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Freitag, 4. Mai 2012

Hier meine Antwort an Herrn Dr. Bruggaier

Ja, ich weiß. So bescheiden, wie Johannes Bruggaier sein Dr.Kürzel benutzt, so inflationär setze ich es ein. Absicht. Natürlich. Man möge es mir nachsehen.
Hier jetzt also noch einmal der Text von Dr. Bruggaier, diesmal mit meinen Antworten versehen. Bruggaier-Originaltext ist fett, meine Antworten kursiv.



Hallo, Herr Bruggaier.

Ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie sich die Zeit für eine ausführliche Betrachtung und Antwort genommen haben. Das alleine hat mich schon sehr beeindruckt und einige Wogen geglättet.
Ich möchte Sie daher folgerichtig um die Erlaubnis bitten, Ihre Antwort unkommentiert (na gut, ein Intro muss es geben) als heutigen Post in meinem Blog zu posten. Natürlich auch unzensiert. Ihre reine, eigene Meinung. Da ich den Text bereits gelesen habe, sehe ich da auch kein Problem. Wir unterhalten uns auf einem hohen, freundlichen Niveau.
Anschließend würde ich gerne einen weiteren Blogeintrag bringen, in dem ich explizit auf Ihre Argumente eingehe.
Und um das klarzustellen: Ohne Ihre Erlaubnis werde ich weder Ihren Brief posten, noch daraus zitieren. Sehen Sie es mir aber nach, wenn ich mich in einem meiner nächsten Blogeinträge auf einige Stellen beziehen werde. Alleine die Tatsache, dass Sie mir geantwortet haben, und das Sie einen sehr freundlichen Umgangston pflegen, ist mir einen positiven Eintrag wert.



Hallo Herr Kaiser,
durch Zufall (ich suchte im Netz einen Artikel von mir) bin ich auf Ihre Seite gestoßen und ärgere mich, dass Ihr an mich adressiertes Schreiben offenbar in den Untiefen unseres Verlagskonstrukts versunken ist. Jetzt ist die ganze Debatte zwar schon eine Weile her. Dennoch möchte ich Ihnen mitteilen, dass mich Ihre ausführliche Beschäftigung mit zwei Kommentaren von mir sehr beeindruckt hat: Solche Leser wünscht man sich!


Alex: Danke. Ich gehe davon aus, dass Sie das ebenso ernst meinen wie ich, wenn ich das Gleich zu den Lesern meiner belletristischen Erzählungen sage.


Grundsätzlich sind Zeitungskommentare erstens – wie der Name schon sagt – subjektiv und zweitens verkürzend. Gerade ein so komplexes Thema wie der Öffentlichkeitsbegriff im digitalen Zeitalter lässt sich auf 50 Zeilen niemals ausschöpfend thematisieren. Wenn Sie meinen beiden Anmerkungen also Polemik unterstellen, so haben Sie deshalb insofern recht, als ich für das Kommentieren auf engem Raum zwangsläufig Gegenargumente oftmals außer Acht lassen und damit vieles zuspitzen muss. Ein Kommentar ist nun mal keine Grundsatzerklärung, sondern ein Gedanken- und Diskussionsanstoß für den Alltag (hat hier ja offenbar funktioniert).

Alex: Da haben Sie vollkommen Recht. Es hat funktioniert. Und es ist auch klar, das ein Kommentar erstens Ihre Meinung ist, und zweitens nicht viel länger sein kann als eine Twitter-Nachricht. Gerade deshalb ist es wichtig, diesen mit Bedacht zu füllen. Sie sehen ja, welche Macht Sie damit haben. Und aus großer Macht erwächst große Verantwortung.


In der Sache finde ich manche Ihrer Argumente bedenkenswert. Andere dagegen überzeugen mich nicht.

Alex: Nun, ich finde es höchst erfreulich, dass Sie sich mit meinen Argumenten auseinander setzen. Einiges an Ihren Kommentaren war für mich nicht sehr erfreulich, so zum Beispiel im ersten Ihre Erwähnung einer nicht vorhandenen Reaktion der Piraten auf den Facebook-Lynchaufruf. Wie ich damals schrieb, war das keinesfalls eine Baustelle der Piraten, nur weil sie sich auch als Vertreter des Internet-Zeitalters sehen. Andererseits hätte ich es für sehr gut, nein, für grandios gefunden, wenn Sie tatsächlich bei der Pressestelle der Piraten eine Stellungsnahme eingeholt hätten. Das wäre ein so grandioser Streich gewesen, der sicher auch einen eigenen Artikel wert gewesen wäre und zur Profilierung der Piraten beigetragen hätte.
Nur zum Verständnis, ich bin langjähriges SPD-Mitglied.



