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Mittwoch, 20. Januar 2016

Über Einself-Kommi-Leser und -Schreiber und ihr gesellschaftliches Habitat

Es ist Januar. Neues Jahr, neues Glück. Und ich schreibe viel zu wenig für meinen Blog. Zugegeben, ich habe derweil eine Menge anderer Sachen geschrieben, unter anderem einige meiner Geschichten fortgesetzt und mich bei diversen Vielschreiberprojekten engagiert. Und auf Facebook. Obwohl der alte Zeitfresser jetzt nicht gerade die Speerspitze von Kultur, Objektivität und Literatur ist.
Ich muss das ändern. Wieder mehr über Themen schreiben, die mir am Herzen liegen. Deshalb schreibe ich heute einen leicht ironischen, spöttischen Kommentar über Leute, denen der Schuh passt, den ich jetzt schneidern möchte. Ich schreibe über die Einself-Kommi-Leser und -Schreiber in ihrem natürlichen, gesellschaftlichen Habitat. Aber eigentlich nicht nur, denn dieses Habitat und diese Leute kann man problemlos mit jedem Stammtisch und jeder Gruppe "Das muss man doch sagen dürfen"-Leuten vergleichen... Aber ich will nicht zuviel vorweg nehmen.

Was ist das eigentlich, der Einselfer? Warum gibt es ihn? Wo ist er Zuhause und was tut er?
Zuallererst einmal eines: Dem Einselfer, egal ob als Schreiber oder als Leser, gehört mein Respekt. Der eine schafft, der andere liest, und das sind zwei Eigenschaften, die in dieser unseren schönen Welt leider unterschätzt werden. Aber leider, leider, reicht das nicht, um ernstgenommen zu werden.
Besorgte Bürger haben schließlich auch eine eigene Meinung, aber das reicht auch noch nicht. Ernst genommen wird man erst durch den Austausch der Meinungen, vor allem konträrer Meinungen.
Der Einselfer ist wie folgt entstanden: Es gab einmal ein Fandom. In diesem Fandom setzten die Fans die Geschichten ihrer Helden selbst fort oder spannen komplett neue. Manche schrieben sich auch selbst mit dazu, also sie machten einen Self Insert. Und diese Geschichten gefielen einigen Leuten mit, sagen wir, nicht den besten Grammatikkenntnissen so sehr, dass sie alle ihre Kommentare mit Ausrufungszeichen unterstrichen, je mehr, desto besser. Dabei verfehlten sie manchmal die Caps-Taste, und prompt wimmelte der Kommentar, der Review oder die Rezension von Einsen oder Einselfen.
Daraus ergibt sich schon mal das erste Problem. Leser wie Autoren bewegen sich ja nicht nur in ihrem Fandom, sondern auch auf den Spuren der deutschen Grammatik. Und: Satzzeichen sind keine Rudeltiere. Dass sie dies ignorieren oder nicht für nötig halten zu lernen, sagt viel über den restlichen Schreibstil aus. Ja, Einself-Schreiber machen Tippfehler. Ja, Einself-Schreiber machen Zeitfehler, Fehler im Satzbau, schreiben Wörter falsch, weil sie nicht nachschlagen oder ihnen schlicht egal ist, wie der Duden sie schreibt. Aber das fällt ihnen nicht auf, denn sie bewegen sich in ihrem Habitat, wo auch die anderen Autoren und vor allem die Leser auf diesem schreiberischen Level sind. Wenn alle gleich oder gleich fehlerhaft schreiben, wird das normal. Zumindest in dieser Gruppe.
Versteht mich nicht falsch, da steckt schon Kreativität hinter. Und man kann nicht von jedem erwarten, der irgendwann, irgendwo das Schreiben für sich entdeckt, grammatisch perfekt zu sein, oder gut erzählen zu können. Aber man kann erwarten, besser zu werden.

