Meine Oma reicht mir jeden Samstag ihre TV Hören und Sehen hoch, wenn das Fernsehprogramm die nächste Woche erreicht hat. Ich lese die TVHUS, wie sie gerne abgekürzt wird, wirklich gerne, vor allem die Kolumne von Paulo Coelho hat es mir angetan. Die TVHUS von letzter Woche jedoch hat mir dann doch schon fast körperliche Schmerzen verursacht, als im Artikel Menschen 2012 Kapitän Schettino, der die Costa Concordia vor Giglio Porto auf Grund setzen und evakuieren ließ, als "dümmster Feigling" beschrieben wurde. Zur Begründung tischten die Autoren des Artikels allerlei alte, verallgemeinernde und widerlegte Beispiele auf, die mich veranlasst haben, mich deutlich zu äußern. Alles Weitere findet Ihr unten.
Leserbrief an die TV Hören und Sehen:
Sehr geehrte Frau Kröger,
vorweg, bevor ich meinem Ärger Luft mache, möchte ich kurz erwähnen, dass ich die TV eigentlich recht gerne lese. Vor allem die Kolumne von Paulo Coelho ist für mich mehr als lesenswert. Durchschnittlich gesehen sind die Artikel eher seicht, was grundsätzlich nicht zu verwerfen ist.
Der Artikel Menschen 2012 aber enthält einen großen, bizarren Fehler. Ich möchte Sie bitten, den oder die Autoren in meinem Namen darauf hinzuweisen.
Es geht um den Unterartikel "Der dümmste Feigling", in dem Kapitän Schettino besonders schlecht bei wegkommt.
Ich möchte mich nicht in Spekulationen verlieren, aber ein paar Fakten aufzählen: Kapitän Schettino ist nicht auf Grund gefahren, als er an Giglio Porto vorbei "paradierte", sondern er lief auf ein Riff, noch vor der Küste.
Das Paradieren entsprang keinstensfalls dem Ehrgeiz des Kapitäns, sondern war von der Reederei als Werbemaßnahme gefordert. Beweis hierfür ist, dass ein Schwesterschiff am zweiten Abend nach der Havarie mit voller Beleuchtung an Giglio Porto vorbei paradierte.
Die Tatsache, dass das Schiff auf Grund lief, ist dem Umstand zu verdanken, dass Schettino die Concordia nahe der Küste auf Grund setzen ließ, um zu verhindern, dass sie sank. Die Costa Concordia hatte Nordkurs, liegt nun aber mit dem Bug nach Süden im Wasser. Das sind alles Fakten, die man recherchieren kann, ohne sich großartig anzustrengen.
Auch wurde Kapitän Schettino von jeglichen Drogenvorfwürfen freigesprochen, weil alle Tests negativ waren.
Es ist offensichtlich, dass Kapitän Schettino als einziger Schuldiger herhalten muss und nur zu gerne mit Dreck beschmissen wird.
Ich möchte nicht sagen, dass er nicht tatsächlich als einer der Ersten das Schiff verlassen hat, wie der Artikel behauptet, aber ich habe im TV einen Telefonmitschnitt mit der Küstenwache gehört, indem er aussagte, er wolle das Schiff als Letzter verlassen.
Sehen Sie, ich erwarte von Ihren Kollegen nach Traumständen, Superreisen und Städtebeschreibungen ja nun wirklich keine Pulitzer Preis-Artikel, und ich bin auch zufrieden damit, was ich in der TV zu lesen bekomme. Aber dieser Artikel ist derart dreist auf veralteten Informationen aufgebaut, dass es wehtut. Jeder Journalist, der etwas auf sich hält, sollte wenigstens ein Mindestmaß recherchieren, dann wäre Ihr Team darauf gestoßen, dass die Drogentests negativ waren und dass das Paradieren vor Giglio Porto für Schiffe der Reederei Pflicht war.
