Noch ein Ein Post-Revival. Am 17.07.2012 schrieb ich eine Glosse über das Leben in Deutschland und über den Lebensunterhalt hierzulande. Damals erhielt der Beitrag keine Kommentare, wird aber in den letzten Tagen immer wieder oft genug angeklickt, sodass er in den Tages-Top Ten auftaucht. Darum dachte ich mir: Gib ihm doch noch mal eine Chance. Vielleicht entsteht ja jetzt eine Diskussion.
Also, holt die sozialkritischen Fahnen hervor und schwenkt sie, Ace meckert über Lohn-Deutschland.
Wohlstand? Ja, leck mich am Arsch - eine Glosse über das Leben in Deutschland
So, mit diesem markigen Eingangsspruch, entlehnt von
Thorsten Dörnbach,
solange solche Zitate durch das neue Leistungsschutzrecht noch nicht
zahlungspflichtig sind (sorry, Ralph, kein Affront gegen Dich, nur gegen
Printverlage) möchte ich mal ein wenig zum Wohlstand in Deutschland
schreiben. Einfach, weil mir danach ist. Und einfach, weil es
tatsächlich Dinge gibt, die mal gesagt werden müssen.
Wie war das doch gleich noch, als ich ein Kind war? Vater ging arbeiten,
Montag bis Freitag, ab und an auch mal Samstags und Sonntags, ab und an
fuhr er mal auf Montage; ich und meine zwei Geschwister gingen in
Kindergarten und Schule. Mutter war Zuhause, schmiss den Haushalt und
hielt uns drei Blagen, so gut sie konnte unter Kontrolle. Wir hatten nur
einen Familienwagen, aber das war immer ein Großer, also Opel Ascona
oder ein dicker Volvo. Urlaub war nicht drin bei so vielen Kindern.
Aber wozu gab es die Badeanstalt direkt im Ort? Ich frage mich sowieso,
warum alle in der Sonne Urlaub gemacht haben - mitten im Hochsommer? Ach
ja, weil die Sonne hier nicht immer im Sommer auch geschienen hat.
Alles in allem nicht gerade eine bescheidene Existenz, aber auch kein
Luxusleben. Und das alles finanziert durch den alleinigen Verdiener in
der Familie, meinen Vater.
Wie sieht es heute aus in Deutschland? Papa arbeitet, Mutter geht
zumindest halbtags arbeiten, wenn es ein oder zwei Kinder gibt,
ganztags, wenn sie nur ein Pärchen sind, damit sie ihr eigenes Geld
verdienen kann; irgendwann einmal wird gebaut, auch wenn beide
Großelternpaare Häuser haben, die die Kinder ursprünglich mal erben
sollten, um darin zu wohnen. Aber das ist ja eine so unsichere Sache in
einer Zeit, wo die Urgroßmutter schon hundert geworden ist, und die
Großeltern wohl auch hundert werden, dank der guten medizinischen
Versorgung in Deutschland.
Funktioniert natürlich nur, wenn man nicht in das amerikanische
Hire&Fire gerät, das auch dank neoliberaler Wirtschaftspolitik in
Deutschland favorisiert wird, wo ja die Kosten für Mitarbeiter so
exorbitant hoch sind... Gerät ein Verdiener da hinein, kann das schon
mal ALG I heißen. Hat er Pech und findet nicht schnell einen Job, heißt
es nach einem Jahr ALG II. Oder auch im Volksmund: Hartz IV. Und ist
z.B. der Papa da erstmal drin, dann fragen sich all die Personalchefs,
wie unfähig der Mann wohl ist, dass er nicht rechtzeitig Arbeit bekommen
hat, und stellen ihn lieber nicht ein. Er könnte ja faul sein. Oder
klauen. Oder schlecht über den Boss reden. Oder alles zusammen.
Also, das Schicksal wollen wir Papa lieber nicht wünschen, denn wir
wissen doch alle, dass Hartz IV-Menschen faul sind, klauen, und schlecht
über andere reden. Zum Beispiel über solche Leute, die sich nicht faul
auf dem Wohlstandsstaat ausruhen und sich nicht mit 364,-€ ein schönes
Leben machen.