Ich formuliere es mal anders. Wir beobachten also den Einselfer in seinem Habitat, er schreibt mit seinen Lieblingsfiguren, baut sich selbst ein und bringt seinen favorisierten Charakter dazu, sich in seinen Self Insert hoffnungslos zu verlieben. Dabei kommt es natürlich zu OOC, dem Out of Character, was geschieht, wenn man zum Beispiel Uchiha Itachi als superfreundlichen, überaus verliebten Herd-Typ beschreibt, der seine neue Freundin für ihre Parfumdesigns über alles bewundert. Natürlich ist es kein Problem, dass er bei Akatsuki beschäftigt ist und von Konoha gejagt wird, denn mit der Liebesheirat mit dem Self Insert wird ja alles gut.
Kann man machen. So als alternative Geschichte. Nur leider nehmen die Autoren solcher prosaischen Ergüsse ihre Arbeiten viel zu ernst, und das ist ja auch gut so, solange sie in ihrem Habitat bleiben, in dem jeder so schreibt und jeder sowas gut findet, inklusive verdrehten Sätzen und falscher Rechtschreibung. (Von Kommas fangen wir mal gar nicht erst an.) Was aber, wenn mal jemand über den Tellerrand schaut, wenn er auch außerhalb seines Habitats davon ausgeht, Lob und Bestätigung einzuheimsen?
Dann ist es ähnlich wie mit jedem deutschen Stammtisch. Kriegt man dort für seine Expertise darüber, wie beispielsweise Hoffenheim seine fußballerische Krise meistern sollte, noch Applaus, und für seine radikale Idee der Lösung der Flüchtlingsfrage (irgendwas mit Öfen und hochfahren) Standing Ovations, so wird er merken, dass außerhalb des Stammtisch nicht jeder seiner Meinung ist. Tatsächlich ist er in der Minderheit, denn es beginnt schon bei der Meinungsbildung, weil es "alle Ausländer sind" nun mal nicht gibt.
So passiert es auch unserem Einselfer-Autor, der sich mit etwas auseinandersetzen muss, was er vorher nicht kannte: Korrekte Grammatik. Und DANN kommen erst Satzbau, Formulierung und Storyplot dran. Wirklich, man kann eine ganz, ganz tolle Self Insert-Geschichte mit Itachi als verliebtem Gockel und Parfumdesign schreiben, die auch ganz vielen Leuten gefällt, Parodien sind nämlich in, aber dazu muss man erst einmal gut genug in den Grundlagen sein, damit die Leute auch lesen und überhaupt bis zu den interessanten Stellen kommen.

Konfrontiert mit der Anforderung, das Wort "schlicht" in Zukunft nicht mehr "schliht" zu schreiben, "obwohl doch jeder versteht, was ich meine", gibt es drei mögliche Reaktionen des Einselfers.

1. Die häufigste Reaktion des Einselfers ist, sobald er sein Habitat verlässt und zum Beispiel einen besseren Autor, nennen wir ihn Ace Kaiser, fragt, wie er seine Geschichten findet, nach der ersten technischen und inhaltlichen Kritik Dinge zu sagen wie: "Du bist ja nur neidisch!" "Mein Plot ist so super, da lesen doch alle über die kleinen Schwächen hinweg!" "Du kannst ja selbst nichts!" "Ich bin die neue Rowlins, du wirst schon sehen!"
Tja, und dann zieht sich der enttäuschte Einselfer in sein Habitat zurück, weil er eben nicht nur von Ace diese Kritik kriegt, sondern auch von vielen anderen. Denn außerhalb seines Habitats lesen die Leute auch sehr viel, aber sie stellen hohe Anforderungen an Satzbau, Rechtschreibung, Zeichenfehlern, Plot und Personenentwicklung. Weil sie viel lesen. Vor allem Bücher von Profis, die eigene Lektoren haben. Damit aber verpassen sie die Chance, besser zu werden und ihren tollen (oder nicht so tollen, zugegeben) Ideen einen besseren Rahmen zu geben. Und nein, das hat nichts mit Anpassung oder Selbstaufgabe zu tun, sondern damit, die allgemein gültigen Standards zu erfüllen.

2. Der zutiefst enttäuschte Einselfer zieht sich, entsetzt von der in seinen Augen vollkommen unberechtigten Kritik, in sein Habitat zurück, klagt dort sein Leid, leckt seine Wunden und schreibt auf dem bisherigen Niveau weiter. Eventuell kommt es hiernach noch zu einigen Attacken seiner Autorenkollegen und seiner Leser aus dem Habitat, die ihren Autoren bis aufs Messer verteidigen.
"Du bist ja nur neidisch!" "Sein Plot ist so super, da lesen doch alle über die kleinen Schwächen hinweg!" "Du kannst ja selbst nichts!" "Das ist aber der neue Rowlins, du wirst schon sehen!"

