Heute präsentiere ich Euch, meinen eifrigen Lesern, etwas, was nicht so oft vorkommt, obwohl ich dafür immer offen bin: Einen Gastbeitrag.
Lukasz Kroll, der sich vor einem knappen Monat an der Diskussion über Atomkraft beteiligt hat, hat mir versprochen, bis Mitte Februar einen Artikel über das Thema zu schreiben. Ich finde, er ist sehr ausführlich geworden, obwohl man sicher noch mehr dazu schreiben könnte. Er ist auch sehr gut gelungen, und zeigt was ich selbst gesagt habe: Kraftwerke, die Atommüll verbrennen, sind angesichts von Lagerzeiten von zweihunderttausend Jahren sehr, sehr wünschenswert. Aber das ist nur ein Aspekt des Berichts von Lukasz.
Danke an dieser Stelle, dass Du Dir die viele Arbeit gemacht hast. Ich hoffe, meine Leser werden viele Reaktionen liefern.
Lukasz, the Stage is yours.
Totgeglaubte leben länger... Über
Atomkraft
Die Atomkraft ist ein wirklich
spannendes und interessantes Thema. Nach der Katastrophe in Fukushima
habe ich angefangen mich mit Recherchen im Internet zu diesem Thema
(und der Energiewende im allgemeinem) zumindest einmal in der Woche
zu beschäftigen. Während die Pressemeldungen in Deutschland
ziemlich einseitig waren, und die Kernkraft und allgemein alles was
den dass Wort Kern oder Atom beinhaltet für tot oder sterbend
erklärt wurde, gibt es im Ausland erstaunlich viele pro und contra
Pressemeldungen. Während viele Deutsche meinen die Atomkraft liege
bereits im Sterbebett, gibt es in diesem Bereich ein ständiges hoch
und runter. Während also in Tschechien der ursprüngliche Plan 80%
der Energie aus Kernkraft zu beziehen als unrealistisch bezeichnet
wird, und Tschechien sich auf den Ausbau des Kernkraftwerks Temelin
begrenzt, setzen die Polen einen zusätzlichen Standort auf die Liste
der möglichen Kernkraftwerke. Während in Indien Proteste die
Inbetriebnahme eines neuen Kernkraftwerks behindern, wird in England
fleißig an dem Plan neue Meiler zu bauen weiter gearbeitet, während
die Chinesen die Anzahl der genehmigten Neubauten auf „nur“ 6
Kernkraftwerke pro Jahr begrenzen, genehmigt USA die ersten
Reaktorbauten seit 3 Jahrzehnten, während die Deutschen am 8 Februar
feiern, weil dass sonnige und windige Deutschland wieder einmal Strom
ins Atomfrankreich exportiert, wird in der Enklave Kaliningrad, nicht
so weit von der deutschen Grenze entfernt, der erste Beton für ein
neues Atomkraftwerk, (dass mit der klaren Absicht Strom für Export
zu produzieren gebaut wird), gegossen, während Frankreichs Favorit
für die nächsten Präsidentschaftswahlen verspricht Frankreichs
Atomstromanteil von 77% auf 50% zu senken, und die Lücke mit
erneuerbaren zu schließen, gibt es am 9 Februar in Deutschland
Wolken und Windstille, und Deutschland muss nicht nur wieder Strom
aus dem Ausland importieren, sondern auch sein allerletztes
Reservekraftwerk anschmeissen.
Dass sind nur die Meldungen von den
letzten paar Wochen, ein ständiges rauf und runter.
Die Antwort wie in so vielen Bereichen
unseres Lebens heißt: „Jein“.
Um zu verstehen wieso es mit der
Atomkraft so wie sie jetzt aussieht nicht mehr lange weitergehen
kann, muss man sich ein paar Eigenschaften der heutzutage
angewendeten Technologie ansehen.
Also fangen wir mal mit den Grundlagen
an.
Wenn ein Atom mit Neutronen beschossen
wird können in der Regel drei Sachen passieren:
Nichts, dass heißt dass Neutron wird
nicht vom Atomkern angezogen und fliegt vorbei. Eventuell wird dass
Neutron verlangsamt (sehr wichtig bei Moderatoren).
