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Dienstag, 25. Juni 2013

Industrielle Revolution - Gedanken und Parallelen

Die Problemstellung

Ihr wisst ja - zumindest die regelmäßigen Leser meines Blogs - dass ich sehr durch die Themen hüpfe. Ich schreibe, was mir gefällt oder was mich interessiert. Dabei gehe ich auch schon mal der Weltpolitik an die Gurgel. Obwohl, da brauchen wir uns nichts vorzumachen, der Weltpolitik nichts egaler sein könnte. Schon die Europa-Politik oder der deutsche Merkelismus sind erschreckend immun gegen meine berechtigten Argumente. Erst recht gegen die nicht berechtigten, die aber in der Minderheit sind.
Langer Rede, kurzer Sinn, ich lese gerade ein Geschichtsbuch. Es ist vom Weltbild Kolleg aus der Reihe Abitur Wissen. Das Fachgebiet ist Geschichte. Die überarbeitete Ausgabe ist von 1994. Etwas alt? Sicher. Aber da es sich um Geschichte handelt, ist da nur eine neunzehnjährige Lücke. Da das Buch seinen Schwerpunkt ab der französischen Revolution setzt, an dem für den Autor, Herr Friedrich Schultes, die Neuzeit begann, ist das zu vernachlässigen.
Beim Lesen des Buches bin ich auf ein paar wirklich erschreckende Parallelen gestoßen, die ich später ausführlich aufführen werde.
Zuerst aber möchte ich ein paar Fakten aus dem Buch nennen. Nicht wenige von Euch potentiellen Lesern werden die gleichen Parallelen und Zusammenhänge wie ich sehen. Aber es lohnt sich, bis zum Ende mit dem Fazit zu lesen, versprochen. Der Aspekt, den ich besonders beleuchten möchte, ist die Industrialisierung.