Ich bitte Sie um Verständnis darum, wenn ich angesichts des beträchtlichen Umfangs nur auszugsweise darauf eingehe.

Alex: ^^ Na, das hat sich ja wohl erledigt. Aber es liest sich sehr angenehm, war also von meiner Warte aus keine verschwendete Zeit.


In jedem Fall für bedenkenswert halte ich Ihre Kritik an bestimmten Medien im Emder Mordfall. In der Tat kommt Zeitungen und Rundfunksender nach wie vor eine Leitfunktion in der öffentlichen Meinungsbildung zu. Es ist deshalb durchaus problematisch, einerseits den aufgehetzten Mob zu kritisieren, andererseits die fragwürdige Rolle einiger Medien völlig außen vor zu lassen. Um diese Facette zu berücksichtigen, hätte ich meinem Kommentar in der Tat eine Zeile mehr gönnen sollen.

Alex: Richtig. Es verwunderte sicherlich nicht nur mich, wie zahm die BILD in der folgenden Berichterstattung war. M.E. war sie sich ihrer Rolle bei dieser äußerst unglücklichen und Strafverfolgungswürdigen Posse mehr als bewusst. Sie hat - entgegen ihrer Gewohnheit - auch nicht zum Halali auf den geständigen Tatverdächtigen geblasen. Jedes Mal, wenn dieses Leitmedium eine gerichtliche Entscheidung auf Basis unserer Gesetze im Einvernehmen mit Verfassung und Rechtsstaat "Wahnsinn" oder "Verrücktheit" nennt, muss doch jedem guten Journalisten die Schreibhand jucken. Wobei ich BILD in diesem Zusammenhang nur als bekanntestes Negativ-Beispiel hinstellen möchte.


Auch kann ich verstehen, dass Sie sich gegen eine Pauschalverurteilung „der“ Internetcommunity wehren. Zwar ist auch diese Zuspitzung dem Zwang zur Verkürzung geschuldet. Ich denke aber, dass ich den differenzierenden und selbstreflektierenden Vertretern dieser Gemeinschaft - zu der Sie womöglich zählen - tatsächlich auch eine differenziertere Betrachtung schuldig gewesen wäre.

Alex: Herr Bruggaier, bei allem Respekt, aber Sie sind ebenfalls Teil dieser Commmunity. Dazu müssen Sie weder auf Counterstrike-Server gehen, noch Abends oder unterwegs per Handy im ICQ chatten, oder regelmäßig Ihren Twitter-Account abfragen. Sie benutzen das Internet, Sie bewegen sich darin, wie Sie damit bewiesen haben, wie Sie mich gefunden haben.
Lassen Sie mich das noch deutlicher sagen: Es gibt keine Internet-Community, wie Sie sie vielleicht erwarten. Jeder Mensch, der sich eines Internet-Anschlusses bedient und im Netz recherchiert, spielt, postet, kopiert, einstellt, oder sonst einer Tätigkeit nachgeht, gehört zu dieser Community. Und zwar genauso lange, wie er es will.
Ich sehe mich deshalb auch nicht als Verteidiger eines so schwammigen Begriffs wie Internet-Community, und dem was dahinter stecken könnte... Ich habe meine Kommentierungen in erster Linie geschrieben, weil mein Sinn für Gerechtigkeit angeschlagen hat.


Mein Angriff in der Sache hat hier vielleicht eine persönliche Färbung bekommen, die ich keinesfalls beabsichtige.

Alex: Ich freue mich sehr über diese Worte. Wie stehen Sie denn heute zu Ihren Gedanken z.B. zur Piratenpartei in diesem Zusammenhang, oder zur Rolle der Medien, bzw. der gedruckten Zeitungen und ihrer Online-Pendants? Als Recherche-Plattform zu deren tendenziöser Berichterstattung bietet sich in jedem Fall Bildblog.de an.