Das Atom wird transportiert, also zieht
dass Atom dass Neutron an, und „verschlingt es“, wodurch ein
Isotop mit einem anderem Gewicht und anderen Halbwertszeit entsteht.
Also entsteht ein Atom dass mehr, oder auch weniger radioaktiv ist
als sein Vorgänger.
Bei einigen Atomen kommt es zur
Atomspaltung. Dass Atom zerfällt in zwei Hälften. Die beiden
Hälften, also Spaltprodukte, sind in der Regel sehr stark
radioaktiv, haben aber vergleichsweise kurze Halbwertszeiten. Bei der
Spaltung werden auch Neutronen frei, und all dass fliegt mit großen
Geschwindigkeiten auseinander, woraus auch der große Energiegewinn
resultiert.
Für alle Arten von schweren Atomen
können diese drei Fälle auftreten, abhängig davon wie schnell dass
Neutron sich gerade bewegt. Bei sehr schnellen Neutronen ist die
Wahrscheinlichkeit höher dass das Neutron vorbeischießt,
gleichzeitig ist aber die Wahrscheinlichkeit höher dass das Atom
wenn es mal getroffen wird, gespalten wird, anstatt dass Neutron
einfach „aufzufressen“. Dass sieht man besonders gut im Falle von
Plutonium 239. Wenn die Neutronen langsamer sind ist die
Wahrscheinlichkeit dass sie vorbeischießen kleiner, aber die
Neutronen werden öfter absorbiert ohne eine Spaltung zu verursachen.
Atome bei denen es auffällig oft zur
Spaltung kommt sind die sogenannten Transurane, wobei bei Uran 233
und Uran 235, Plutonium 239 und Neptunium 237 genügend Neutronen
gebildet werden um die Kettenreaktion zu erhalten. Uran 235
(„angereichertes Uran“) kommt in der Natur vor, Uran 233 kann aus
Thorium 232 erbrüten (Transmutiert) werden, Plutonium 239 aus Uran
238 (abgereichertes Uran), Neptunium 237... da gibt’s keine
sinnvolle Methode dieses Isotop zu brüten.
Mit langsamen (thermischen) Neutronen
kann man gut mit Th/U233 und U235 arbeiten, mit schnellen Neutronen
kann man mit allen spaltbaren Materialien arbeiten.
Es gibt also grundsätzlich zwei Arten
von Reaktoren: Die, die mit schnellen Neutronen arbeiten, und die,
die mit thermischen Neutronen arbeiten. Die, die mit schnellen
Neutronen arbeiten, haben den Vorteil das sie mit allen Brennstoffen
arbeiten können; die, die mit thermischen Neutronen arbeiten, sind
dafür kleiner (da die Neutronen nicht so oft vorbei fliegen),
brauchen aber Uran 233 oder Uran 235 um genügend Neutronen zu
produzieren.
Heutzutage baut man vor allem
Leichtwasser- oder Schwerwasserreaktoren, in denen dass Wasser
gleichzeitig als Kühlmittel und Moderator (also Material das die
Neutronen abbremst) verwendet wird. Dass Hauptproblem dabei ist,
Wasser kocht ja bekanntlich normalerweise bei 100°C... Das reicht
bei weitem nicht aus um effizient Strom zu produzieren (deshalb hat
auch Geothermie miserable Effizienzen). Um jedoch Wassertemperaturen
von 300-400°C zu erreichen setzt man Wasser unter enormen Druck von
bis zu 150bar. Wenn man aber Druck verliert, weil zum Beispiel ein
Rohr bricht, bleibt 400°C heißes Wasser nicht lange flüssig,
sondern verwandelt sich in Wasserdampf. Radioaktiven Wasserdampf.
Wasserdampf ist zum Glück kein guter
Moderator, verursacht also die sofortige Unterbrechung der
Kettenreaktion, gleichzeitig aber Wird aus Wasserdampf unter
Einwirkung von radioaktiver Strahlung, und durch chemische Reaktionen
mit Zirkonium aus dem Brennelement, Wasserstoff und Sauerstoff, also
das gute alte Knallgas.... Auch wenn das Reaktorgebäude den erhöhten
Druck von Wasserdampf möglicherweise überstehen kann, kann es nicht
eine Wasserstoff-Explosion überstehen... Fukushima hat dies
eindeutig bewiesen.
