Ruhig ist es geworden, um die Atomkraft in letzter Zeit. Aber nicht völlig. Während sich Deutschland weitestgehend mit dem versprochenen Ausstieg zufrieden zu geben scheint und eher gelangweilt als alarmiert auf die marode Asse schaut, flackern die Vorteile der Atomenergie doch durchaus auf
tagesschau.de und
Scienceblog.de auf.
Während also tagessschau.de über das "Kernkraftwerkchen" von Temelin redet, über Vorteile der Region durch direkte Förderung des Stromkonzerns, und was sie doch schon alles getan haben - und es hat ja keiner Bedenken, neben einem Atomkraftwerk zu leben - stellt das Scienceblog
Primaklima die Frage, ob wir in Zeiten des Klimawandels auf Atomstrom verzichten dürfen, da sie ja CO2-neutral ist.
Hier lohnt wirklich bei beiden Artikeln ein Blick auf die Kommentare. Auf tagesschau.de spukt bei den Befürwortern verächtlich die "German Angst" vor Atomstrom umher, und eine hämische Betrachtung auf die Unqualifiziertheit der Gegner, bis hin zu Totschlagargumente, wir würden jetzt ja selbst Atomstrom importieren müssen, da wir nicht mehr genügend produzieren. Auf Primaklima geht es hingegen wissenschaftlich-sachlicher zu. Nach dem Artikel, der den Aufsatz dreier französische Physiker pro Atomstrom beinhaltet, liest man in den Kommentaren viel über Reaktorsicherheit in Deutschland. Und auch die Kraftwerke der
4. Generation werden erwähnt, die teilweise Atommüll als Energiequelle verwenden.
Als Mensch, der mit offenen Augen durchs Leben geht, kann ich mich einem Kraftwerkstyp der 4. Generation nicht verschließen. Man denke nur, ein Kraftwerk, das Atommüll verwertet. Genau, dieses fies strahlende Zeug, das uns einhunderttausend Jahre erhalten bleibt, hoch giftig ist und nirgends richtig zwischengelagert werden kann, geschweige denn endgelagert.
Der Haken: Die ersten Reaktoren dieses Bautyps sind frühestens in zwanzig Jahren verfügbar. Ein Vorteil: Für Kraftwerke dieses Typs steht heute schon mehr als genügend Atommüll bereit, denn Kraftwerke produzieren selbst nach Aufbereitung lt. Wikipedia bis zu sieben Kubikmeter hochgradig strahlenden Atommüll, der eigentlich sicher endgelagert werden sollte.
...sacken lassen.
Eigentlich schätze ich den Scienceblog sehr, wegen der Art, wie dort Wissenschaft leicht verständlich zugänglich gemacht wird. Und ich habe nicht das erste Mal von Fission-Kraftwerken gelesen, die generell positiv zu bewerten sind. Aber hier wurde ein wenig der Bock zum Gärtner gemacht. Und wer den tagesschau-Artikel für Propaganda pro Atomstrom hält, hat unbesehen Recht, wenn die einzige Gegenstimme im Artikel selbst eine Beschwerde einer Umweltorganisation ist, die nur meckert "dass der Stromkonzern die Meinung der Leute kauft".
Mit Atomstrom habe ich mich ja schon ein paarmal auseinander gesetzt, wie eifrige Leser meines Blogs wissen. Und ich habe jedes Mal ein wenig dazu gelernt, so dass ich mich jetzt als wissenden Laien betrachte.
Generell gilt: Generation 4-Kraftwerke sind förderungswürdig, und daher sollten einige von ihnen gebaut werden. Dies aber nicht auf Kosten des Energiemixes. Atomkraft hatte vor der Teilabschaltung im Moratorium einen Schnitt von gut einem Viertel am Stromaufkommen in Deutschland, und das war ungefähr die Menge, die
Deutschland deutsche Stromkonzerne ins Ausland verkauft haben. Ich weiß, ist physikalisch so nicht richtig, aber auch nicht so falsch. Nun sind sieben Standorte vom Netz, und es ist immer noch genügend Strom da... Und die Horrorausfälle, die für den Winter fest eingeplant waren, sind bisher nicht eingetreten.
Kommen wir also auf die Kernaussagen zurück und platzieren wir unsere Gegenargumente.
1) German Angst verhindert, dass Atomkraft weiterhin positiv gesehen wird und wichtige, notwendige Reaktoren weiter laufen.