Außerdem sollen sie sich mal an anderen Menschen ein Beispiel nehmen,
die für 364,-€ einen regulären Vollzeitjob machen, weil sie sich ihr
eigenes Geld verdienen wollen, damit sie nicht von Hartz IV leben
müssen. Ja, das sind natürlich Idioten, wenn sie so wenig Geld arbeiten,
obwohl sie das Gleiche vom Staat kriegen könnten. Aber immerhin, sie
gehen wenigstens arbeiten. Und irgendwas muss man doch tun, heutzutage.
(Anmerkung für alle, die es nicht verstanden haben: Ab Hire&Fire ist der Text absichtlich ironisch gehalten.)
Schauen wir aber mal zurück auf den Idealfall: Mama und Papa gehen
arbeiten. Beide verdienen und bringen anderthalb oder zwei Gehälter nach
Hause. Das ist eine Menge Geld. Und das obwohl Frauen immer noch
schlechter bezahlt werden als Männer in der gleichen Tätigkeit. Auch,
obwohl sich Papas Gehalt in den letzten zehn Jahren kaum vergrößert hat,
die Gewinne seiner Firma aber in den Himmel geschossen sind. Das
übrigens auch, weil man die Lohnkosten niedrig halten konnte - sprich:
man hat den eigenen Leuten nicht das bezahlt, was sie eigentlich wert
sind, obwohl es die Arbeiter und Angestellten sind, die in einer Firma
das Geld ranschaffen.
Ist so ein Doppel-Gehalt also immer noch eine Menge Geld? Hier kommen
wir zum ersten wirklich nachdenklichen Punkt in einer Welt, in der nicht
nur jedem Kind ein Kindergartenplatz garantiert werden soll (damit Mama
halbtags arbeiten gehen kann), sondern sogar Krippenplätze angeboten
werden (damit Mama nach der Entbindung möglichst schnell wieder arbeiten
kann).
Man kann natürlich nicht darüber streiten, wie pädagogisch wertvoll
Kindergärten sind, und wie wundervoll die Krippenplätze, wo sich
ausgebildete Spezialisten gleich um viele der kleinen Würmer kümmern
(nämlich, damit Mama früher wieder arbeiten kann), und man mag sich auch
fragen, ob das Betreuungsgeld, das es Eltern leichter möglich machen
soll, das ein Elternteil eben doch zu Hause bleiben und sich selbst um
die Kinder kümmern kann, ein Rückschritt ist. Weil, seine soziale
Kompetenz erlernt das Kind selbstverständlich nicht in der Familie,
sondern in der Krabbelgruppe in der Krippe. (Den Kindergarten nehme ich
von meinen satirischen Einwürfen aus. Hier trifft man die ersten Freunde
für's Leben.)
Was man aber hinterfragen kann, ist die Philosophie, die dahinter steht.
Nämlich: Warum konnte mein Vater die ganze Familie allein ernähren,
warum konnte meine Mutter Zuhause bleiben (Vorsicht, sie hat einen
Gesellenbrief, das gebe ich hier allen Einwürfen vorab zu bedenken) und
sich um uns Blagen kümmern, und warum ist das heute nicht mehr möglich?
Warum müssen Mama und Papa beide arbeiten? Sind wir in Deutschland so
geldgeil? Muss es der Zweitwagen sein, das selbstgebaute Haus, die zwei
Urlaube im Jahr im Süden? Nein. Es muss sein, weil Papas Gehalt nicht
gewachsen ist. Die Familie braucht das Mehr an Geld einfach. Es reicht
nicht mehr, dass nur der Papa arbeiten geht. Auch die Mama muss
verdienen, und dann kommt für beide noch der Haushalt dazu. Und dann
sind da noch die Kinder, falls vorhanden. Die dürfen natürlich nicht so
lange in der Familie bleiben. Ab in die Krippe mit ihnen. Damit Mama
arbeiten kann, damit sie Geld verdienen kann, damit sich die Familie
überhaupt eine Familie leisten kann.