Wenn man dann keine Möglichkeit hat
den Reaktorkern zu kühlen, erhitzt die Nachzerfallswärme die
Brennstäbe zu einer Temperatur, in der das Zirconium schmilzt, und
das hochradioaktive innere des Reaktorstabs kontaminiert die Umwelt.
Natürlich kann man Gegenmaßnahmen
treffen, z.B. das sich bildende Knallgas reagieren zu lassen, bevor
es in einer bedrohlichen Menge entsteht, und passive Kühlsysteme
anwenden (Wasserspeicher auf dem Dach, das dank Gravitation
herabfließende Wasser kühlt auch ohne Strom den Reaktor). Beides
wird in modernen Kraftwerken auch gemacht. Das Thema Sicherheit
bedeutet aber Kosten, nirgendwo sonnst investiert man so viel in
Sicherheitssysteme wie in der Kernindustrie. Nach Fukushima werden
diese Kosten wahrscheinlich noch mal rasant steigen. Ein teures
Problem, aber entgegen der Erwartungen der Kernkraftgegner ist dies
nicht ein unlösbares, oder absurd teures Problem.
Das eigentliche Problem, das die
wassergekühlten Reaktoren nicht lösen können ist das Problem mit
dem Uran 235. Es gibt einfach nicht genug davon.
Uran 235 hat nur einen Anteil von 0,7%
an der Gesamtmenge von Uran, der Rest ist Uran 338. Also kommt Uran
235 einzeln betrachtet in der Erdkruste etwa so oft vor wie Gold oder
Platin... Abbauwürdige Vorkommen könnten schon in wenigen
Jahrzehnten ausgeschöpft sein. Es besteht die Möglichkeit Uran aus
dem Meerwasser zu gewinnen, der Aufwand ist aber immens und wäre auf
eine große Skala nicht durchführbar, insbesondere wenn die
Konzentration von Uran in Meerwasser in Folge von deren Gewinnung
fällt, und so auch die Effektivität des ganzen Prozesses fällt.
Auch die Tatsache das Brennelemente aus
Uraniumoxid gemacht werden ist ein Nachteil. Uraniumoxid ist zwar
chemisch stabil, hat aber Materialeigenschaften, die Keramik ähneln.
Es ist also ein Feststoff, der nicht besonders gut Wärme leitet. Die
Tatsache, dass Brennelemente Feststoffe sind, hat zum Beispiel zur
Folge dass Spaltprodukte dort bleiben, wo sie entstehen. Ein großes
Problem. Spaltprodukte haben oft die Eigenschaft Neutronen zu
absorbieren. Das Brennelement wird also mehr und mehr mit
Spaltprodukten verseucht, bis es weniger Neutronen produziert als es
verbraucht. Dann muss es bereits entsorgt oder verarbeitet werden.
Dabei hat man aus dem Brennelement gerade mal 0,5 bis 2% (bei
besonders effizienten Reaktoren) der theoretisch möglichen Energie
raus bekommen. Und letztendlich das, und nicht die Sicherheitsfragen,
wird der Kernenergie wie wir sie kennen das Genick brechen.
Der einzige sinnvolle Weg den die
Atomkraft nehmen kann ist die Brütertechnologie. Die Idee gab es
schon seit langem, der erste schnelle Brüter der Welt wurde schon
1946 gebaut. Der zweite schnelle Brüter der 5 Jahre später gebaut
wurde lieferte die erste nuklear erzeugte elektrische Energie.
Dennoch war die Forschung im Bereich des schnellen Brüter mit
gemischten Erfolg gekrönt. Die meisten Länder die in diese
Technologie investiert haben, haben mittlerweile ihre Testreaktoren
abgeschaltet, und wenig Interesse neue zu bauen. Letztendlich scheint
es als ob nur noch ein paar Länder ernst über Brütertechnologie
nachdenken.