Bei aller berechtigten Kritik am Stil mancher Berichterstattung irritiert mich hingegen Ihre Einschätzung, wonach die Schuld an der Entwicklung in Emden „einzig und allein“ bei den Medien liege. So ist mir nicht bekannt, dass der Name des ersten Verdächtigen im Emder Mordfall von der Presse veröffentlicht worden wäre. Auch einen Aufruf zur Lynchjustiz habe ich in keinem Medium finden können. Mit einem solchen Vorgehen hätte sich ein Presse- oder Rundfunkorgan schwerwiegende juristische Konsequenzen eingehandelt.

Alex: Ja, da haben Sie natürlich vollkommen Recht. Ein Aufruf zur Lynchjustiz in z.B. Ihrer Zeitung wäre ein strafrechtlich relevanter Prozess gewesen. Was Sie dabei übersehen, ist, dass auch der Aufruf zur Lynchjustiz auf Facebook strafrechtlich verfolgt wird.
Auch müssen Sie unterscheiden, was Facebook ist und was eine Zeitung ist. Ihre Zeitung ist wie ein großes moderiertes Forum, wo nichts am Chefredakteur vorbei kommt. Nichts. Oder er hat seinen Job nicht gemacht.
Facebook hingegen ist ein großes, freies und weites Forum, in dem jeder auffällige Post, und jede auffällige Person gemeldet und gelöscht werden können, sobald es halt jemandem auffällt. Eine andere Vorgehensweise lässt die Struktur von Facebook nicht zu. Aber deswegen ist die Plattform kein rechtsfreier Raum. Und um das noch mal zu betonen: Auch für das Internet gelten unsere Gesetze.



Revolverblättern die Alleinschuld für jegliche Straftaten beizumessen, halte ich deshalb für eine doch recht grobe Vereinfachung. Sie entlassen damit den Bürger aus seiner Selbstverantwortung, stellen Straftätern mit Verweis auf die bösen Medien per se einen Freifahrtschein aus.

Alex: Da stimme ich Ihnen zu. Einem erwachsenen, mündigen Bürger muss man zutrauen, das er unterscheiden kann, was er tun darf, und was nicht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der dumme Kerl, der den Lynchmob initialisiert hat, nun selbst vor dem Kadi stehen wird. Denn wenn man sich da verschätzt, greift das Gesetz, ob man wusste, dass man etwas Strafrechtlich relevantes tut oder nicht.
Und ich hoffe, dass dieses Vorgehen der Justiz deutlich macht, das es nicht um Nachahmer und dergleichen geht, sondern um straffällige Handlungen, die auch im Netz nicht im Anonymen geschehen. Dabei verweise ich auf den jungen Soldaten, der von Jimmy Blue Ochsenknechts Rolle in dieser Bundeswehrkomödie so wenig angetan war, das er sich zu einer Morddrohung hinreißen ließ. Der junge Mann wird nun gleich zweimal bestraft. Strafrechtlich und Bundeswehr-intern. Auch er hätte vorher wissen sollen, dass man so etwas nicht macht. Gut, nun weiß er es, und er wird als negatives Beispiel herhalten.