Historische Fakten

Wie gesagt geht Herr Schultes davon aus, dass mit der französischen Revolution die Neuzeit, oder vielmehr die Industrialisierung begann. Hierbei spielt die erste kostendeckend arbeitende, weil effiziente Dampfmaschine von James Watt die ausschlaggebende Rolle. Dampfmaschinen waren schon seit Jahrhunderten bekannt, aber da sie in der Preis-Nutzen-Rechnung durchwegs versagt hatten, konnten sie sich nicht wirklich durchsetzen.
Dadurch, dass er die Kondensation des Dampfes aus dem Kolben, den er antreiben sollte, in einen eigenen Kondensator verlagerte, funktionierten die Teile endlich so, wie sie sollten. Und es begann der Siegeszug der Dampfmaschine, der später durch den Otto-Motor von Nicolaus Otto abgelöst wurde: Benzin als Ölderivat war auf dem Vormarsch und ermöglichte wesentlich kleinere Motoren, die im Verbrennungsprinzip Kraft lieferten, nicht über den Umweg der Dampfbildung.
(Ich sehe jetzt gerade ein paar Leser die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Ist da nicht was mit der Kernkraft? Wird da nicht auch mit der Hitze von den Brennstäben Dampf produziert, womit hochmoderne Turbinen betrieben werden? Gibt es nicht auch eine Art Otto-Motor für Kernenergie? Nein, gibt es nicht. Aber mich persönlich wundert, dass die Technik nie über den Druckwasserreaktor hinaus gekommen ist.)
Zugleich fielen zwei Ereignisse, die Europa für immer verändern sollten. Das erste Ereignis war die Einführung der flächendeckenden Impfung gegen Pocken. Die Kindersterblichkeit sank enorm, und in nur wenigen Jahren kam es in Deutschland und England zu erheblichen Bevölkerungszuwächsen.
Das zweite Ereignis war wahrscheinlich noch wichtiger. Justus von Liebig, deutscher Professor für Chemie, bewies die Düngewirkung z.B. von Salzen und begründete die moderne Agrikulturchemie. Dadurch erhöhten sich die Ernteerträge enorm und mehr Menschen konnten ernährt werden.
Soweit, so gut. Wir haben also eine Effizienzverbesserung in der beginnenden Industrie, weg von der Handarbeit, hin zur Nutzung von Maschinenkraft, die letztendlich in Henry Fords Fließbandarbeit mündete.
Etwa zur gleichen Zeit schritt die Kolonialisierung der Welt voran. Europas Industrien, allen voran England, erschlossen neue Absatzmärkte. Afrika wurde aufgeteilt, Asien als Kolonialgebiet oder als Markt eröffnet. Unter anderem erwähne ich hier die gewaltsame Öffnung des japanischen Absatzmarkts für ausländische Industrieprodukte durch Admiral Matthew Perry im Auftrag der USA. Nebenbei bemerkt führte dies zur Meiji-Restauration, also dem Ende der Samurai-Herrschaft, dem Ende des Bakufu genannten Regimes des Shogun, zur Öffnung für Industrie, westliche Fertigungsmethoden und westliche Medizin, was letztendlich zu Bevölkerungswachstum, mehr Wohlstand, wachsendem Wissen und der Industrialisierung Japans führte.
Aber ich gehe zu weit.
Zurück nach Europa. Die Landwirtschaft erwirtschaftete also mehr Produktivität, konnte mehr Menschen ernähren und es wurden immer weniger Menschen gebraucht, die die neuen Geräte bedienten. Die Zeiten, in denen zwanzig und mehr Knechte auf dem Kornboden mit Dreschflegeln auf die Getreidegarben einschlugen, gingen zu Ende. Mit einfachen Worten: Die bisher in der Landwirtschaft eingesetzten rund fünfzig Prozent der Bevölkerung wurden nicht in dem Maße gebraucht. Dazu kamen die Stein und Hardenbergsche Reformen, die unter anderem ein Ende der Leibeigenschaft der preußischen Bauern bedeutete. Dies sollte dazu dienen, u.a. das preußische Heer effizienter zu machen, nach rein französischem Vorbild, da von Stein und Co. annahmen, dass freie Bauern wesentlich effektiver kämpfen würden als Leibeigene. Der Schuss ging nach hinten los, denn viele Bauern verloren durch effektiven Lobbyismus einen Großteil ihres Landes an die Großgrundbesitzer, denen sie zuvor verpflichtet gewesen waren. Oftmals reichte das Land zur Bewirtschaftung nicht aus; die Stadtflucht setzte ein. Das Volk, in wenigen Jahren um zwanzig, dreißig Prozent gewachsen, drängte in die Städte und damit in die Industrie.


Zwischenfazit

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich absichtlich vereinfache, verallgemeinere. Zwar behandele ich nur einen begrenzten Aspekt der Geschichte, aber Herr Schultes hat ein ganzes Buch geschrieben. Es ist unmöglich, dies in einem simplen Blogeintrag wiederzugeben, will ich der Historie gerecht werden. Es lohnt sich in jedem Fall, den Links zur Wikipedia zu folgen und dort querzulesen, um ein Gefühl für die Materie zu entwickeln.
Ich mache derweil weiter mit meinem Geschichtsabriss.


