der Bevölkerung. Aber glauben Sie mir, ursprünglich waren diese Polizisten dazu gedacht, genau das Gegenteil zu machen.
Können Sie sich vorstellen, dass sich die Justiz etwas bei ihrem Vorgehen gedacht hat? Das sie vielleicht an Reintegration gedacht hat?
Wie oft, Herr Schweiger, lesen Sie davon, das ein als geheilt entlassener Sexualstraftäter rückfällig wird? Und wie viele solcher Fälle, glauben Sie, werden von Boulevardblättern wie der BILD ignoriert? Nun, ich möchte annehmen, dass Diekmann ALLE diese Fälle breittritt, und wir die Anzahl der Schlagzeilen als auf Augenhöhe mit der Anzahl der Taten gleichsetzen können. Ist diese Zahl auch gleich zu setzen mit der Anzahl als geheilt entlassener Sexualstraftäter? Ich denke nicht. Könnte es also sein, dass die Resozialisierung funktioniert?

Herr Schweiger, ich verstehe, dass Sie Angst haben, Angst um Ihre Kinder, vielleicht Angst um die Kinder anderer Eltern. Ich verstehe und respektiere das.
Aber von einem gebildeten, weit gereisten Menschen wie Ihnen, jemanden, den man zu respektieren wünscht, hätte ich mehr erwartet als Phrasendrescherei auf Stammtischniveau. Ich hätte erwartet, dass er sich mit der Resozialisierung auseinandersetzt und sich die Frage stellt: Ist Resozialisierung solcher ehemaliger Straftäter eigentlich möglich? Möchte ich das glauben? Hat unsere Justiz Recht, oder habe ich Recht?
Natürlich ist da viel Angst im Spiel, und natürlich bin ich selbst ein unverbesserlicher Gutmensch, der schlau reden kann, aber beim ersten Gewaltverbrechen dieser Art in seinem persönlichen Umfeld sein Fähnchen um hundertachtzig Grad drehen wird, um die Todesstrafe für diese Delikte wieder einzufordern. Aber lassen Sie mich sagen, bevor ich mich so vollkommen verändere, dass zumindest ich an den Resozialisierungsstaat glaube. Auch, dass die Gerichte ihr Möglichstes tun, um die Mitbürger vor Gewaltverbrechen jedwelcher Art zu schützen. Auch vor Wiederholungsstraftätern.
Ein entlassener Sexualstraftäter ist nicht automatisch ein Wiederholungstäter. Aber, Herr Schweiger, vielleicht wird er zum Amokläufer oder zum Selbstmörder. Er muss nur irgendwann dran zerbrechen, dass ihm niemand eine Chance gibt. Dann wäre wegsperren auf Lebenszeit natürlich die humanere Methode als eine lebenslange Hetzjagd durch die BILD-Zeitung.

Herr Schweiger, ich wünsche mir wirklich, dass Sie als Mensch, den ich als Schauspieler schätze, in Zukunft auf einem höheren Niveau als der BILD-Zeitung diskutiert, und wenigstens versucht zu verstehen, dass entlassene sexuelle Straftäter - nur ganz eventuell, zufällig, und ich vermute es auch nur, ohne es zu wissen - nichts weiter wollen als ihre Leben fortzusetzen.

Ein tschechisches Sprichwort sagt: "Alle Verallgemeinerungen sind gefährlich - auch diese."
Die deutsche Justiz verallgemeinert nicht. Sie prüft, und wie ich hoffe, sehr genau.
Aber einhundert Prozent wird sie nie erreichen. Doch das ist nun mal ein Wesenszug eines Resozialisierungsstaats, auf den ich persönlich nicht verzichten will.


P.S.: An meine Leser: Ein mulmiges Gefühl im Bauch hätte wohl jeder, wenn man wüsste, dass ein Sexualstraftäter in der Nachbarschaft wohnt und durch die gleichen Straßen schreitet, auch oder vor allem wenn er aus dem Knast kommt.
Ich muss jetzt verallgemeinern, um niemanden identifizierbar zu machen: Vor einiger Zeit hatte ich in meiner Samtgemeinde ab und an mit einem Mann zu tun, den ich mein ganzes Leben kenne, der wegen Sexualdelikte im Gefängnis war und danach wieder in sein altes Umfeld zurück gekehrt ist. Ich habe ihn genauso behandelt wie zuvor. Es ging ganz gut soweit, und besondere Angst hatte ich auch nicht vor ihm. Auch wenn der Gedanke an seine Taten immer im Hinterkopf pocht. Aber es geht.