German Angst haben wohl nur die Eltern von Kindern in der Elbmarsch, deren Kinder überproportional an Leukämie erkranken als im Rest von Deutschland. Die anderen fragen sich eher zwei Dinge: Warum hat Atomkraft seit ihrer Existenz rund sechshundert Milliarden Euro Fördergelder erhalten, obwohl Atomstrom so "billig" ist? Und: Was machen wir mit dem einhunderttausend Jahre strahlenden Müll, wenn Gorleben kein sicheres Endlager ist, wie der andere Salzstock, die Asse, gerade eindrucksvoll beweist?
Wir wissen, dass die Verklappung von Atommüll im Ozean eine dumme Idee ist/war, weil nicht nur die Strahlung, sondern die gefährlichen Partikel wie Cäsium, Strontium, auch Plutonium die Nahrungskette hinaufwandern und irgendwann wieder auf unserem Teller landen. Es bedarf nicht einmal großer Mengen dieser hochgiftigen Substanzen - und auf dem Grund der Meere lauert es hochkonzentriert.
Wer also Atomkraft positiv sieht, soll mir erklären, was er mit dem hochradioaktiven Abfall zu machen gedenkt, und mir erklärt, warum der Atomstrom einerseits als billig gepriesen wird, wir aber Horrorsummen an Subventionen zahlen müssen.
2) Atomstrom ist CO2-neutral.
Okay, ich werde zum Erbsenzähler. Was haben wir hier? Atomstrom. Wie funktioniert der? Aus angereichertem Uran werden Brennstäbe gemacht. Diese werden in Druckreaktoren mit Neutronen beschossen. Uran spaltet sich auf und gibt dabei Energie frei. Dabei entstehen auch die hochgiftigen Substanzen wie Cäsium und andere, aber das nur nebenbei. Die Energie wird genutzt, um eine ganz klassische Dampfturbine anzutreiben, die Strom produziert. Der ganze Vorgang braucht also nur die Brennstäbe, zwei Kühlkreisläufe, die Reaktorkammer, ausreichend Wasserzufluss. Ende. Beim Beschuss des Urans wird tatsächlich kein CO2 produziert. Im Gegenteil, die schneeweißen Rauchsäulen über den Kernkraftwerken bestehen nur aus Wasserdampf. Reinem H2O.
Kommen wir zur Erbsenzählerei. Man kann aus einem Kilo Uran mehr Energie produzieren als aus einem Kilo Kohle. Viel mehr. Sehr viel mehr. Viiiiiel mehr. Aber wir kommt man an das Kilo Uran?
Das wird im Tagebau gewonnen. Im Ausland. Auch in Deutschland ist mal Uran gewonnen worden. Aber die Methode war zu unergiebig, und die Geschichte an sich zu giftig für die Umwelt, deshalb hat man es nach dem Ende der Sowjetunion sein gelassen. Derzeit bauen u.a. einige
afrikanische Länder, Kanada, die USA, Russland, Australien und andere im Tagebau Uran ab und verkaufen es auf dem spekulativen Weltmarkt zum Tagespreis.
Moment Mal, Tagebau? Heißt das, erstmal sieht es irgendwo in einem Abbaugebiet aus wie bei uns im Braunkohletagebau? Nun, nicht ganz. Bei uns genügt ein Riesenbagger, der das weiche Braunkohleflöz abträgt. Bei Uranerz muss Gestein gesprengt werden. Und eine Menge Gestein muss bewegt werden um ans Uran zu kommen. Wieder und wieder und wieder. Dabei fällt natürlich CO2 an, genauso wie für den Transport nach z.B. Gronau/Westfalen, wo dann Brennstäbe entstehen, die wiederum zu den Kraftwerken geschaffen werden. Das mag jetzt wirklich Erbsenzählerei sein, aber es ist leider ein Fakt: Kernkraft produziert während der Kettenreaktion kein CO2, das ist richtig, aber für den Abbau von Uran, die Weiterverarbeitung und den Transport fällt eine Menge an. Auch für den Abtransport, die Wiederaufbereitung, und, und, und. Dazu kommen höhere Kosten, einerseits für die Ressource, andererseits für den Umgang mit der gefährlichen Substanz nach ihrer Verwendung: Für die Arbeit mit Atommüll wird ein immener Aufwand betrieben. Werkzeuge und Bekleidung werden nach einmaliger Benutzung im Zusammenhang mit hochradioaktivem Müll entsorgt - als Atommüll. Diese Verschleißprodukte müssen auch erst mal produziert werden. Mag ja sein, dass Kernkraft weniger CO2 als Kohle produziert - wobei man die modernsten Filtersysteme nicht unterschätzen sollte - aber CO2-neutral sind gaaaaanz anders aus.