Betrachtung der historischen Daten

Was also haben wir hier? Ein ganzes Heer an Ungelernten, das in die Städte zog und sich dort bessere Lebensbedingungen erhoffte. Arbeit, Anstellung, Entlohnung. Ein menschenwürdiges Leben. Wobei ein großer Teil dieser Menschen auch in die USA auswanderte, solange das neugegründete Land die freie Landnahme betrieb, um Einwanderer im großen Stil anzuziehen. Die Zahlen gingen massiv zurück, als die freie Landnahme endete.
Die sich entwickelnde Industrie hatte also ein wahres Heer an potentiellen Arbeitern vor sich. Durch Automatisierung von Prozessen wurden zudem immer weniger Arbeiter gebraucht. Und durch das Überangebot von Arbeitskräften sanken die Löhne. Teils widersetzten sich die Arbeiter den Modernisierungsprozessen, so wie die schlesischen Weber, die moderne Webstühle vernichteten, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten, obwohl diese ihnen nur ein Leben am Existenzminimum bescherten. Die preußische Armee beendete den Aufstand schnell und entschlossen.
Sicher, Reformgesetze, die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Vereins, der schließlich zwangsläufig zur SPD führte, die Rückschläge durch die Sozialistengesetze, aber auch die Neuorganisation in Partei und Gewerkschaften, deren Mittel der Arbeitskampf war, taten später ihren Teil zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen.
Doch bis dahin sah es mau aus. Die Arbeit eines Mannes, oft vierzehn Stunden am Tag, reichte durch die Dumping-Löhne nicht dazu, eine Familie zu ernähren. Die Frau musste ebenfalls arbeiten, und dies zu vergleichsweise geringeren Löhnen. Also wurde auch die Kinderarbeit üblich, auf Kosten von Kindswohl und Bildung. Erwachsenen-Arbeitstage waren für Kinder keine Seltenheit, sondern die Norm. Als Negativ-Beispiele erwähne ich hier zwei Verwendungen von Kinderarbeit, die oft zum frühen Tod der Kinder führte:
Einmal war dies der Einsatz in den damaligen Bergwerken, wo Kinder aufgrund ihrer geringen Größe in engen Schächten eingesetzt wurden, wo sie Schwerstarbeit verrichten mussten.
Ein andernmal war da der Beruf des Schornsteinfegers, der, wenn nicht gleich den Panik-, Erstickungs-, oder Verletzungstod brachte, (bei Charles Dickens' Oliver Twist kann man nachlesen, wie Jungs oben in die Kamine gejagt wurden, um diese zu putzen. War der Chef der Meinung, der Bursche hätte lange genug Zeit im Kamin verbracht, zündete er ein rauchloses Feuer an, dessen Hitze den Jungen wieder raustreiben sollte. Manchmal war es nicht rauchlos, manchmal konnte der Junge nicht raus, weil er eingeklemmt war. Aber wozu damit belasten? Es gab unzählige Kinder in Reserve, die diese Arbeit verrichten konnten und mussten.) so doch den Tod durch Staublunge und Lungenkrebs, die die Arbeit in der feinen Asche nun mal mit sich brachte.
Und was war in der Industrie los? Dadurch, dass die Kinder von Industrie-Arbeitern mitarbeiteten - Ihr seht es richtig - wurde natürlich das Angebot an Arbeitskräften vergrößert, und als Folge sanken wieder einmal die Löhne, denn man konnte Jedermann jederzeit kündigen und neu einstellen; nur wer bereit war, mit seiner ganzen Familie am Existenzminimum zu arbeiten und zu leben, konnte auf ein sklavisches Dasein als Industriearbeiter hoffen. Oder er musste eben betteln gehen. In den 1830er Jahren in Berlin kamen auf drei Bürger ein Bettler.
Ja, die Lage wurde besser. Ja, das Leben der Menschen wurde besser. Und das, Herrschaften, verdanken wir zu großen Teilen der SPD, denn Industrie, Bürgertum und Adel, die damals meinungsgebend waren (Stichwort Dreiklassenwahlrecht), waren nicht am Wohl der Arbeiter interessiert, sondern an einer steigenden Rendite. Dementsprechend mussten sich die Arbeiter organisieren, als Proletariat, als eigene Bewegung, in Parteien und Gewerkschaften. Erst das brachte so etwas ähnliches wie eine klassenlose Gesellschaft. Und nein, ich denke nicht, dass Deutschland heutzutage klassenlos ist. Jemand hat mal gesagt - ich weiß nicht, ob ich es wortgemäß wiedergebe - dass das Zeichen einer klassenlosen Gesellschaft "nicht ist, wenn man neben dem Reichen Auto fährt, sondern wenn der Reiche neben einem im Bus sitzt".