Allerdings, und das muss ich explizit erwähnen, fällt es einem erstaunlich leicht, Stammtischparolen zu schmettern, wenn die Zeitungsmedien den mutmaßlichen Täter, der nach einem Anfangsverdacht wieder frei gelassen wurde, vorab schuldig sprechen. Hier gilt doch wieder die journalistische Sorgfaltspflicht, will sagen: In Deutschland gilt in dubio pro reo. Ihn zum Täter zu erklären widersprich also nicht nur der Gesetzeslage, sondern auch gutem Journalismus. Negativ in diesem Zusammenhang ist sicher nicht nur mir, sondern auch Ihnen die Kachelmann-Berichterstattung aufgefallen. Eine gewisse Frau Schwarzer hat sich mit Vorab-Verurteilungen und eifrigem Nachgetrete besonders hervor getan, obwohl sie an vielen Prozesstagen gar nicht im Gericht gewesen sein soll.
Wenn also Zeitungen das Klima dazu schaffen, dass "er der Täter ist, und das ist so klar wie Kloßbrühe", dann kann man dem Bürger vielleicht nicht absprechen, das er auch selbst denken muss. Aber zugleich muss man sich fragen, mit was für einer Redaktion man es zu tun hat, wenn sie es zulässt, das ihre Zeitung auf diese Weise und polemisch berichtet, das Klima für solche Fehleinschätzungen beim mündigen Bürger erst schafft.
Hierbei erwähnen möchte ich die aus der Sicherheitsverwahrung entlassenen Männer, die ursprünglich von mehreren Polizisten bewacht werden sollten - dank diverser schreibenden Medien, die sich nicht zu fein waren, diese Menschen akribisch zu verfolgen und ihr Wissen zu veröffentlichen, wurden obige Polizisten in die Rolle von Leibwächtern gedrängt. Spätestens dann muss man sich fragen, ob in den deutschen Medien nicht etwas falsch läuft, wenn die gesetzlich legale Rehabilitierung von Straftätern derart torpediert und die Menschen auch noch, ja, aufgehetzt werden.
Sie sehen, der einzelne Bürger hat in der Tat nicht zu vergessen, das er eine Eigenverantwortung trägt. Aber diese Eigenverantwortung verlange ich auch von den Medien.



Was das Thema Fahndung auf Facebook betrifft (bislang allein in Niedersachsen praktiziert), so möchte ich der Kürze halber nur auf die Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Datenschutz verweisen: https://www.bfdi.bund.de/bfdi_forum/showthread.php?2944-fffentlichkeitsfahndung-via-Facebook.

Alex: Diesem Link ist nichts mehr hinzu zu fügen und stößt auf mein Einvernehmen. Nur eines drängt sich mir auf: Warum habe ich nur dieses Gefühl, dass man mit dem Text in diesem Link etliche Artikel von BILD, MoPo, B.Z. und auch einigen lokalen Zeitungen sehr gut kritisieren kann?


Der Fall von Emden ist meines Erachtens eine traurige Bestätigung mancher hier geäußerten Vorbehalte.
Soziale Netzwerke verbinden Person A mit Person B. Manchmal verbinden Sie auch Person A mit Person B und C. Das alles fällt unter den Bereich des privaten Datenverkehrs. Werden nun Person A, B und C mit zweihundert oder gar tausend weiteren Personen vernetzt, kann nicht mehr von einem privaten Austausch die Rede sein: In diesem Fall erschafft der Anbieter eine publizistische Einflussmöglichkeit, wie sie allenfalls Rundfunksender oder Verlage erreichen. Das ist grundsätzlich in Ordnung, verlangt aber, dann auch die Verbreiterhaftung zu übernehmen.


Alex: Sicherlich. Aber auch hier zieht ein Argument, das Sie selbst gebracht haben: Egal, was man auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken liest, egal über wie viele Wege getwittert wird, jeder Mensch ist dazu verpflichtet, auch alles was er auf Facebook liest oder wozu er auf Facebook aufgefordert wird, vor seiner eigenen moralischen und gesellschaftlichen Eigenverantwortung bestehen zu lassen. Letztendlich gilt das Gesetz auch im Internet. Vielleicht muss das dem Menschen wieder mehr ins Bewusstsein gerückt werden.


Mit Ihrem Vergleich von Facebook einerseits und den Online-Foren der Zeitungen andererseits benennen Sie hierzu selbst den entscheidenden Unterschied: Allein das unverzügliche Löschen von Entgleisungen bedeutet für die Verleger erhebliche Personalkosten. Diese erbringen sie keinesfalls freiwillig, sondern weil das Gesetz sie dazu zwingt. Die Online-Redaktion der Süddeutschen Zeitung schaltet ihre Kommentarfunktion nachts gänzlich ab, um nicht eine Veröffentlichung justiziabler Äußerungen zu riskieren.

Alex: Sehen Sie es doch mal im Gegenzug: Die Kommentare sind durchaus gewünscht, sie bringen den Seiten der Zeitung Klicks und Aufmerksamkeit, rechnen sich durch Werbung, und, das ist das Schönste daran, was Arbeit schafft, schafft manchmal auch Arbeitsplätze. Außer, die Chefredaktion setzt mal wieder einen armen Volontär daran, der für einen Hungerlohn oder nur für Ruhm und Ehre arbeiten muss. Das war, hoffe ich, nur ein Klischee.
Ich denke, der Mehraufwand lohnt sich. Auch, weil wir es können, und weil es deutlich macht, das im Internet längst nicht alles erlaubt ist. Ich denke, jeder Mensch, der das Internet besucht, sollte wenigstens einmal in seinem Leben die Nettiquette gelesen haben.