Und billig ist die Scheiße auch nicht. Einmal ganz davon abgesehen, dass
der billige Atomstrom ohnehin ins Ausland verkauft wird, nachdem wir ihn subventioniert haben. ^^°°°
3) Wir dürfen uns neuen Technologien nicht verschließen.
Richtig. Unterschreibe ich sofort. Wenn die Generation 4-Reaktoren einsatzbereit sind, und so schicke Sachen wie ausgebrannte Brennstäbe oder Thorium verwerten - sogar Cäsium und Plutonium - dann her mit den Dingern. Atommüll fällt immer irgendwo an. Aber normalerweise nur leicht strahlender Müll, wie bei der Ölförderung, wenn durch Radiumhaltige Gesteinsschichten gebohrt werden muss.
Aber wollen wir dafür eine überteuerte, hochsubventionierte und Endlagerungeklärte Atomkraft behalten?
Die meisten Kraftwerke in Deutschland laufen ohnehin bis zu jenem Zeitpunkt, an dem ihr vorhergeplantes "Leben" ein Ende gehabt hätte, wenn nicht die Kanzlerin wegen der Reaktorsicherheit deutscher KKW vollmundig von vierzig Jahren Laufzeitverlängerung gesprochen hätte - und Hitzköpfe in der CDU sogar sechzig gefordert hatten, vor Fukushima natürlich.
Nebenbei bemerkt halte ich es für die dümmste Entscheidung Merkels, die Atomkatastrophe in Japan als Anlass für das Moratorium und die Abschaltung der sieben ältesten AKW in Deutschland zu nehmen. Man könnte ja meinen, Muberkel hat Angst davor, das eine entsprechende Katastrophe auch hier bei uns möglich ist. Wenn es German Angst in diesem Thema gibt, dann ist die Atompolitik der Bundesregierung Schuld. ^^°
Ach ja, darüber hinaus forschen wir ja immer noch an der Kernfusion. Und auch das Helium-3-Isotop soll eine gute Energiequelle darstellen.
Also: Immer her mit den neuen Technologien, und weg mit der unzuverlässigen, teuren und einhunderttausend Jahre strahlenden Müll produzierenden alten. Nein, nicht Merkel, ich meine die alte Technologie.
4) Deutsche Kernkraftwerke sind sicher.
Sicherlich sind sie sicher. Deshalb wurden ja auch die älteren abgeschaltet, weil sie die Richtlinien z.B. für den Fall eines Flugzeugabsturzes nicht erfüllen.
Und sicher sind jene, die in Erdbebengebieten stehen, gegen leichtere Beben, die in diesen Regionen vorkommen können, abgesichert.
Aber auch wenn die Technologie idiotensicher ist, gibt es immer noch ein Restrisiko. Zwar sind weder Tsunamis zu erwarten, noch der Versuch waffenfähiges Plutonium für deutsche Kernwaffen zu produzieren; aber das Restrisiko, das so oft beschworen wurde, ist im Falle des Eintritts erheblich gravierender als ein Unglück in einem Gas-, oder Kohle-Kraftwerk. Wir haben es in Tschernobyl und Fukushima gesehen: Wenn was passiert, dann passiert es richtig, und rund um das KKW entsteht eine Sperrzone von zwanzig bis dreißig Kilometern, die in einem gesundheitsgefährdenden Maße radioatkiv belastet ist.
Und nein, "das bisschen Radioaktivität" ist nicht das Problem. Die Spaltprodukte, von denen die Radioaktivität ausgeht, und die teilweise hochgiftig sind, sind ein Problem.
Das gleiche Problem haben wir mit der Asse. Sobald Radioaktivität in den Konsens mit Grundwasser tritt, kann alles Mögliche passieren, inklusive einer verstrahlten/verseuchten Region Deutschlands.
Das Risiko für Deutschland mag dank unserer Technologie minimal sein, aber ich wünsche mir, dass alle Befürworter der Kernkraft für diese Sicherheit mit ihrem Namen einzustehen bereit sind.
5) Wenn nicht die Sonne scheint und kein Wind weht, hat es sich mit alternativen Energien, und Ihr wollt die KKW's zurück.