Mit flüssigem Metall gekühlte
schnelle Reaktoren sind dem wassergekühlten Reaktoren sehr ähnlich,
nur dass sie mehr Spaltmaterial beinhalten müssen, ohne Druck
betrieben werden können, und Metall statt Wasser als Kühlmittel
benutzen. Als Brennstoff kann effizient neben 'Uraniumoxid auch
Plutoniumoxid benutzt werden. Dass Problem der „Neutronen
fressender Spaltprodukte“ ist geringer (aber nicht gleich Null)
weil schnelle Neutronen öfter Spaltungen verursachen, bei denen
große Mengen an Neutronen frei werden. Dieser Überfluss an
Neutronen kann dazu benutzt werden langlebigen Atommüll zu
transmutieren, oder auch Plutonium für die Inbetriebnahme weiterer
Reaktoren herzustellen. Der Überfluss hat auch zur Folge dass das
Brennelement wesentlich länger im Kern bleiben kann bevor er zu sehr
verseucht wird um weiterhin benutzt zu werden. Und natürlich wird
jedes mal wenn ein Atom gespalten wird mindestens ein neues
spaltbares Atom erzeugt. Wenn man dann noch die verbrauchten Stäbe
wiederaufarbeitet, kommt man in die Nähe von 100% theoretisch
herstellbarer Energie. Dass heißt mit dem Atommüll das ein heutiges
KKW in 3 Jahren produziert könnte ein Brüter gleicher Leistung (mit
Brennelement Recycling) mehr als 500 Jahre Energie produzieren. Und
gleichzeitig die Dauer die der Müll gelagert wird auf 500 Jahre
reduzieren.
Letztendlich haben sich Schnelle Brüter
von zwei Typen etabliert: Mit flüssigem Natrium oder mit flüssigem
Blei-Bismutgemisch gekühlte Reaktoren. Flüssiges Natrium wurde
dabei viel genauer erforscht, und in Großanlagen ausprobiert. Es hat
den Vorteil dass es die Neutronen nicht abbremst, Wärme gut leitet,
und falls elektrische Energie ausfällt durch Wärme bedingte
Zirkulation den Reaktor zumindest teilweise kühlt. Auch die Tatsache
dass das Kühlmittel nicht unter Druck arbeiten muss ist ein Vorteil.
Die Nachteile von Natrium haben vor allem mit seiner hohen chemischen
Reaktivität zu tun. Elementares Natrium brennt prima, und reagiert
mit Wasser, wobei Wasserstoff entsteht. Auch manche Metalle lösen
sich in Natrium, wodurch die Reaktorwände mit der Zeit an Dicke
verlieren. Trotz all diesen Problemen ist der Natriumgekühlte
schnelle Reaktor die beliebteste und am meisten favorisierte
Alternative zu den heutigen Reaktoren. Russland baut zur Zeit sein
800 mW Modell BN-800, und hat schon erste Exporterfolge: China will 2
identische Reaktoren, Baubeginn voraussichtlich 2013.
Neben China/Russland ist auch in Indien
die Idee Schnelle Brüter zu bauen beliebt. Der 500 mW PFBR soll
schon 2013 ans Netz gehen, 6-7 weitere sollen Folgen, danach sollen
noch Größere 1 -1,2 GW Einheiten entstehen. Das Besondere in Indien
ist, dass neben abgereichertem Uran auch das im Indien häufig
vorkommende Thorium zum Brüten benutzt werden soll. Der so gewonnene
Uran 233 soll als Ersatz für Uran 235 in indischen Reaktoren
eingesetzt werden. (Indien besitzt nur sehr kleine Uranminen, und es
gilt immer noch ein Uranhandel-Embargo, das erst 2009 etwas gelockert
wurde.)
Bleigekühlte Schnelle Reaktoren wurden
zwar nicht in großen Anlagen ausprobiert, haben aber über 8
Jahrzehnte russische U-Bote angetrieben. Hier will man die
Erfahrungen mit kleinen Einheiten dazu benutzen große Mengen kleiner
Reaktoren quasi am Band herzustellen. Bleigekühlte Reaktoren
vertragen es jedoch schlecht wenn sie abgeschaltet werden.
Erstarrendes Blei beschädigt manchmal den Reaktor, was einem
Totalschaden bedeuten kann. Solange man das Blei aber warm genug hält
(im heißen Kernreaktor sollte dass nicht schwer sein) hat man wenig
Komplikationen zu erwarten.