3. Die seltenste, aber wünschenswerteste Reaktion ist diese: Der Einselfer sortiert nach der Kritik seine Gedanken, schaut sich seine Texte genau an und vergleicht sie mit regulärer Literatur. Dann kommt er noch mal zu Ace und fragt: "Was kann ich denn tun, um besser zu werden?"
Dann kriegt er von Ace natürlich einige Tipps wie: Viel lesen, von richtigen Autoren, nicht von Einselfern. Viel schreiben, denn Übung macht den Meister. Die Sätze laut lesen, denn ein Satz, der gut klingt, ist fast immer auch gut geschrieben. Und natürlich rein technisch: Die von Ace korrigierten Texte aufmerksam lesen, schauen, wo er was verändert hat und sich den Fehler merken, um ihn das nächste Mal nicht zu machen. (Aber ehrlich gesagt haben DAMIT auch gestandene Hobby-Autoren so ihre Probleme, sodass sie selbst im dritten oder vierten Text noch immer den gleichen Fehler machen... Seufz.)
Und damit, nämlich korrekt geschriebener Literatur, mit eigener Übung und mit einem sich entwickelnden Gespür für einen guten Satz kann er dann bis zur Grenze der eigenen Fähigkeiten aufsteigen und tatsächlich besser werden. Ob dabei ein oder eine neue Rowlins rauskommt, sei dahingestellt. Aber es gibt sicher hunderte Autoren in der Weltgeschichte, die so gut geschrieben haben wie sie, aber nie entdeckt wurden. (Also verpasst das nicht bei mir, liebe Leser.)
Doch wie ich oben schon sagte, das ist die seltenste Reaktion, und das macht es sehr, sehr schade.

Es ist halt ein wenig wie ein besorgter Bürger. Trifft er außerhalb seines Umfelds auf andere Meinungen, dann ist es "die Lügenpresse" oder man ist ein "unverbesserlicher Gutmensch", hat "keine Ahnung von der Realität", "wird schon sehen, was passiert" oder sollte mal "im Web die richtigen Seiten lesen". Euch fallen die Parallelen auf?
So ist es eben. Bleibt man innerhalb seiner Meinungsgruppe, zwischen denen, die genauso ticken, ist alles in Ordnung. Trifft diese Meinung dann aber auf den Rest der Welt und stimmen dann diese Welt und die eigene Meinung nicht überein, dann kommen wir wieder zu den Situationen eins, zwei und drei, wobei drei am seltensten vorkommt, weil: Man kann nicht "einfach alle zurückschicken" oder alle pauschal "als Diebe" bezeichnen oder die Justiz auffordern, "das ganze Gesocks wegzusperren", "bevor was Schlimmes geschieht". Denn außerhalb ihres Einselferkommibereichs gilt leider das Grundgesetz, und das verbietet so ziemlich jede der radikalen Lösungen, die diese Menschen so sehen. Und so zieht sich auch dieser Einselfer wieder in sein Habitat zurück, aber nicht ohne gegen die Außenwelt zu wettern und noch mal ausdrücklich zu betonen, das wäre doch "in Wahrheit die Meinung aller". Und jetzt im Umkehrschluss, seht Ihr die Parallelen zum Einselfer-Autoren?

Tja, was kann man tun? So leid es mir tut, aber es gibt keine allgemeingültige Lösung, nichts, womit man die Masse per se erreicht. Ich kann nur das tun, was ich immer tue, wenn mir so ein Mensch begegnet. Ihn sorgfältig und vorsichtig mit der Realität konfrontieren, ihn auf seine Fehler hinzuweisen, nach und nach, ihm Freiraum zum Nachdenken geben und ihm anschließend Hilfestellung geben, damit er sich ändern kann, besser wird.
Ja, das gilt für beide Gruppen.

Was wünsche ich mir für die Zukunft? Eigentlich nur, dass in Zukunft mehr Menschen über ihren Tellerrand schauen, weil das auch bedeutet, mehr von der Welt zu sehen, und, ja, auch mehr Spaß zu haben. Sich in sein Habitat zurückzuziehen, wo alle das Gleiche brüten bedeutet schließlich nicht, voranzukommen. Und nur weil sich alles im Habitat so furchtbar richtig anhört und es alle machen, bedeutet das eben nicht, dass sich die Außenwelt radikal ändern muss, um sich dem Habitat anzunähern. Das macht sie nicht und wird sie auch nicht. Es bedeutet, in seinem jetzigen Gedankengebilde festzusitzen und nicht wieder freizukommen. Und das ist in beiden Fällen schlimm.

4 Kommentare:

Net Sparrow hat gesagt…

virtuelle Räume sind doch gar nicht so viel anders als reale.
Über den Tellerrand schauen ist immer gut!
Als Metapher fürs wirkliche Leben sehr gelungen.

Ace Kaiser hat gesagt…

Virteulle Räume tun aber nicht körperlich weh. Dass eine mentale Verletzung oft schlimmer sein kann, registrieren viele Menschen erst zu spät.
Und dass einmal ausgesprochene Worte nicht zurückgenommen werden können, auch nicht.

Man muss immer weiter streben, immer neuen Erfahrungen gegenüber offen sein. Sonst ist das Leben vorbei.^^

Net Sparrow hat gesagt…

Das kann ich nur zu 100% so unterschreiben.

Ace Kaiser hat gesagt…

Und zu dieser Wahrheit muss man ganz viele Menschen führen...