Und ich erwarte dann auch keine schwammigen Behauptungen wie "Alkohol auf der Brücke und die Freundin". Zu Letzterem hatte er als Kapitän das Recht, und ersteres unterstellt es sogar der ganzen Brückenbesatzung, alkoholisiert gewesen zu sein.
Entschuldigen Sie, wenn ich so deutlich werde, aber wenn augenscheinlich ein Mann eine Schuld tragen muss, obwohl er nach einem Unfall so viel wie möglich richtig gemacht hat, und wenn er dann auch noch mit längst überholten Vorwürfen in einem meiner Lieblingsmedien erneut gekreuzigt wird, beschwere ich mich. Sie haben sehr viele Leser, und diese Leser sind erneut mit dem Vorurteil bestätig worden, dass am Unglück ein alkoholisierter, feiger und geflohener Kapitän Schuld war, der zu nahe an der Küste entlang gefahren ist. "Zu nahe" heißt in diesem Fall zwei Kilometer, und Giglio ist eine Vulkaninsel mit steil abfallenden Unterwasserhängen. Wie ich schon sagte, nur etwas Recherche.
Mit freundlichem Gruß,
Alexander Kaiser
Edit: Es ist Donnerstag - keine Reaktion. Was habe ich erwartet?
Wenn einfache Antworten einfach falsch sind und vor allem kein einziges
Problem lösen [Gesundheits-Check]
-
Alice Weidel auf X zum Anschlag in Magdeburg: „Die Bilder aus #Magdeburg
sind erschütternd! In Gedanken bin ich bei den Hinterbliebenen und
Verletzten. Wan...
vor 3 Stunden
4 Kommentare:
Hallo Ace!
Teilweise hast du sicher recht, aber dieses Gespräch zwischen dem Herrn Kapitän und der Küstenwache ist doch sehr interessant. Er musste ja mehrmals aufgefordert werden das Schiff wieder zu betreten, und er hat es nicht wieder getan.
Es gild quasie immer noch der Ausspruch: Der Kapitän verlässt als letzter sein sinkendes Schiff.
Wer dies nicht beherzigt, reitet sich gleich rein.
Eigentlich gibt es da keinen Anspruch darauf. Das ist Seefahrerromantik, aber ich stimme mit Dir überein, dass er es aus moralischen Gründen hätte tun sollen. Wobei ich zu bedenken gebe, dass ich in diesem Punkt auf den Untersuchungsausschuss warte, der diesen Teil der Geschichte, bestätigt oder widerlegt. Alles andere betrachte ich mit Skepsis.
Die anderen, eben so salopp hingeworfenen Vorwürfer der TVHUS sind auf jeden Fall untragbar und peinlich. Selbst ein solches Magazin sollte Internet und Interesse am Weltgeschehen haben. Auch dort arbeiten Journalisten, die ihre Arbeit mit Stolz verrichten. Hoffe ich zumindest.
Wenn Kapitän Schettino tatsächlich das Schiff nicht als Letzter verlassen hat, und wenn es eine Straftat darstellt, bitte, verklagt ihn. Aber von meinem Standpunkt aus hat er alles richtig gemacht, nach der Havarie. Und den Dreck, mit dem er beworfen wird, hat er nicht verdient. Seine "Freundin" wird ja damit zitiert, dass er Unmenschliches geleistet hat, um die Evakuierung zu gewährleisten. Das bitte ich Dich auch zu bedenken.
Und ausgerechnet Dir muss ich ja nicht erzählen, dass die Medien heutzutage dazu neigen, auf das Niveau der lügenden BILD zu sinken, anstatt sie zu sich hinauf zu ziehen... Leider.
Ich bleibe dabei, ich warte auf den Untersuchungsausschuss.
Gab es schon eine Resonanz von der Zeitung?
So, ich habe Deinen Doppelpost mal entfernt. Das sah nicht hübsch aus.
Nein, bis heute, Samstag, gab es keine Reaktion. Ehrlich gesagt rechne ich auch nicht mit einer Reaktion.
Kommentar veröffentlichen