Auslöser dieser Maßnahme war im Übrigen der verlorene Prozess eines Bloggers (Stefan Niggemeier), der einen in der Nacht eingegangenen Kommentar erst morgens und damit zu spät entfernt hatte. Deutsche Blogger und Zeitungen müssen mit solchen Konsequenzen leben – nicht aber milliardenschwere Konzerne mit Sitz in den USA.

Alex: Was ist mit der deutschen Dependance milliardenschwerer Konzerne mit Sitz in den USA? Wird die nicht belangt?


Dass ich dieses Missverhältnis kritisiere und eine gerichtsfeste Definition von Öffentlichkeit in digitalen Foren jeder Art einfordere, müsste eigentlich in Ihrem Interesse sein.

Alex: Ich muss ehrlich sagen, so kam das bei mir nicht an. Schieben wir es mal darauf, das die Kürze des Kommentars natürlich keine ausführliche und alles beantwortende Artikel zulässt - nur Kommentare.


Ein paar Worte möchte ich noch zum Thema Youtube verlieren. Zunächst zu den „gesichtslosen“ Kritikern, die eine Kontrolle des Kopierens im Internet für grundsätzlich nicht mehr realisierbar halten. Sie befinden sich beispielsweise hier: http://www.spreeblick.com/2012/04/14/ich-heb-dann-mal-ur/

Alex: Gelesen und für gut befunden. Aber auch hier gilt: Was die Piratenbasis fordert, d.h. ein Einzelner, ist nicht automatisch Parteimeinung. Ist sowieso etwas billig, den Piraten Funktionsfähigkeit abzusprechen, nur um andererseits alles, was in ihrem Umfeld geäußert wird, gleich zur Partei-Meinung zu erheben. Soweit ich weiß, geht es den federführenden Piraten auch nur darum, die Privatkopie zu erhalten, nicht das Urheberrecht abzuschaffen.

 hier: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-84339496.html

Alex: Stefan Niggemeier bringt es schön auf den Punkt: Profitschutzrecht für eine Industrie, die versucht, alle anderen zu gängeln.


 und hier: http://www.dirkvongehlen.de/index.php/netz/vom-wissen-der-wichser-zwei-thesen-zur-urheberrechtsdebatte/

Alex: Ja, auch ein sehr schönes, vor allem sachliches Beispiel. Allerdings denke ich, das eine Reform des Urheberrechts, bzw. des Nutzerrechts mit einer Industrie schlecht möglich ist, die Musik-Alben als CD solange teurer verkaufen wollte, wie es noch Vinyl gab... Aber nach dem "Ende" von Vinyl nie auf den Vinylpreis herab gestiegen ist, sondern den höheren CD-Preis beibehalten hat. Verhärtete Fronten? Zwei Wahrheiten? Es geht ums Geld, das ist die Wahrheit.


 vor allem aber hier: http://wiki.piratenpartei.de/Programm#Urheberrecht_und_nicht-kommerzielle_Vervielf.C3.A4ltigung

Alex: Hm, eines der verständlichsten Parteiprogramme, die ich bisher gelesen habe. Und wie erwartet, haben die teilweise zynischen und höhnischen Zeitungskommentare über die Piraten, die sich hierauf als Grundlage berufen, mit dieser auch gar nichts zu tun.


Dass ich die Kenntnis um diesen Diskussionsstand voraussetze, mag gewagt erscheinen. Allerdings kann ich eine gewisse Verwunderung über die Notwendigkeit einer klaren Bezugnahme – gerade bei einem Blogger – nicht ganz verhehlen.

