Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich mich zum Berufungsverfahren für Amanda Knox geäußert. Genauer gesagt war das am 4. Oktober 2011. Es ging darum, dass Amanda Knox in erster Instanz wegen Mordes an ihrer Mitbewohnerin Meredith Kercher verurteilt wurde, im Berufungsverfahren jedoch wegen unsicherer Beweislage in dubio pro reo freigesprochen wurde. Oder anders ausgedrückt: Das Berufungsgericht zweifelte daran, dass die Indizienkette ausreichte, um die US-Amerikanerin für Mord zu verurteilen, geschweige denn ihr den Mord nachzuweisen.
Mit dem Urteil waren anscheinend weder die Staatsanwaltschaft, noch die Familie von Miss Kercher als Nebenkläger wirklich glücklich. Was in beiden Fällen schamlose Untertreibungen sein dürfte.
Damals wie heute fühle ich mich nicht dazu berufen, darüber zu urteilen, ob Amanda Knox eine Mörderin, bzw. Totschlägerin ist oder nicht. Immerhin wurde mit ihr ein anderer Tatverdächtiger freigesprochen, während ein weiterer rechtskräftig wegen Mordes verurteilt im Knast sitzt. Geständnisse gibt es meines Wissens nach nicht. Darum geht es mir in diesem Post auch gar nicht, darum ging es mir auch damals nicht.
Warum ich also diesen Blogeintrag schreibe? Nun, wenn man "Engel mit Eisaugen" googelt, das damalige Schlagwort, das synonym für Frau Knox stand, kommt man zwangsläufig auf die aktuelle Berichterstattung zum Revisionsverfahren, das die Tage beginnen wird und das damit begann, dass die italienischen Revisionsrichter zumindest Teile des Urteils des Berufungsgerichts aufgehoben haben.
Nun, abgesehen davon, dass außer SpOn die wenigsten Medien tatsächlich von einem Revisionsverfahren sprechen, sondern von einem Berufungsverfahren, dass Knox aber schon längst hinter sich hat, findet man in der Suchliste alle Verdächtigen mit dem "Engel mit Eisaugen" als Schlagwort: heute.de, T-online.de, Welt.de, BILD.de, faz.de, rb-online.de, focus.de und auch spiegel.de. (Ja, ich weiß, dass das das gleiche wie SpOn ist...)
Eine Sache stößt mir genau wie damals sehr bitter auf, weil es meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit widerspricht: Zwar war Amanda Knox damals bereits rechtskräftig verurteilt, bevor das Berufungsverfahren das Urteil aufhob, sodass man nicht davon sprechen konnte, sie würde in den Medien vorverurteilt werden, (andererseits hätte es etlichen Medien gut getan, da vorher drüber nachzudenken) aber die Schlagwortattitüde wurde durch die Bank von deutschen Medien verwendet.
Ich stelle heute wie damals fest: Das WAR eine Vorverurteilung. Und das macht es mir schwer, nicht automatisch Partei für Frau Knox zu ergreifen. Was mir nicht zusteht, weil ich über den Tathergang und über die Verhöre der Tatverdächtigen nichts weiß - außer, dass der letzte rechtskräftig verurteilte Mann der Gruppe (Rudy Guede) schwarz ist, aber das nur nebenbei.
Und das geht heute nahtlos weiter. Wieder wird die Schlagworttrommel geschlagen, wieder wird Frau Knox mit diesem Spitznamen das negative Label untergeschoben. Mehr noch, heute Nachmittag im ARD-Magain "Brisant" wurden süffisante Töne laut, als Frau Knox vorgeworfen wurde, mit dem Buch, das sie geschrieben hatte (oder hat schreiben lassen, wer weiß das schon), Geld verdient hat. Oder, dass ihre Familie ihr eine PR-Agentur besorgt hat, die sie in die wichtigen Talkshows und Fernsehsendungen der USA gebracht hat. Oder dass sie eventuell nicht freiwillig zum Prozess nach Italien zurückkehren würde. Wie kann sie es nur wagen, auch noch mit ihrer Geschichte Geld zu verdienen, sie zu erzählen, ihre Sicht der Dinge zu schildern? Wie kann sie nur, wo wir sie doch schon vorverurteilt haben? Geeez.
Liebes Brisant-Team, in jedem Satz glaubte ich heraushören zu können, dass Ihr Frau Knox erneut vorverurteilt. Alleine die ständige Betonung ihres Schlagwortes war für mich bereits eine Vorverurteilung. Es ist Eure Sache so wie die aller anderen Medien, uns zu informieren, uns mit Fakten zu versorgen, damit wir uns eine Meinung bilden können. Nicht, uns mit fertigen Meinungen zu versorgen, wie ich hier mal festhalten möchte. Aber, na ja, "Brisant" journalistisch ernstzunehmen ist wohl in etwa das Gleiche wie den Springerverlag für die "Ein Herz für Kinder"-Aktion zu loben: Die Absicht ist zu erkennen, aber danach wird es schummrig.
Noch schnell zwei Fazits nachgeschoben.
1) Ist Frau Knox tatsächlich die Mörderin oder Mittäterin am Mord von Meredith Kercher, wäre sie ein Riesenidiot, wenn sie nach Italien zurückkehren würde, um dem Prozess beizuwohnen.
2) Ist Frau Knox unschuldig, wäre sie trotzdem ein Riesenidiot, würde sie nach Italien zurückkehren, denn sie landete schon einmal aufgrund äußerst dünner Faktenlage und trotz fehlender Beweise vier Jahre im Knast. Das muss sie sich nicht wieder antun. Und wenn wir die Presse betrachten, die sich dabei überschlägt, um ihre diesmal rechtskräftige Verurteilung in letzter Instanz (hat Italien einen Bundes-, oder Verfassungsgerichtshof für eine Verhandlung über die Revision hinaus?) vermelden zu dürfen und schon vorab eifrig Vorverurteilung betreibt, tut sie sehr gut daran, zu bleiben, wo sie ist.
Zu Meredith Kercher: Eine junge Studentin wurde brutal ermordet, ihre Familie will selbstverständlich wissen, wie, weshalb und wer. Gerade wer. Das ist vollkommen legitim, und der Familie gilt auch mein Mitgefühl. Punkt.
Das ersetzt aber keinesfalls eine rechtsstaatliche und von Politik UND Presse unbeeinflusste Gerichtsverhandlung. Leider ist es der Preis der Demokratie, dass, wenn man einer Person die Schuld nicht nachweisen kann, diese Person nicht verurteilt wird. Ich denke, besser so als dass ein Unschuldiger sein Leben verliert. Vor allem, da Knox seit ihrer Freilassung noch keinen Mord begangen hat, schließe ich eine "Wiederholung" der Tat vorerst aus.
Tut weh, gebe ich zu. Aber für die Demokratie und ein unabhängiges Justizsystem müssen wir alle früher oder später mehr oder weniger Kröten schlucken oder Federn lassen.
Frau Knox, schuldig oder unschuldig? Es ist nicht die Aufgabe der Medien, das zu entscheiden.
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vor 5 Stunden
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