Versteht mich hier nicht falsch: Angenommen, wir haben Familie A, die
wirklich vom sehr guten Gehalt des Papas leben kann - und er läuft auch
nicht Gefahr, irgendwann mal neoliberal weggekürzt und gefeuert zu
werden, zumindest nicht, solange er nicht zu alt ist, und die Firma zu
viel kostet (und obwohl seine langjährige Erfahrung pures Gold wert ist)
- und die Mama könnte Zuhause bleiben... Tut sie aber nicht. Weil
Frauen heutzutage gleichberechtigt sind. Weil auch die Mama sich
beruflich verwirklichen will. Weil man ja "nicht nur Hausfrau" sein
möchte. Weil man es gesellschaftlich gesehen auch gar nicht darf, denn
"nur Hausfrau"? Hat die nichts gelernt? Kann sie nichts? Hauptberuf
Ehefrau, oder was? Nein, dann lieber arbeiten gehen. Wozu gibt es denn
Kindergärten und Krippenplätze?
Oder, noch besser, wozu überhaupt Kinder? Die sind eh zu teuer, und kaum
einer kann sie sich mal leisten. Und wenn Papa mal in die Hartz
IV-Mühlen gerät, dann hat man die Kleinen am Hals. Das geht ja auch
nicht. Und man setzt ja auch viele Kinder mit Hartz IV gleich, also
lieber nicht.
Nein, lasst diese Mama ruhig verdienen. Gleichberechtigt sein. Eigenes
Geld haben (das klingt so dämlich, finde ich), und den zweiten
Familienurlaub auf Malle finanzieren lassen. Und lasst sie sich was
gönnen. Von ihrem Geld. Kleider, Schmuck, sowas dergleichen. Weil sie es
kann. Sie hat ja dafür gearbeitet. Lasst ihr ihren Spaß und ihren
Lebensweg.
Kommen wir zu Familie B. Vater ist Vollverdiener. Muss er auch sein.
Frauen kriegen ja trotz Vollzeitstelle nicht das Gleiche wie die Männer.
Aber der Kindergarten ist teuer. Ein Kind sowieso. Und in der Schule
darf es nur mit Markenklamotten herum laufen, weil die anderen Eltern
ihren Kindern einbläuen: Du, das Kind trägt Sachen aus dem KiK, die
Eltern haben kein Geld, halte dich von dem fern.
Mama MUSS arbeiten. Damit genügend Geld da ist. Damit sie den
Lebensstandard halten können. Oder wenigstens nicht zuviel davon
aufgeben müssen. Das Geld wird dringend gebraucht. Auch für die Kinder.
Falls sich die Familie überhaupt Kinder leisten kann.
Irgendwie geht es dann doch. Irgendwie kriegen sie immer genügend
zusammen. Für die Hypothek auf das Haus. Für die laufenden Kosten beim
Auto. Für die Krippe, für den Kindergarten. Für die Schulbücher, wenn
das Bundesland mal wieder sparen will, und sie im Gegensatz zu all den
anderen Bundesländern nicht finanziert. (Da fragt man sich, wann jemand
allen Kindern ein Kindle kauft, und die Schulbücher digital runter lädt.
Was wäre das für eine Erleichterung im Schulranzen.)
Und vielleicht, nachdem man geRiestert hat und noch einen Bausparvertrag
füttert, reicht es für einen bescheidenen Urlaub auf Malle.
Um das, worum es mir geht, noch mal heraus zu arbeiten:
Lasst Familie A am Leben. Lasst die Mama Geld verdienen, für ihren
Luxus, für den Luxus der Familie. Sie hat einen Job, und gut ist. Und
egal, ob ich das Prinzip einer Krippe mag oder nicht, sie scheint es zu
mögen und zu nutzen.