Parallelen in der Dritten Welt

Kommen wir zu Teil zwei meiner Gedanken. Parallelen in unserer Zeit. Schauen wir mal kurz in die Dritte Welt, in die armen Länder der Erde, die gerade industrialisiert werden. Bangladesh. Erst kürzlich erschütterten Bilder und Nachrichten einer eingestürzten Textilfabrik, die auch für deutsche Einzelhandelsketten wie KiK und andere produzierte, mit mehreren hunderten Toten die Welt. Betroffen waren vor allem Frauen. Auch Kinderarbeit ist dort üblich.
Fällt jemandem etwas auf? Richtig. Wir haben die Situation, dass die Industrie im lohntechnisch billigeren Ausland fertigen lässt. Ein Arbeiter in Bangladesh kostet nur den Bruchteil eines Arbeiters in Deutschland. Und dennoch kann man die fertigen Waren in Deutschland verkaufen. Und weil man ja so billig verkaufen muss, um konkurrenzfähig zu sein, muss da doch was zu machen sein.
Wie war das doch gleich? Das Heer der Unqualifizierten zieht durch die Verbesserungen in Medizin und Landwirtschaft aus den Positionen in der Lebensmittelproduktion, wo es nicht mehr gebraucht wird, ab, und wendet sich der Stadt zu. Dadurch ergibt sich ein Überangebot an potentiellen Arbeitern. Die Löhne sinken. Und das tun sie so sehr, dass der Mann eine Familie nicht mehr ernähren kann. Die Frau muss ebenfalls arbeiten. Natürlich muss sie genauso hart arbeiten wie der Mann, kriegt aber weniger Lohn. Weil, und das ist der springende Punkt, durch die Ressource Frau natürlich die Arbeitsplätze wieder verknappt werden und die Löhne sinken, weil mehr Menschen bereit sind, für dieses Entgelt am Existenzminimums zu arbeiten. Und das ist noch nicht alles: Auch die Kinder müssen ran, um die Familie über Wasser zu halten, weil die Arbeit der Eltern nicht mehr reicht. Und oh weh, was passiert im armen Bangladesh? Durch die Kinderarbeit wird wieder die Arbeitsmarktsituation verschärft - die Löhne sinken.
Die Folge? Verelendung trotz Arbeit, Erhöhung des Analphabethentums und damit eine Bremse vor der Chance auf Bildung und eine Verbesserung der eigenen Situation. Und das ist nur ein Land von vielen, in denen internationale Firmen produzieren lassen. Unter anderem für den Absatzmarkt Europa, wo sie trotz der Billigproduktion im Ausland unter Ausbeutung ganzer Völkerscharen ihre hohe Rendite sichern. Warum wohl produziert Apple bei FoxConn? Nicht um Rendite zu machen, sondern um besonders viel Rendite zu machen.
(Die Lösung liegt natürlich für Bangladesh und die anderen ausgebeuteten Staaten der dritten Welt, aber auch für die FoxConn-Belegschaft in der Gründung starker Gewerkschaften. Es ist die einzige Möglichkeit für ein menschenwürdiges Leben, solange der Staat unter er Fuchtel der Industrie steht, anstatt es umgekehrt zu handhaben.)


