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Mittwoch, 13. März 2013

Von Scienceblog bis Facebook - Claudia Roth im Shitstorm


Gestern gingen auf dem von mir hochgeschätzten Scienceblog.de Tobias Maier vom WeiterGen und Christian Reinboth vom Frischer Wind heftig mit Claudia Roth, der derzeitigen Vorsitzenden der Grünen ins Gericht. Grund: Zum Jahrestag der Katastrophe von Fukushima des Touhoku-Erdbebens hatte sie einen Text auf ihrem Facebook-Profil veröffentlicht, der zugunsten des Reaktorunfalls im Zuge von Erdbeben und Tsunami im Fukushima Daiichi-Reaktorkomplex um eben dieses Erdbeben und die Flutwelle, die Kilometerweit ins Landesinnere vorgedrungen ist, den Eindruck erweckte, es gäbe nur die Reaktorkatastrophe.
Hier der Text von ihrem Facebook-Profil.
Heute vor zwei Jahren ereignete sich die verheerende Atom-Katastrophe von Fukushima, die nach Tschernobyl ein weiteres Mal eine ganze Region und mit ihr die ganze Welt in den atomaren Abgrund blicken ließ. Insgesamt starben bei der Katastrophe in Japan 16.000 Menschen, mehr als 2.700 gelten immer noch als vermisst. Hunderttausende Menschen leben heute fernab ihrer verstrahlten Heimat. Unsere Gedanken sind heute bei den Opfern und ihren Familien. Die Katastrophe von Fukushima hat uns einmal mehr gezeigt, wie unkontrollierbar und tödlich die Hochrisikotechnologie Atom ist. Wir müssen deshalb alles daran setzen, den Atomausstieg in Deutschland, aber auch in Europa und weltweit so schnell wie möglich umzusetzen und die Energiewende voranzubringen, anstatt sie wie Schwarz-Gelb immer wieder zu hintertreiben. Fukushima mahnt.

Und wirklich, kein Wort von Touhoku-Erdbeben und Mega-Tsunami. Es wird nur der Reaktorunfall erwähnt. Das ist natürlich nicht nur sachlich falsch, sondern auch eine Aussage, die flugs gegen sie gerichtet werden kann. Zahlreiche Besucher des Scienceblogs ließen daher an dieser einseitigen Sicht von Frau Roth, bzw. ihres Teams, auch kein gutes Haar.

Team Roth sprang daraufhin in die Bresche korrigierte seinen offensichtlichen Fehler veröffentlichte eine Stellungnahme, in der es sich für den falschen Eindruck entschuldigte.
Hier der Text:
Nochmal für alle an prominenterer Stelle: Es tut uns leid, dass wir aufgrund der Knappheit des Textes leider den Eindruck erweckt haben, als wären die insgesamt rund 16.000 Tote in Folge des Reaktorunfalls in Fukushima gestorben. Richtig ist natürlich, dass sie in Folge des am 11. März 2011 durch ein schweres Erdbeben ausgelösten Tsunamis gestorben sind, der auch zu den drei Kernschmelzen in Fukushima führte. Wir bitten diesen unbeabsichtigten Fehler zu entschuldigen. (Team Roth)