4 Kommentare:

Olaf hat gesagt…

Es ist teilweise erschreckend wie Du mir zeitweise aus der Seele sprichst, nur Du kannst es auch noch in Worte fassen. Ich möchte nur noch einen Aspekt mit hinein bringen. Durch ein an den Pranger stellen werden nun mal nicht nur die Täter "bestraft". Denn Niemend
ist Allein auf vder Welt. Auch solche nun Menschen haben Eltern, Lebenspartner oder Kinder die dadurch unschuldig mit in Geiselhaft genommen werden ohne eine Chance Bewährung zu bekommen oder von Gutachtern entlastet zu werden. Auch das sollte man bei einer Diskussion über solche Branmarkungen von Sexualstraftätern, Pädophilen und sonstigen Soziopathen nicht aus den Augen verlieren.
Wenn schon die Opfer keinen Anwalt haben, stehen diese Menschen total im Regen.
Und zu der Sache mit den Banken, die wohl auch viele Menschen ja ganze Nationen ins Elend gestürzt hat na ja ich glaube einen Anwalt der deren Rechte vertritt haben sie auch nicht währen die Verursacher dieser Mieserre schon wieder auf der Sonnenseite des Lebens ihr Dasein geniesen das sie auf eben diesem Elend aufgebaut haben. Irgendwie auch Soziopathen!

Gruß

Olaf

Ace Kaiser hat gesagt…

Richtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Mensch ein Recht auf Fehler hat, egal wie schlimm diese dann ausfallen. Gleichzeitig aber hat er die Pflicht, dafür gerade zu stehen, was viele der "Gutmenschen-Kritiker" ja grundsätzlich für zu harmlos halten.
Danach bin ich überzeugt, dass sich der gefehlte Mensch eine zweite Chance erarbeiten darf und diese auch bekommt.
Wesentlich klügere Menschen als ich, wesentlich belesenere, erfahrenere haben vor Jahrzehnten schon festgelegt, wie mit diesen Menschen zu verfahren ist, und den Gerichten genügend Flexibilität in die Hände gelegt, um in einem weiten Rahmen entscheiden zu können. Ich finde es immer wieder erstaunlich, beinahe schon ein eigenes Verbrechen, dass etwas, was einhundert Mal funktioniert hat, beim ersten Misserfolg als Ganzes anzuprangern. So etwas brauchen wir in Deutschland nicht. Oder kommt irgendwann die Kleinganoven-Finderkartei im Internet, damit wir uns vor Taschendieben schützen können?
Und wie weit ist es dann zur Ausländer-Internet-Datei, damit "gute" Deutsche nicht neben denen wohnen müssen?

...Aber dennoch, vergessen wir bei alldem nicht die Opfer solcher Verbrechen, die manchmal ein Leben lang darunter zu leiden haben, was ihnen angetan wurde.
Dennoch, was hier losgetreten werden soll, ist mit meiner Auffassung eines Rechtsstaats nicht zu vereinbaren.

dennis filmexperte hat gesagt…

nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird... til hat sich aufgeregt und sicher nicht zu unrecht. aber einige seine inhalte halte ich dennoch für fragwürdig!

Ace Kaiser hat gesagt…

Mist, vergessen anzumelden, und Blogspot hat den Post gefressen.
Ich rekonstruiere mal:

Sicherlich hat Herr Schweiger Angst um seine Töchter. Das ist ja verständlich.
Aber wenn wir einer Meinung sind, das praktizierende Pädophile zu den geistig Kranken gerechnet werden müssen, so darf sich doch die Frage nicht darum drehen, auf welcher Internetseite man nachschauen kann, wo sie wohnen, sondern darum, wie ihnen geholfen werden kann. Oder wie die Gesellschaft vor ihnen geschützt werden kann.

Wenn sich dann aber ein Til Schweiger über "Gutmenschen" aufregt, dann hat er einerseits bei mir an Boden verloren, und andererseits zu viel BLÖD gelesen.
Dieser ansonsten bei mir gut dastehende Schauspieler hat sich mit solchen Aussagen eher der Tea Party zugerechnet, als sozialem Verhalten und Demokratie.
Angst um das eigene Fleisch und Blut entbindet nicht von der Pflicht, erst zu denken und dann zu reden. Und das ist noch nett formuliert.