Ein Beispiel für solche Reaktoren ist
der russische SVBR-100, mit einer Leistung von 100 mW. Baubeginn
2014, voraussichtlich am Netz 2017, ab da sollen diese Reaktoren am
laufendem Band produziert werden. Bis 2040 erwartet man zwischen 500
und 1000 fertige Reaktoren dieses Typs (also zwischen 50 und 100GW
Gesamtleistung).
Kernkraftgegner bezeichnen gern
Brütertechnologie als etwas das „20 Jahre vor dem Durchbruch
steht, und in 20 Jahren immer noch 20 Jahre vor dem Durchbruch stehen
wird“. Die verschieden Brütermodelle die zur Zeit gebaut oder
bereits fest geplant werden widersprechen dieser Theorie.
Die schnellen Brüter sind dennoch
nicht eine Technologie die mich besonders begeistern würde. Ich muss
zugeben dass sie vor Kernschmelzen besser geschützt werden als die
heutigen Reaktoren, sie produzieren Müll der nicht länger als 500
Jahre gelagert werden muss und können verbrauchte Brennelemente aus
herkömmlichen Reaktoren als Treibstoff verwenden. Und sie erbrüten
wesentlich mehr Treibstoff als sie verbrauchen, wodurch man ihre Zahl
schnell vergrößern kann. Dennoch haben sie einige Probleme: (neben
des reaktiven Natriums bei Natriumgekühlten Reaktoren) Für mich
ist die Frage der Proliferationssicherheit (also dass das
Spaltmaterial nicht für Bombenbau missbraucht wird) von großer
Bedeutung. Das Plutonium dass in Schnellen Brütern produziert wird
könnte mit vergleichsweise wenig Aufwand zum Bombenbau verwendet
werden. Dass ist auch eines der Hauptargumente mit dem man diese
Reaktortypen in fast der ganzen westlichen Welt beerdigt hat. Auch
wenn man den Reaktor so baut dass aus diesem kein bombenfähiges
Material entnommen werden kann, findet sich das Problem wieder bei
der Lagerung verbrauchter Brennstäbe und deren Recyclen. Wenn man
auf das Recyclen verzichtet, erreicht man die 100% theoretischer
Energie nicht, und der Müll (da er noch ungespaltene Transurane
enthält) muss 500.000 Jahre gelagert werden. In Ländern wo man die
Idee verbrauchte Brennstäbe zu verarbeitet verworfen (oder sogar
gesetzlich verboten) hat, hat auch die Weiterführung des
Brüterprogramms wenig Sinn gemacht.
Für mich ist die Alternative zum
schnellen Brüter, also der Thermische Brüter sehr viel attraktiver.
Ein Thermischer Brüter benutzt
langsame Neutronen, wodurch Plutonium als Brennstoff nur noch eine
Randbedeutung hat. Mann benutzt also Thorium/U233 oder U235. Da
Thorium 4-mal so oft in der Erdkruste vorkommt als natürlicher Uran
(also 600-mal so oft wie U235), und in relativ konzentrierten,
einfach abbaubaren Erzen vorkommt, ist dies ein Vorteil. Der Nachteil
von Thorium/U233 ist dass Uran 233 vergleichsweise wenig Neutronen
pro Spaltung produziert. Da größere Verluste von Neutronen nicht
akzeptabel waren, kamen auf Feststoffen basierende Brennelemente
nicht in Frage. Auch Wasser als Lösemittel war ausgeschlossen, wegen
der begrenzten Löslichkeit von Uran, und weil Wassermoleküle durch
Radiation in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wurden.