Nun ja, wir haben es mit dem Scienceblog zu tun, und von daher kann man erwarten, dass wissenschaftlich orientierte Menschen schon prinzipiell anders informiert sind bzw. einen anderen Standpunkt haben als Frau Roth, was die Atomkraft angeht. Ich rede hier gar nicht mal so sehr von Generation IV-Kraftwerken, die sogar in der Lage sind, Atommüll zu verwerten und in weniger strahlende Elemente zu degenerieren. Es reicht auch schon der Blick auf sogenannte Forschungsreaktoren, die zum Beispiel atomare Elemente liefern, die in der Medizin Verwendung finden und die pauschal mit verteufelt werden, wenn man konsequent gegen Atomenergie ist. Dabei ist die Nuklearmedizin aus der modernen Medizin nicht mehr fortzudenken, und das ist auch gut so.
Fassen wir einfach mal zusammen: Frau Roth erscheint auf diese Weise als ernste, verfälschende und vor allem lügende Anti-Atom-Lobbyistin. Dies ist ihr Fehler oder der ihres Teams. Sie hat die Folgen auszubaden. Punkt. Aber sie oder ihr Team hat sich entschuldigt. Auch Punkt.
Nun kann man natürlich fragen, ob Frau Roth und ihr Team sich nicht besser auf den neuesten Stand der Atomforschung bringen lassen, oder ob es nicht Sinn macht, mal ein wenig über Atomkraft an sich nachzudenken. Nicht über die Druckwasserreaktoren, die als Abfallprodukt waffenfähiges Plutonium und zweihunderttausend Jahre strahlenden Müll produzieren. Aber über Atomenergie im Allgemeinen. Wird sie vielleicht auch tun, aber sicher nicht damit arbeiten, wenn sie von ihren politischen Gegnern nicht noch mehr verrissen werden will, als dieser es ohnehin schon betreibt.
Aber, und das ist ein wichtiger Punkt, ihre Zentrierung auf die Atomkatastrophe ist nicht verwunderlich. Betrifft sie doch ein Gebiet, das von der Tsunami verschont wurde und nun streckenweise unbewohnbar ist. In einem Land wie Japan, das wegen seiner Bergwelt ohnehin kaum bebaubare oder bewohnbare Flächen kennt, eine richtige Katastrophe. 

Der Facebook-User Thomas Sieben hat dazu folgendes verfasst, was ich hier ungeprüft wiedergeben will:  
In Tschernobyl kamen ca 6 Exa-Becquerel in die Atmosphäre, in Fukushima ca. 3 Exa-Becquerel, im russischen Majak ca. 20 Exa-Becquerel. Ein Exa-Becquerel ist eine Million Giga-Becquerel. Ein Giga-Becquerel ist eine Milliarde Becquerel. Ein Becquerel entspricht dem Zerfall eines Atoms pro Sekunde. Wenn dieses Atom im Erbgut sitzt, kann es - und damit der geschädigte Mensch und falls die Keimbahn betroffen ist, alle seine Nachkommen - Schaden nehmen.
Für Tschnerobyl schätzt Elisabeth Cardis ab, dass von 2005 bis 2065 mit etwa 16.000 Schilddrüsenkrebserkrankungen und 25.000 sonstigen zusätzlichen Krebserkrankungen zu rechnen ist. Beteiligte vor Ort schätzen die Zahl der Tschernobyl-Opfer erheblich höher. Ein Verband der Liquidatoren in Kiew vermutet, dass allein von den 300 000 ukrainischen Katastrophenhelfern inzwischen jeder Zweite gestorben sei. Insgesamt seien eine Million Todesfälle allein in der Ukraine auf das Reaktorunglück zurückzuführen.
Bis heute „kühlt“ die Atommafiafirma tepco, auf deren Gehaltsliste ca. 50% der japanischen Parlamentarier stehen, die Fukushima-Reaktoren mit offenem Wasser. Für die Abtragung kontaminierter Erde in einem Radius von 200 Kilometern ist weder Geld noch Platz vorhanden. tepco-Liquidatoren werden von tepco entlassen und können sich nicht mal die ärztliche Untersuchung leisten.
Da über Punktmutationen und Veränderungen im Keimbahnerbgut *alle* folgenden Generationen betroffen sind, dürften die Fukushima-Todesfolgen in die Millionen gehen, wenn auch über einen sehr langen Zeitraum.
Die Behauptung, es gäbe durch Fukushima keine Toten, ist entweder naiv oder strunzdumme Propaganda.


Mein Fazit: So wie man die Havarie von Fukushima Daiichi nicht ausschließlich mit der ganzen Katastrophe gleichsetzen kann, so ist dieser dritte Teil der Tragödie aber keinesfalls der Ungefährlichste, sondern der langwierigste und vielleicht gefährlichste Teil. Dabei tröstet uns die Information, dass die Anlage Fukushima Daiichi veraltet und von vorne herein als unsicher galt, kein bisschen. Katastrophen passieren nicht, weil einmal etwas schief läuft, sondern weil vieles auf einmal schief läuft (danke, Sascha). Wenn viele Faktoren zusammenkommen, passiert auch Scheiße mit Atomkraftwerken.  Natürlich kann dies durch erhöhte Sicherheit eingeschränkt, aber nicht unmöglich gemacht werden. Die Lösung ist ganz klar: Weg von den Druckwasserreaktoren, hin zur Generation IV.
...sacken lassen.