Noch besser: Parallelen im heutigen Deutschland

Aber das ist noch nicht alles. Das ist noch nicht der ganze Bogen, denn dieses Spiel der Industrie wird auch gerade wieder mal in Deutschland gespielt und wird, solange unsere Gewerkschaften nicht vehement dagegen arbeiten, auch noch eine ganze Zeit so weitergehen.
Ich erinnere nur daran, dass das erste Jahrzehnt im neuen Jahrtausend geprägt war von Lohnverzicht zugunsten von Arbeitsplatzgarantien. Die Löhne sind nach und nach in Deutschland gefallen, während die Waren und Dienstleistungen im Preis gestiegen sind. Welcher Mann kann heutzutage den Lebensunterhalt der Familie alleine bestreiten? Oft genug muss die Frau ebenfalls arbeiten. Halbtags oder Vollzeit. Und hätten sie Kinder - wer kann sich heute denn schon noch Kinder leisten? - würden die ihren Teil dazu verdienen müssen, indem sie als Regaleinräumer im Supermarkt auf 400,-€ jobben gehen oder Zeitungen und Prospekte austeilen. Aber reicht diese künstliche Lohnreduktion der Industrie? Nein, natürlich nicht. Da, wo dem Vorstand eine starke Belegschaft gegenübersteht, die Abenteuer, Outsourcing und Produktionsmaximierung ohne Sinn und Verstand einen Riegel vorschiebt, reichen auf einmal geringere Renditen. Hauptsache, man ist im Plus.
Wo sie aber losgelassen, nützt auch die schwarze Zahl am Ende der Bilanz nichts. Denn dort, wo sie dürfen, da wird alles maximiert, Kosten werden gesenkt, Arbeitskosten auch, indem man die Belegschaft rauswirft und über einen Zeitarbeitsdienst zu billigeren Löhnen wieder einstellt, und dergleichen.
Oder es wird gleich dicht gemacht, weil eine industrielle Produktionsstelle, die nicht wesentlich mehr abwirft als das dicke schwarze Plus, "unrentabel" ist. Aus diesem Grund wird General Motors nach von Guttenbergs "Rettungsaktion" auch das Bochumer Opel-Werk schließen. Eine Entwicklung, die sich abgezeichnet hat, als der Ex-Minister noch für seine geniale Rettung und Hofierung des amerikanischen Mutterkonzerns gelobt wurde. Ehrlich, Opel wäre selbstständig besser dran. Und Bochum stünde nicht vor der Schließung.
Und weiß der Henker, was Opel mit den Subventionsmilliarden gemacht hat, die ihr zur Verfügung gestellt wurden.
Unter diesem Gesichtspunkt sollte man auch den Mindestlohn betrachten. Wenn Herr Rösler sagt, vier Euro seien eine gute Entlohnung und den Rest könne der Staat zuschießen, so ist das nichts weiter als die Verknappung aus den ersten Jahrzehnten des Industriezeitalters - nur mit anderen Methoden. Damit wird subventioniert und die Gemeinschaft trägt die Einsparungen der Industrie und fördert damit ihren Profit. Alleine deshalb geht der Weg nicht am Mindestlohn vorbei. Was die Industrie macht, wenn "der Markt alles reguliert", haben wir in den letzten Jahren oft genug gesehen. Wie oft ist die Börse kollabiert? Wann genau hat das Platzen der USA-Spekulationsblase eine weltweite Bankenkrise ausgelöst? Nein, Herrschaften, wenn sie losgelassen, geht es immer um Profit, um Renditensteigerung. Und ein Traditionsunternehmen in Deutschland mit einhundert Jahren Geschichte ist mit seinem Standort Deutschland auch nur so lange interessant, wie ein Großkonzern Vorteile hat oder in Deutschland bleiben MUß. Es ist abzusehen, dass der Name Opel z.B. ins Ausland abwandern wird, während die deutschen Werke nach und nach dem Rotstift zum Opfer fallen werden.
Ohne unsere sozialmarktwirtschaftliche Komponente, die ausgebaut, statt reduziert gehört (ja, ich rede hier tatsächlich gegen Privatisierung und für Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen wie Post, Bahn und Strom, aber das ist was für einen eigenen Blogeintrag), und ohne starke Gewerkschaften stehen die normalen Arbeiter mit dem Rücken zur Wand. Und die Wand wird auch noch wegrationalisiert.
Noch geht es uns in Deutschland verhältnismäßig gut. Noch haben wir den höchsten je in Deutschland erreichten Lebensstandard. Noch haben Konservative und Liberale die amerikanischen Verhältnisse wie "Hire&Fire" nicht durchsetzen können. Noch nicht. Aber die Abwanderung unserer Arbeitsplätze ist sicher nicht nur ein feuchter Traum der Großindustrie.
Der Witz bei der ganzen Geschichte ist: Solche Firmen können sehr gut leben und ihre Arbeiter und Angestellten großzügig entlohnen, wie man z.B. an VW sieht. Und sie erwirtschaften auch gute Renditen. Es muss kein Lohndumping betrieben, keine Zeitarbeiter beschäftigt und keine Produktion ausgelagert werden. Nein, muss es wirklich nicht. Aber entweder sitzen dem Vorstand die unrealistische Renditeforderungen im Nacken (mal ganz ehrlich, jedes Jahr sieben Prozent Produktivitätssteigerung - wer soll das alles kaufen, und sollen Arbeiter und Angestellte umsonst arbeiten?), oder Banken haben übersteigerte Erwartungen für die gewährten Kredite zur Sicherung des Produktionsmittelankaufs. Das alles muss nicht sein. Und es kann auch relativ einfach von der Politik reguliert werden. Mindestlohn ist daher für diese übersteigerten Erwartungen reines Gift. Aber macht Euch darum keine Sorgen: Firmen, die ihre Arbeitsplätze in Deutschland abbauen und ins Ausland gehen, sobald der Mindestlohn Realität ist, hätten dies kurzfristig ohnehin getan.