Alex: Hm. Soll ich Stellung dazu beziehen, wie ich als Blogger zum Leistungsschutzrecht, und damit zu meiner Bloggerei, den von mir erarbeiteten Texten, stehe? Oh Gott, dafür bin ich aber gänzlich ungeeignet. Ich sehe meinen Blog nicht kommerziell, und wenn z.B. Zeitungen aus meinem Blog zitieren (und auf mich verweisen), wäre das für mich schon eine Ehre. Auch im Anbetracht der Tatsache, dass ich meine Defizite kenne, durch tausende Themen springe und oft auch dazu neige, andere zu scharf anzugreifen.
Ich erinnnere mich sehr gut daran, das ich anfangs dem Medienmainstream gefolgt bin, als über Bangkok und die Demonstrationen der Rothemden berichtet wurde - obwohl mir Ungereimtheiten aufgefallen sind. Erst die Diskussion, langwierig, aber hochinteressant, mit einem ortsansässigen ehemaligen Schweizer Journalisten hat bei mir ein Umdenken bewirkt, und den Pferdefuß sehen lassen, die Diskrepanzen.
Ich erinnere mich auch noch gut daran, dass Foodwatch bei mir keinen guten Stand hatte, bis ich mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter über die Null Cäsium-Theorie in Kindernahrung diskutiert habe. Allerdings konnte er mir diese Fixierung auf Cäsium auch nicht erklären. D.h., ich bin ein fehlbarer Blogger. Zudem nutze ich den Blog hauptsächlich als Hobby und um meine Bücher zu bewerben, die man - man mag es kaum glauben - umsonst im Internet zu lesen gibt, die ich aber auch für Fans, die bereit sind dafür Geld auszugeben, auch auf lulu.com als Book on Demand anbiete.
Selbstverständlich habe ich nichts dagegen, für Zitate aus meinem Blog Geld zu erhalten oder meine Bücher zu verkaufen (im Vertrauen, viel ist das ohnehin nicht; ohne einen Verlag und eine entsprechende Werbestruktur bleibt auch das Schreiben und Veröffentlichen meiner belletristischen Texte ein Hobby, obwohl ich gerne würde davon leben können), sehe das Ganze jedoch realistisch. Wenn ich etwas ins Web gestellt habe, ist es Allgemeingut, und wenn ich eine überarbeitete Fassung als Buch herausbringe, quasi die Webfassung 2.0, und jemand bereit ist, dafür etwas zu bezahlen, freut mich das.
Ansonsten sehe ich mich aber eher als IT-Girl, was das Bloggen betrifft. Bekannt nicht wegen eines Textes oder zwei, sondern weil ich bin, was und wer ich bin.
Ich bedanke mich auf jeden Fall für Ihre Links, die mich sehr erstaunt haben, weil sie von den Kommentaren doch weit entfernt waren. Mit entsprechender Spannung erwarte ich Ihren nächsten Kommentar.



Was Ihre Interpretation unserer Gema-Berichterstattung betrifft, so waren zwar tatsächlich nur zwölf Videos Gegenstand des Prozesses. Allerdings hatte die Gema diese lediglich exemplarisch ausgewählt, der Prozess war ein Musterverfahren von grundlegender Bedeutung. Nun liegt mir der betreffende Bericht gerade nicht vor, ich möchte aber nicht völlig ausschließen, dass wir diesen Umstand eventuell nur unzureichend deutlich gemacht haben. Liegt das Missverständnis vielleicht in diesem Detail begründet?
Alex: Nun, ich gebe zu, bei meinem Blogeintrag zu Ihrem zweiten Kommentar war ich nicht besonders nett oder gnädig. Sicher spielte meine Enttäuschung eine Rolle, weil ich damals keine Antwort von Ihnen erhalten habe. Ebenso hätte ich mir auch denken können, dass es sich bei dem Prozess um einen Musterprozess handelt.


Korrigieren muss ich Ihre Behauptung, das Hoch- und Herunterladen von Videos sei nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Das Gericht hat Youtube sogar eigens dazu verpflichtet, neues Hochladen von einmal entfernten Videos zu unterbinden. Selbst eine Software für dieses Verfahren wurde im Urteil benannt. Vielleicht hätte auch dieser Umstand in unseren Bericht klarer zum Ausdruck kommen sollen.

Alex: Klar, macht ja auch Sinn. Aber anstatt lange Prozesse zu führen, hätten sich die beiden Partner vielleicht doch zuerst auf eine Neuauflage ihrer GEMA-Verträge machen sollen. Andererseits, warum, wenn die GEMA selbst den Urhebern verbietet, mit ihren eigenen Werken zu machen was sie wollen, sobald sie bei der GEMA gemeldet sind. Auch da liegt eventuell ein Fehler, der korrigiert gehört.