Letztendlich hatte man die
revolutionäre Idee geschmolzene Salze anzuwenden. Geschmolzenes Salz
besteht aus ionisierten Partikeln, ist also gegen Einwirkung von
ionisierender Strahlung immun, Salz schmilzt in relativ hohen
Temperaturen (bei normalem Druck), was perfekt nicht nur für
Stromerzeugung, aber auch für einige technische Anwendungen ist (in
hohen Temperaturen ist zum Beispiel effiziente Wasserstoffproduktion,
effiziente Ammoniakproduktion oder Zementproduktion möglich, alle
drei Prozesse sind heute schon, oder werden in Zukunft bedeutende und
unvermeidliche Energiefresser sein). Dass besonders Praktische an
flüssigen Salzen ist jedoch dass Spaltprodukte viel einfacher zu
entfernen sind. Manche, wie zum Beispiel radioaktives Gas Xenon
blubbern aus der Schmelze einfach im laufendem Betrieb raus, und
können abgesaugt werden. Andere kann man mit vereinfachten Verfahren
größtenteils aus der Schmelze entfernen. Wenn man diese Verfahren
automatisiert, und in den Kreislauf des Salzes einbaut, kann man so
die Salz reinigen, ohne den Reaktor dazu abschalten zu müssen. Dass
bedeutet auch dass im Salz zu jeder Zeit nur geringe Mengen an
Zerfallsprodukten vorhanden sind, also auch nur eine geringe Menge an
Zerfallswärme entsteht.
Da der Brennstoff gleichzeitig auch
dass Kühlmittel ist, kann der Reaktorkern ohne Kühlmittel auch
keine Wärme produzieren. Um den Reaktorkern zu entleeren hat man
eine sehr einfache und 100% effektive Methode entwickelt, den „Freeze
Plug“, also einen „gefrorenen Korken“. Der Reaktorkern hat
unten ein Loch, dass verschlossen wird indem man es kühlt. Die Salz
erfriert um dass Loch herum, und verhindert so dass der Rest der
Salzschmelze runter fließt. Fallt der Reaktor überhitzt, oder falls
die ganze Anlage Strom verliert, schmilzt der Korken und die
Salzschmelze fließt aus dem Reaktor hinaus in spezielle Behälter,
die darauf optimiert wurden effizient Wärme abzugeben. Schließlich
erstarrt also die Schmelze ohne dass sie aktiv gekühlt werden muss.
Wenn dass Problem behoben wurde, wird die Schmelze wieder erhitzt und
zurück in den Reaktor gepumpt. Dieses Verfahren hat man im
MSR-Reaktor, (der bis Heute die einzige je gebaute Demonstration
dieses Reaktor-Konzeptes ist), 5 Jahre lang fast jedes Wochenende
demonstriert. Man wollte einfach frei am Wochenende haben... Was die
selbe Situation für Leichtwasserreaktoren bedeutet haben wir in
Fukushima gesehen.
Auch das Steuern der Reaktorleistung
ist einfacher als bei anderen Konzepten. Kernspaltung findet nur im
Reaktorkern statt (einziger Ort wo die Neutronen moderiert, also
abgebremst werden), und dessen Volumen ist begrenzt. Wenn also die
Salzschmelze sich in Folge der Kernspaltungen erhitzt, vergrößert
sie auch ihr Volumen. Als Folge fällt die Dichte der Spaltbaren
Partikel, und damit auch die Anzahl der Kernspaltungen im Reaktor.
Eine klassische Rückkoppelung. Dadurch stabilisiert sich die
Temperatur des Reaktors auf einem bestimmten Niveau.
Interessanterweise gilt das selbe für die Leistung des Reaktors.
Wenn man gerade nicht viel Wärme aus dem Salz durch Wärmetauscher
entzieht (zur Stromproduktion, technischen Anwendungen), dann ist
auch das Salz, das in den Reaktor einströmt immer noch heiß, und
verringert so die Anzahl der Kernspaltungen (die thermische Leistung
ist gering); wenn wir mal viel Wärme aus der Salz entziehen ist das
Salz das in den Reaktor reinkommt kalt und dicht, und erhöht
automatisch die Anzahl der Spaltungen, und so auch die thermische
Leistung des Reaktors. Für ein mit Produktionsschwankungen geplagtes
Netz könnte solch eine Eigenschaft sehr nützlich sein.
Wenn man die richtige Salzart anwendet
hat man auch Vorteile im Falle eines schweren Zwischenfalls. Die
meisten Spaltprodukte bilden nämlich stabile Salze, die gern in der
Schmelze bleiben anstatt in die Umgebung zu gelangen. So ist es auch
bei Fluoridsalzen, die kaum wasserlöslich sind (die dazugehörigen
Reaktoren nennt man Flüssigfluoridreaktoren). Ein Teil des Iods und
Caesiums würde aber wahrscheinlich trotzdem aus der Schmelze
entkommen, also ist auch bei diesem Reaktor ein Containment-Gebäude
nötig. Dieses kann aber viel kleiner (billiger) sein, da es nicht
absurde Mengen Wasserdampf aushalten muss (und den dadurch
entstehenden Druck). Es könnte sogar so klein sein dass das Ganze
unter die Erde eingegraben werden könnte. So könnten solche
Reaktoren in ein Endlager hinein passen, was die nervigen Castor
Transporte aus dem Weg schaffen würde.