Mein Fazit: 

Sehen wir den Fakten doch mal ins Auge und vergleichen wir sie mit den historischen Daten. Denn wer nicht aus der Geschichte lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen, frei nach George Santayana. Und genau das steht uns bevor.
Wir erinnern uns, nach dem Ausverkauf der DDR-Betriebe für 'nen Appel und 'nen Ei an Westfirmen (diesen Wahn konnten nur wenige Betriebe überleben, so wie Zeiss und Rotkäppchen Sekt) jammerten deutsche Chefetagen, man möge doch mit Lohnforderungen das nächste Jahrzehnt moderat sein, um deutsche Arbeitsplätze zu sichern. Die Gewerkschaft war moderat, und was war die Folge? Die neuen Zeitarbeitsregeln, gedacht, um Geringqualifizierte und Randgruppen wie z.B. Arbeiter kurz vor dem Rentenalter wieder in Lohn und Brot zu bringen, wurden von der Industrie eigenwillig interpretiert und zur Verbesserung der Rendite verwendet (nicht zum Überleben) und fälschlich angewendet. Und auch der 400,-€-Job, ursprünglich dazu gedacht, die polnische Putzfrau (um es überspitzt auszudrücken) auf eine rechtliche Basis zu stellen, wucherte wild als Arbeitsgrundlage. So suchen NKD, KiK und dergleichen ihre Verkaufskräfte prinzipiell als 400,-€-Kräfte, weil der erste Job dieser Art keine Lohnnebenkosten fordert (oder, zumindest seit Merkels letztem Geniestreich, ein Butterbrot aus der Tasche des Arbeitnehmers). Zwei solche Jobs ersetzen eine Lohnnebenkostenpflichtige Teilzeitstelle und gehen somit auf Kosten der sozialen Kassen. Aber da es der Industrie dient, streuen die Regierungsparteien weiter brav Sand in die Augen der Bevölkerung und behalten die Regelungen brav bei, die einmal aus anderen Gründen und zu anderen Zwecken ins Leben gerufen worden waren.