Was aber Familie B angeht, in der die Mama arbeiten muss, damit es die
Familie überhaupt geben kann, so frage ich mich doch eines: Damals, in
den Siebzigern und Achtzigern, als ich Kind war, da war es vollkommen
normal, das es nur einen Verdiener gab. Das war der Durchschnitt, und
die Familie kam damit sehr gut zurecht. Wo zum Henker sind diese Zeiten
hin? Nichts gegen eine Mama, die halbtags oder ganztags arbeitet oder
arbeiten kann, weil die Schule eine Ganztagsbetreuung anbietet (oder
weil die Kleinen einen Schlüssel um den Hals tragen und in der
Mikrowelle das fertige Essen steht), vor allem im Zuge der
Gleichberechtigung ist gegen arbeitende Frauen überhaupt nichts
einzuwenden. Aber dass sie mittlerweile arbeiten MÜSSEN, ist schlicht
und einfach furchtbar. Das gilt aber auch für den Papa, wenn die Mama
besser verdient als er; der Papa darf auch nicht als Hausmann Zuhause
bleiben. Er muss ebenfalls ran am Arbeitsmarkt, und wenn er nur die
Hälfte kriegt, weil er in seinem Sechzig Stunden-Job nur sechs Euro
Stundenlohn kriegt.
In diesem Land konnte man einmal von einem vollen Verdienst eine Familie
mit drei Kindern groß ziehen. Ja, das war mal so, auch bei knappem
Kindergeld.
Heutzutage geht das nicht mehr. Nichts dagegen zu sagen, wenn beide
arbeiten wollen. Aber arbeiten zu müssen, das ist furchtbar. Nicht, weil
ich arbeitsscheue Menschen fördern möchte, sondern weil auf diese Weise
die Reihen der Zeitarbeiter gefüllt werden, der Niedriglohn-Sparten,
der Haustarifler.
Und damit beginnt der Teufelskreis, der dazu
führte, das ein Verdiener nicht mehr reicht. Dadurch, das so viele
Unternehmen kaum etwas für die harte Arbeit ihrer Leute zahlen, machen
sie Unternehmen, die das sehr wohl tun, Konkurrenz. Diese denken, ganz
neoliberal, dass sie am Besten bei den Personalkosten sparen, um
wettbewerbsfähig bleiben zu können, und ein Verdiener in der Familie
kriegt weniger Geld. Oder wird gefeuert. Prompt kann man auch im
Niedriglohnsektor an der Lohnschraube ziehen. Und zwar kräftig, weil man
ja bei den geringen Lohnnebenkosten der Konkurrenzbetriebe sonst nicht
kostengünstig arbeiten kann. Mindestlöhne gibt es ja nicht, also können
sie sich schadlos halten. Ergebnis: Die Betriebe, die ihre Mitarbeiter
schon schlechter entlohnen (weil sie glauben, es zu müssen), werfen
einen Teil von ihnen raus, und holen sie als Zeitarbeiter zurück. Weil,
sie kennen die Produktionsabläufe, oder? Das bedeutet Mehrkosten für den
Betrieb, die eingespart werden müssen. Oder sie schmeißen gleich Leute
raus oder senken wieder die Löhne. Und was passiert dann? Beide
Elternteile müssen arbeiten, weil das Geld hinten und vorne nicht
reicht. Ziel erreicht, neoliberale Wirtschaftsideologie.
Fazit: Ich wünsche mir die Siebziger zurück, in der es nur einen
Verdiener geben musste. Ich will nicht, dass die Mama aufhört zu
arbeiten (oder der Hausmann-Papa), aber ich will, dass sie es darf, wenn
sie es will (beziehungsweise er). Und wenn sie wegen der
Selbstbestätigung lieber doch arbeiten geht, dann soll ihr Gehalt den
Wohlstand der Familie vergrößern, nicht die gröbsten Löcher im Budget
füllen. Warum ist das heutzutage nicht mehr möglich?
Darauf gibt es
nur eine Antwort: Die Löhne und Gehälter sind im direkten Vergleich
nicht mehr groß genug, verglichen mit den Siebzigern. Autsch.
Sechzehn Jahre Kohl, sieben Jahre Schröder, und Fegefeuer mit Angela Merkel. Doppel-Autsch.
Oder um mal das
MAD zu zitieren:
Warum vom Urlaub in einem Billiglohn-Land träumen? Dank Angela Merkel leben Sie selbst bald in einem.
Dem ist nichts mehr hinzu zu fügen.
P.S.: Ich will die Siebziger zurück.