Ich will natürlich nicht unterschlagen, dass sich auch Thomas Sieben einer einseitigen Sicht befleißigt. So hat sich seine Quelle, Frau Cardis, mit der Möglichkeit von Hirnschäden durch Handystrahlung auseinandergesetzt. Weitere Informationen habe ich auf die Schnelle nicht gefunden, weshalb ich bitte, die ihr zugeschriebenen Aussagen mit Vorbehalt zu sehen; nichtsdestotrotz ist bekannt, dass es rund um Tschernobyl tatsächlich zu ungewöhnlichen Häufungen von Leukämie, Schilddrüsenerkrankungen und anderen körperlichen Schäden durch Radioaktivität gekommen ist kommt und kommen wird.
Als kleines Fazit für mich nehme ich mal mit, besser zu recherchieren und einen Mittelweg anzubieten, anstatt zwei Extreme gegeneinander zu stellen.
Als Ergebnis dieses Artikels würde ich gerne feststellen, dass Frau Roth nun vollkommen zu Recht an ihrer zweideutigen Aussage oder der ihres Teams zu knabbern hat. Auch Lobbyismus kann bei Unwahrheiten oder Unterlassungen erwischt werden, ob es beabsichtigt war oder nicht, Frau Roth. Lieber mehr Fläche bieten, das lässt die Angreifbarkeit sinken, zum Beispiel durch die stellenweise peinlichen Userkommentare auf Facebook, mit denen Sie attackiert werden...
Aber man muss die schwarz/gelben Wähler auch verstehen. Sie spüren den rot/grünen Atem im Nacken und fürchten um die Macht, sodass ihnen keine Geschichte zu alt, kein Klischee zu beliebig und kein Dreck zu klebrig ist. Shit happens. 
Wir halten fest: Fukushima Daiichi war eine Folge vom Touhoku-Erdbeben mit wenigen Toten, aber die Langzeitfolgen der Havarie sind bereits jetzt gravierender. Das rechtfertigt den einseitigen Text aber immer noch nicht und hat ihn auch nicht bei seiner Entstehung gerechtfertigt. Da haben die Scienceblogger zweifellos Recht. Aber, Frau Roth, Shitstorms währen nicht sehr lange. Also Augen zu und durch und better luck next time. Über Amazon redet ja auch schon keiner mehr. Oder?


4 Kommentare:

Nathan hat gesagt…

du hast den text von thomas sieben zweimal getextet

Stinkstiefel hat gesagt…

Ich muss ja sagen einer deiner Sätze (Katastrophen passieren nicht, weil einmal etwas schief läuft, sondern weil vieles auf einmal schief läuft …) erinnert mich total an eine Serie über Katastrophen wo es ähnlich gesagt wurde.
Weil mir dazu immer das Sprichwort einfällt: Planung ist die Ersetzung des Zufalls durch den Irrtum.

Das von @Nathan angesprochene habe ich auch bemerkt.

Ace Kaiser hat gesagt…

Nathan: Danke für den Hinweis. Habe es korrigiert.

Ace Kaiser hat gesagt…

Stinkstiefel: Liegt einfach in der Natur der Sache. Zum Beispiel bei Atomkraftwerken bereitet man sich aus Sicherheitsgründen auf einiges vor: Abstürzende Flugzeuge, Erdbeben bis 9.0 auf der Richterskala, Tsunamis, Ausfall des Kühlsystems und/oder der Pumpen vom inneren Kühlkreislauf - und dann passieren vier der fünf Dinge auf einen Schlag. Hätte die Tsunami zum Beispiel Fukushima nicht getroffen, wären die Unteretagen mit den Dieselaggregaten der Stromversorgung nicht unter Wasser gesetzt worden. Wäre das Kühlsystem für Reaktor vier nicht ausgefallen, hätten die dortigen Kernbrennstäbe nicht das Wasser im Abklingbecken verkocht und eine Kernschmelze verursacht. Hätte das Erdbeben nicht zur Notabschaltung geführt, wäre man nicht auf die Dieselaggregate angewiesen gewesen. Und so weiter. Wenn etwas passiert, wenn es an den Vorsichtsmaßnahmen und den Sicherheitsvorkehrungen vorbeikommt, dann immer, weil vieles zugleich passiert.