Wenn denn dieses Reaktorkonzept so viel
versprechend war, und auch tatsächlich gebaut wurde, und nicht nur
in den Gedanken verrückter Wissenschaftler existierte, wieso haben
wir solche Reaktoren nicht bereits?
Nun ja, leider ist es so, dass in der
Kerntechnik Politiker, Militär und Großkonzerne den Ton angeben.
Und denen haben einige Eigenschaften dieses Reaktors so gar nicht
gefallen.
Alles fing mit dem Militär an. Bereits
im Manhattan-Projekt musste man feststellen, das Uran 233 nur sehr
schlecht für Atombomben geeignet ist. Die Ursache dafür ist das
Uran 233 aus Thorium nicht gebrütet werden kann, ohne dabei Uran 232
herzustellen. Im Reaktor ist das kein Problem, einfach noch ein
radioaktives Element, beim Bombenbau ist dass aber ein gigantisches
Hindernis. Uran 232 und seine Zerfallsreihe produzieren starke
Gammastrahlen. Diese töten den Bombenbauer, beschädigen
Steuerelektronik und Sprengstoff, und man kann sie leicht finden
(Folge der Strahlungsquelle...). Das Trennen dieser Isotope ist
schwieriger als das Anreichern von Natururan, und verseucht nebenbei
die teure Isotopentrennungsanlage. Das US-Militär hat's trotzdem
versucht, und tatsächlich hochreines Uran 233 hergestellt. Da es
nicht genug für eine Bombe war, musste man es mit Waffenfähigem
Plutonium strecken, Die Explosion war nicht so groß wie erhofft,
aber die Plutonium-Uran 233 Bombe ist explodiert. Trotzdem war der
Aufwand so groß, dass US-Militärs es nie wieder probiert haben.
Die niedrige Neutronen-Bilanz
verursacht auch, dass man nicht wirklich schnell große Mengen
spaltbare Materialien herstellen kann (ein thermische Brüter
produziert kaum mehr spaltbares Material als es verbraucht). Um eine
große Flotte solcher Reaktoren schnell zu starten müssten also vor
allem spaltbare Materialien, die bereits vorhanden sind, verwendet
werden: Uran 235 und Plutonium 239. Für den Militär war der Gedanke
Materialien, die man einfach in Atombomben einsetzen kann, eins zu
eins in Materialien umzuwandeln, die man praktisch zum Bombenbau
nicht verwenden kann, nicht wirklich beliebt. Deshalb hat man die
Schnellen Brüter favorisiert.
Großkonzerne sind neben dem Bau neuer
Kraftwerke vor allem an einem interessiert: an der
Brennstoffelement-Herstellung. Diese ist teuer, erfordert technisches
„know how“, und Großinvestitionen. Das schreckt Konkurrenz ab,
und macht es einfach große Profite zu machen. Wenn man aber im
thermischen Brüter Thorium anwendet, muss man dieses bevor es in den
Reaktor kommt reinigen und fluorieren... und das war's schon.
Konzerne werden nicht in eine Technologie investieren, die niedrigere
Profite bedeutet, auch wenn diese viel besser ist.
Politiker haben denkbar wenig Interesse
an Kernkraft. Einige gehen sogar mit Kernkraftgegnerischen Parolen
auf Wählerjagd. Für solche Parteien ist jedes gelöste Problem der
Kernkraft ein Argument weniger mit dem sie auf Wählerjagd gehen
könnten. Man probiert sogar neue Probleme zu erzeugen, um neue
Argumente zu haben. Ein prima Beispiel dafür ist der Einfluss von
Protesten auf die Kosten. Wenn ein großes Kernkraftwerk wegen
Protesten geschlossen wird, bedeutet dass manchmal eine Million
Verluste täglich, und zwar Tag für Tag... Später werden aber die
gestiegenen Kosten als Argument benutzt weiter zu protestieren. Auch
Regierungen, die Kernkraft unterstützten, wollten nicht zwei
Forschungsprojekte, die ein ähnliches Ziel hatten, aber sich nicht
ergänzen konnten. Da die Schnellen Brüter zuerst erforscht wurden,
entschied man sich für diese Option.