Für schlichte "Neuformulierungen" bestehender Verträge jedenfalls strengen Verhandlungspartner eher selten aufwändige Prozesse an: Im Prozess der Gema gegen Youtube ging es um nichts weniger als die Haftungsfrage für unzweifelhaft rechtswidrig hochgeladene Inhalte.

Alex: Und dieser Umstand wurde ausreichend geklärt. Youtube ist verpflichtet, die Inhalte zu kontrollieren und zu zensieren, aber ist nicht verantwortlich.


Dass das Vervielfältigen urheberrechtlich geschützten Materials illegal ist (nur zur Sicherheit:  http://www.rechtzweinull.de/index.php?/archives/24-Risiken-fuer-YouTube,-MyVideo-Co-und-deren-Nutzer-Haftung-bei-Videoplattformen.html ), werde ich Ihnen nicht erläutern müssen. Das Urteil schützt somit legal handelnde Nutzer vor versehentlichen Rechtsverstößen mit den anschließenden Abmahnungen durch geschäftstüchtige Rechtsanwälte. Zugleich aber erschwert es Nutzern, die das geltende Recht bewusst hintergehen möchten, die Arbeit: Auf Youtube jedenfalls werden solche Verstöße schlichtweg nicht mehr möglich sein. Ich finde das sehr begrüßenswert. War hier womöglich etwas nicht verständlich genug formuliert?

Alex: Nein. Vor allem der Passus, der die User alle zu potentiellen Downloadern machte, die sich bewusst sein mussten, fortan strafbare Handlungen zu begehen, war sehr irreführend.
Auf von der Leine gelassene Abmahn-Anwälte und -Detektive möchte ich jetzt nicht näher eingehen, aber ich sehe hier ein tolles Thema für einen Kommentar von Ihnen, Herr Bruggaier. Dies gerade in Zeiten, wo Abofallen Thema im Bundestag sind, was sich nicht besonders von Abmahn-Anwälten unterscheidet, wie ich finde.



Was Ihre Einschätzung der finanziellen Lage von Rechte-Inhabern betrifft, so ist diese subjektive Wahrnehmung selbstverständlich Ihr gutes Recht - dass Sie in diesem Punkt über keine tieferen Kenntnisse verfügen, räumen Sie ja selbst ein. Aus meiner Erfahrung als Kulturjournalist komme ich jedenfalls zu einem anderen Ergebnis: Nach dem Zusammenbruch des Tonträgermarktes sind Künstler mehr denn je auf professionelle Verwerter angewiesen. Vor schwarzen Schafen mit Knebelverträgen schützt im Großen und Ganzen der freie Markt. Niemand ist gezwungen, sich einem Verwerter auf Gedeih und Verderb auszuliefern – wer sich übervorteilt fühlt, kann sich ein neues Management suchen.
Ace: Oder wie z.B. der große Komiker und Comic-Autor und Musiker Ralph Ruthe seine Musik selbstständig auf iTunes vertreiben. Es macht keinen großen Unterschied, ob man auf sich gestellt nicht berühmt genug ist um erfolgreich zu verkaufen, oder bei einem Plattenlabel.
Allerdings stelle ich es mir sehr schwierig vor, sich vom Knebel eines Plattenvertrags zu befreien. George Michael hat ein halbes Jahrzehnt keine neue Musik geschrieben, weil Sony selbst nach der Kündigung des Plattenvertrags noch Rechte an seinen künftigen Werke hatte. Und wenn sie schlau waren, haben sie heute noch die Rechte an der Musik, die unter ihrem Label veröffentlicht wurde.
Was hier wirklich weiter helfen würde, wäre eine gezielte Entknebelung von Verträgen, eventuell sogar eine gesetzliche Untergrenze bei der Honorierung. Auf jeden Fall helfen würde aber eine gesetzliche Regelung, wie lange die Arbeit des Urhebers Eigentum des Lizenznehmers bleiben darf.
Es ist also selbst für Superstars nicht ohne weiteres möglich, einem Vertrag zu entkommen. Wie sieht es dann erst für Newcomer aus, die einfach nur Musik machen wollen?