Ja, aber hallo. Was für ein tolles Argument. Dabei weiß doch jeder, dass den dezentralen Kraftwerken die Zukunft gehört. Nicht Atomkraftwerken, sondern Strohkraftwerken, Wasserkraftwerken, Solaranlagen, Biogasanlagen, Erdwärmetauschern, Windkraft, und, und, und.
Wir erinnern uns: Vor der Abschaltung der KKW war der Anteil der Kernenergie am deutschen Strom unter fünfundzwanzig Prozent. Das nannte man den "
Deutschen Energiemix". Woher kamen die anderen rund fünfundsiebzig Prozent? Eines steht fest, nicht aus Kernenergie. Und nun ist der Anteil der Kernenergie weiter zusammen geschrumpft, und ich habe hier an meinem PC immer noch Licht, Strom für den PC, und die Heizung, die für den Brenner Strom braucht, läuft auch noch. Es scheint, dass irgendwo doch die Sonne scheint und der Wind weht.
Davon mal abgesehen, und die privaten Investoren außen vor gelassen, die auf ihrem Hausdach eine Photovoltaik-Anlage haben: Da investieren die gleichen Stromkonzerne, die sich an Atomenergie gesund stoßen, Milliarden in Windkraft, u.a. in sogenannten Offshore-Anlagen. Stromkonzerne, die Gewinne einfahren wollen. Die diese als Aktienunternehmen auch bitter brauchen. Glaubt hier jemand ernsthaft, dass ein Vattenfall-Manager ein paar hundert Millionen in den Sand setzen darf, um die Untauglichkeit von Offshore-Windkraft verkünden zu können, ohne das sein Kopf rollt? ^^°
Und um gleich mal das andere Totschlag-Argument vorweg zu nehmen: Photovoltaik funktioniert nur am Tage: Genau da haben wir ja unsere Verbrauchsspitzen. Es hat seinen Grund, warum das Gros der Deutschen am Tage arbeitet, und nicht in der Nacht...
So, ich tippe hier jetzt schon über eine Stunde dran rum, muss noch Korrekturlesen und die wichtigsten Fehler ausmerzen, und schlicht und einfach habe ich keine Lust mehr. Vor allem weil ich darüber enttäuscht bin, dass intelligente Menschen Atommüll als "kleineres Übel" anzunehmen bereit sind.
Und dass diese Menschen es tatsächlich wagen, uns Deutsche als die einzigen hinzustellen, die Atomkraft nicht mehr wollen, obwohl die Kernenergie weltweit auf dem
absteigenden Ast ist. Das ist frech.
Bei dieser Riesenmenge an Text wünsche ich mir eine rege Diskussion. Ich bin gerne bereit, mit jedermann über jedes Detail zu diskutieren. Ich wünsche mir dabei nur zwei Dinge:
1) Wenn mich ein Argument überzeugt, oder wenn mir ein Fehler nachgewiesen wird, nehme ich das so an. Das Gleiche wünsche ich mir von meinen Kommentatoren.
2) Es ist offensichtlich, dass ich mich nicht zum Atomstrombefürworter bekehren lasse. Aber das macht mich nicht zum Feind. Ich erwarte sachliche Argumente und Fakten, keine emotionalen.
Ja, das ist ein wichtiger Punkt, denn wenn Atomkraftgegnern pauschal untergeschoben wird, Befürworter wären allgemein besser informiert und Gegner hätten kaum Ahnung von dem, wogegen sie eigentlich seien, muss ich den Kopf schütteln. Es ist gerade nicht so, dass Gegner weniger Ahnung haben. Es gibt nur sehr viel mehr von uns als Befürworter, und daher kann man nicht erwarten, jedes Mal an einen Experten zu geraten, nur weil man mit jemandem redet, der einmal in seinem Leben erkannt hat, dass runde sechshundert Milliarden Euro Subventionen für billigen Atomstrom eine dumme Idee sind.
Wenn jemand dagegen ist, hat er seine Gründe, so wie Befürworter ihre Gründe haben. Der gegenseitige Respekt vor dem Standpunkt des anderen ist essentiell, und darauf werde ich auch achten. Nicht, dass ich wirklich glaube, dass sich ein Befürworter hierher verirrt. Aber mein Blog, meine Regeln. Und ich finde, das sind gute Regeln.
Rest dann in den Kommentaren.