Auch die fortgeschrittene Regulierung
der Kernkraft macht Probleme. Heute bedeutet der Bau eines
Leichtwasserreaktors, dass man zuerst um Erlaubnis bitten muss. Der
Antrag, den ein Team von ziemlich teuren Spezialisten verfassen muss,
hat für gewöhnlich mehr als 10000 Seiten, an jeder Seite wird
mehrere Stunden gearbeitet. Dieser Antrag wird dann von einem
ähnlichen Team von Spezialisten überprüft, was manchmal fast ein
Jahrzehnt dauern kann. (zum Beispiel wurde der Antrag für die
Lizenzierung des Westinghouse AP-1000 bereits 2002 gestellt, die
Lizenz wurde aber erst November 2011 erteilt)
Dass ist der Fall für Modelle die dem
Regulierenden bekannt sind. Es gibt klare Richtlinien, Vorschriften,
und Erfahrungen. Wenn man aber ein exotisches Modell lizenzieren
will, dass kaum je gebaut wurde, dass keine Steuerstäbe braucht, und
bei dem der Notfallplan ist: „Kühlung abschalten“... Mann kann
sich auf sehr viele, sehr zeitaufwendige Probleme gefasst machen.
Ohne politischen Willen die Lizensierungsverfahren zu verkürzen ist
es kaum durchführbar.
Glücklicherweise sind nicht in allen
Ländern die Politiker und Behörden so unkooperativ. In Tschechien
soll also dieses Jahr der Bau des ersten Flüssigsalzreaktor seit
1969 anfangen. Dieser 60 MW Reaktor soll voraussichtlich 2016 ans
Netz. Auch China will mit dabei sein im Rennen um die besseren
Reaktoren. So wurde Januar 2011 bekanntgegeben, das China ein auf
Flüssigsalzreaktoren basierendes, mit etwa 1 Mrd. Dollar
finanziertes Forschungsprojekt startet, das innerhalb von 20 Jahren
Flüssigsalzreaktoren für die Massenproduktion bereit machen soll.
Auch in Japan, Frankreich und USA gibt es Forschungsprojekte mit
Flüssigsalzreaktoren, leider sind diese nicht besonders gut
finanziert.
Der Gastbeitrag wurde ziemlich lang,
aber das Thema ist auch umfangreich... Nach jahrzehntelangem
Stillstand gibt es wieder Bewegung in der Kernkraft. Alte Konzepte
und Geschäftsmodelle werden mit neuen Ideen konfrontiert, darunter
auch komplett neue Konzepte wie die von einen Teilchenbeschleuniger,
der einen Reaktor antreibt (werde den nicht näher erklären, der
Text ist schon lang genug...). Die Renaissance kommt, sie wird aber
wahrscheinlich nicht so aussehen, wie sich das die Großkonzerne der
Atomlobby wünschen würden. Was eigentlich eine gute Nachricht ist,
für uns.
Noch ein paar links am Schluss:
Heutige Erneuerbare und Kernreaktoren
im Vergleich, Materialverbrauch. Man bedenke das wir in Deutschland
Photovoltaik-Anlagen installieren die nicht 40%, sondern zwischen 10%
und 20% der Sonnenenergie einfangen.
http://bravenewclimate.com/2009/10/18/tcase4/
Wer gern mit Zahlen rumspielt, oder
zumindest gerne liest wie andere es tun ein interessanter Blog über
verschiedene Energieoptionen, wo man z.B. nachsehen kann, wie groß
eine Batterie sein müsste, die Energie in den USA für eine Woche
speichert.
http://physics.ucsd.edu/do-the-math/
Und zum Schluss mein Liebling, der
Flüssigsalzreaktor.
Gastbeitrag von Kroll Lukasz
e-mail auf nachfrage.