Puh, das ist am Ende jetzt doch eine ganze Menge geworden.

Alex: Und ich danke Ihnen dafür. Es war ein sehr erfrischender Exkurs, und ich sehe Sie längst nicht mehr so, wie ich es in meinen Blogeinträgen getan habe. Sie haben in einem Punkt vollkommen Recht: Ein Kommentar ist sehr kurz, und man muss mit Bedacht entscheiden, was da noch rein muss. Ich sehe Ihrem nächsten Kommentar positiv entgegen.


Vielleicht können Sie meinen Erwiderungen ja den einen oder anderen Gedankenanstoß abgewinnen. Die Diskussion um das Urheberrecht im digitalen Wandel ist sehr komplex und die Fronten sind nicht zuletzt wegen des hohen Emotionalisierungspotenzials ziemlich verhärtet.

Alex: Nicht nur das. Vor allem die Links haben meinen Horizont beträchtlich erweitert. Ich weiß, ich recherchiere nicht perfekt, und beziehe mich viel zu oft nur auf eine Quelle; und das ist nur legitim, wenn ich mich auf meine eigenen Arbeiten beziehe. Aber es beruhigt, das ich auf dem richtigen Weg bin mit meiner Meinung und meinen Blogeinträgen. Ich als Erster bin mir nicht zu schade, offen zuzugeben, wenn ich Fehler gemacht habe und hoffe dies auch stets bei anderen zu finden.
Was die Fronten angeht, so sind sie nicht verhärtet, sondern polemisiert. Wenn die Verwertungsrechte an Musik auf siebzig Jahre nach dem Tod verlängert werden sollen - und zwar nicht für die Erben des Künstlers, sondern für den Inhaber der Vermarktungsrechte - dann ist das übelster Lobbyismus, und ich kann auf dieser Seite keine Gesprächsbereitschaft erkennen. Oder waren es sogar neunzig Jahre?
Vergessen Sie bitte nicht, Herr Bruggaier, Sie sind genauso Konsument wie ich. Was die Medienindustrie durchsetzt, wird uns alle betreffen. Deshalb sollten wir ihr genauso auf die Finger sehen, wie die Medien es gerade mit den Piraten tun.




In jedem Fall freue ich mich über jede Rückmeldung zu meiner Berichterstattung, künftig am Besten an meine persönliche Mailadresse, dann kommt es auch an.
Viele Grüße

Johannes Bruggaier


Alex: Gerne. Ich freue mich sehr über dieses Angebot.


P.S.: Und lassen Sie uns einander doch bitte nicht Lobbyismus oder Propaganda unterstellen, ich gehe meinerseits auch nicht davon aus, dass Sie im Auftrag von Google unterwegs sind.

Dr. Johannes Bruggaier
Kulturredakteur


Alex: Von mir zum Abschluss (ich habe auch verdammt viel geschrieben; vielleicht sollte ich mich selbst mal als Journalist versuchen): Für mich kam Ihre Einstellung als Lobbyismus rüber. Das tut mir leid, da ich jetzt sehe, das Ihre Meinung wesentlich feinsinniger ist. Das bedeutet im Umkehrschluss umso mehr, dass ein Kommentar ein gefährliches Eisen ist. In seiner Kürze ist er ziemlich heiß.
ich werde Ihnen in Zukunft weder Propaganda, noch Lobbyismus unterstellen.
Und keine Sorge, ich bin auch nicht von Google angestellt. Das Netz ist für mich ein Hobby, das ich gerne betreibe, weil es jeden Tag meine Möglichkeiten erweitert (und manchmal auch ziemlich langweilig ist).
Darf ich Ihnen noch etwas sagen? Sie haushalten mit Ihrem Doktor-Titel mit einer Bescheidenheit, die mich maßlos erstaunt. Ich finde das sehr lobenswert.

Mit freundlichem Gruß,

Alexander "Ace" Kaiser

2 Kommentare:

Stinkstiefel hat gesagt…

Ein bisher doch recht interessanter Austausch. Weiter so! ^^

Ace Kaiser hat gesagt…

Danke. Aber ab hier wird es Arbeit. Ich kann es verstehen, wenn Herr Bruggaier ab hier nicht mehr so viel Zeit investieren will.