Reale Gefahren

Ein letzter Punkt, über den ich diskutieren will, sind Elterngeld und Krippenplätze.
Vorweg möchte ich eines sagen: Ob nun der Mann das Geld verdient oder die Frau, ist nebensächlich. Auch die Entscheidung für oder gegen Kinder ist Sache des Einzelnen oder der Paare. Wenn eine Frau (oder der Hausmann) in einer Teilzeitstelle Erfüllung findet oder sogar ganztags arbeitet, damit das gemeinsame Geld für drei Urlaube im Jahr reicht, soll mir das recht sein. Was mir aber sauer aufstößt, das ist, dass, um bei einem einfachen Modell zu bleiben, die Frau in Teilzeit mitarbeiten muss, um die Familie über die Runden zu bringen. Oder sogar in Vollzeit, weil das Geld nicht reicht... Und damit wird natürlich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Viele Bewerber auf eine schlecht bezahlte Stelle ermöglichen es dem Arbeitgeber, diese Stelle noch schlechter zu entlohnen. Und je mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt dazukommen, desto größer wird die Flut arbeitswilliger Nichtverdiener, die auch mies bezahlte Jobs annehmen wie einen 400,-€-Job, einfach weil sie es müssen. Auch wenn vier dieser Jobs eine Vollzeitstelle mit vollen Lohnnebenkosten zerstören.
Und in diese Zeit will die CDU die Krippenplatzregelung einführen, damit Mütter ihre Kleinkinder abgeben können, um zu arbeiten... Und das nicht weil sie es so wollen, sondern weil es für die Ernährung der Familie die einzige Lösung ist.
Wenn jetzt auch noch die Kinder hinzugezogen werden, dann haben wir sie wieder, die Verhältnisse zu Beginn des industriellen Zeitalters. Nur kommt zu unserem Problem nicht nur die wachsende Zahl potentieller Arbeiter, aus denen Unternehmen schöpfen und Lohndumping betreiben können, sondern die noch weit unüberschaubarere Zahl an ungelernten Kräften im billigen Ausland.
Schätze, es wird Zeit, die soziale Marktwirtschaft zu retten und dem "sich selbst regulierenden freien Markt" endlich auf die Finger zu klopfen.
Seien wir ehrlich: Kapitalismus ist nur deshalb noch nicht furios gescheitert, weil immer wieder der Staat eingreift und ihn rettet. Und das brauchen wir nicht bis in alle Ewigkeit. Wirklich nicht.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Ace....

schöne Analyse. Passend dazu las ich doch neulich einen Kommentar, dass die Arbeitskämpfe der Gewerkschaften zu Lohnsteigerungen für eine privilegierte Gruppe von Arbeitnehmern(die in gut organisierten Branchen) führen. diese Lohnsteigerungen sollen zu Preiserhöhungen führen und diese dazu, dass die Arbeiter in schlecht organisierten Branchen, welche keine Lohnerhöhungen kennen, am Existenzminimum leben. Schlussfolgerung des Kommentators war, dass die Gewerkschaften abgeschafft gehören da deren Arbeitskämpfe Preissteigerungen verursachen. Selten so gelacht.... Komischerweise gab es gerade im schlecht organisieren Dienstleistungsgewerbe große Preissteigerungen ohne Lohnerhöhungen.
Meiner Meinung nach sind ide Gewerkschaften derzeit zu schwach, was wohl auch davon kommt, dass der normale Arbeiter zu uninteressiert ist. Das System funktioniert aber nur, wenn Gewerkschaften und Unternehmen auf Augenhöhe agieren.(Zu starke Gewerkschaften sind auch schlecht, siehe in den USA in der Vergangenheit - das hat dann dort schon mafiöse Struturen angenommen, incl. Erpressung von Unternehmen etc.)

Tostan

Ace Kaiser hat gesagt…

Hi, Tostan.
Schön, dass Du Dich mal wieder zu Wort meldest.^^V

Das Hauptproblem, das Gewerkschaften produzieren, ist m.E. das Lohnungleichgewicht. Wenn sie fünf Prozent mehr Lohn aushandeln, profitieren die oberen Löhne und Gehälter mehr als die unteren. Dem tragen die Gewerkschaften Rechnung, indem z.B. die Einmalzahlungen einen Festbetrag aufweisen.
M.E. kann man die teils mafiösen Strukturen in den USA unter einem Jimmy Hoffa nicht wirklich mit unseren Gewerkschaften gleichsetzen, praktisch weil wir weniger Mafia haben.
Aber Gewerkschaft bedeutet auch immer Arbeitskampf, und, wenn wir auf die Ursprünge zurückgehen, auch Klassenkampf. Gewerkschaften geben einer ganzen Schicht Unterpriveligierter eine gemeinsame Stimme, wo die Einzelstimme ungehört verhallt wäre. Und ja, das ist konträr der Interessen der Arbeitgeber, die natürlich (Ausnahmen sind da selten) die höchstmögliche Rendite wollen...

Die Forderung zur Abschaffung von Gewerkschaften, weil sie unorganisierte Menschen ans Existenzminimum treiben soll, hältst nicht nur Du für einen Witz - und zwar für einen wirklich schlechten. Nur wo sich die Arbeitnehmer organisieren und als gleichberechtigter Gesprächspartner präsentieren - wie Du schön festgestellt hast - können sie etwas bewirken. Es ist wie Demokratie. Viele bündeln ihre Stimme in einer Person, die dann für sie spricht und dank der vielen Stimmen hinter sich auch gehört wird.

Um auf meinen Text zurückzukommen, was passiert denn, wenn die Preise steigen? Arbeitgeber sind gewillt, die Löhne zu drücken. Ohne Rücksicht darauf, ob es ihren Arbeitern damit besser oder schlechter geht. Weil höhere Preise auch höhere Beschaffungskosten für Produktionsmaterialien bedeutet, btw.
Und was ist, wenn Preise sinken? Arbeitgeber sind gewillt, die Löhne zu drücken. Weil Arbeiter bei sinkenden Preisen ja weniger Geld brauchen...
Fazit: Die Arbeitnehmerseite unorganisiert zu lassen ist eine sehr dumme Idee - für Arbeiter und Angestellte.

Anonym hat gesagt…

Hallo Ace,

Früher gab es Unternehmer. Diese haben ein Unternehme entweder geerbt oder selbst von grund auf Aufgebaut. Das war ihr Lebenswerk, welches sie ihren Kindern vererben wollten. Sie waren somit ihrem Unternehmen und ihrer Familie verpflichtet und gezwungen langfristig zu denken.

Heute gibt es Manager, welche auch nur angestellte sind die bei schlechten Quartalszahlen schnell ärger bekommen. Die Aktionäre wollen Gewinne sehen, Jetzt! Gleich! Sofort! Und nicht erst in ein paar Jahrzehnten. Langfristiges Denken wird also nicht belohnt und außerdem sind die Lehren von Henry Ford in Vergessenheit geraten.

Dieser war zwar auch ein erklärter Feind der Gewerkschaften, aber er hat erkannt, dass eine Massenproduktion nur funktioniert, wenn es auch Abnehmer für die Massen von Produkten gibt. Der normale Arbeiter braucht also zwei sachen. 1) einen Lohn der es ihm auch erlaubt, mehr als das absolut Lebensnotwendige zu kaufen(Ford zahlte das mehrfache des damals üblichen!). 2) Genug Freizeit um konsumieren zu können.

Und was ist heute? Reallöhne sinken. Genug Freizeit haben die Arbeitslosen, die kein Geld haben. Der Rest schruppt unbezahlte Überstunden um seinen Job zu behalten und hat keine zeit mehr....

Alle verweisen auf China und dass man wettbewerbsfähig bleiben muss und dafür möglichst das Chinesische Lohnniveau noch unterbieten muss. Dass das so nicht funktioniert und die Chinesen eher auf unser Lohnniveau kommen müssen damit die Konsumgesellschaft(mit allen ihren Fehlern und schwächen) weiter funktioniert, das erkennt niemand.

Tostan

Ace Kaiser hat gesagt…

Hi, Tostan.
Du hast es sehr schön auf den Punkt gebracht. Gelingt es uns, in Drittweltländern und Schwellenländern Gewerkschaften zu etablieren bzw. ihren Lebensstandard an unseren heranzuführen, hat es sich nicht nur mit den Billiglohnparadiesen, sondern auch mit der Ausbeutung und der falschen Lohndeutung hier bei uns.
Dann wird vielleicht auch mal die Hektik aus der Geschäftswelt genommen und der Markt muss sich nicht dauernd selbst verregulieren. ^^V