Hier von mir mal vollkommen unkommentiert die Antwort von Herrn Bruggaier, die ich gestern angekündigt habe.
Enjoy.
Hallo Herr Kaiser,
durch Zufall (ich
suchte im Netz einen Artikel von mir) bin ich auf Ihre Seite gestoßen
und ärgere mich, dass Ihr an mich adressiertes Schreiben offenbar in
den Untiefen unseres Verlagskonstrukts versunken ist. Jetzt ist die ganze
Debatte zwar schon eine Weile her. Dennoch möchte ich Ihnen mitteilen,
dass mich Ihre ausführliche Beschäftigung mit zwei Kommentaren von
mir sehr beeindruckt hat: Solche Leser wünscht man sich!
Grundsätzlich sind Zeitungskommentare erstens – wie der Name
schon sagt – subjektiv und zweitens verkürzend. Gerade ein so
komplexes Thema wie der Öffentlichkeitsbegriff im digitalen Zeitalter
lässt sich auf 50 Zeilen niemals ausschöpfend thematisieren. Wenn
Sie meinen beiden Anmerkungen also Polemik unterstellen, so haben Sie
deshalb insofern recht, als ich für das Kommentieren auf engem Raum
zwangsläufig Gegenargumente oftmals außer Acht lassen und damit
vieles zuspitzen muss. Ein Kommentar ist nun mal keine
Grundsatzerklärung, sondern ein Gedanken- und Diskussionsanstoß
für den Alltag (hat hier ja offenbar funktioniert).
In der Sache finde ich manche Ihrer Argumente bedenkenswert. Andere
dagegen überzeugen mich nicht. Ich bitte Sie um Verständnis darum,
wenn ich angesichts des beträchtlichen Umfangs nur auszugsweise darauf
eingehe.
In jedem Fall für bedenkenswert halte ich Ihre Kritik an bestimmten
Medien im Emder Mordfall. In der Tat kommt Zeitungen und Rundfunksender nach
wie vor eine Leitfunktion in der öffentlichen Meinungsbildung zu. Es
ist deshalb durchaus problematisch, einerseits den aufgehetzten Mob zu
kritisieren, andererseits die fragwürdige Rolle einiger Medien
völlig außen vor zu lassen. Um diese Facette zu
berücksichtigen, hätte ich meinem Kommentar in der Tat eine
Zeile mehr gönnen sollen.
Auch kann ich verstehen, dass Sie sich gegen eine Pauschalverurteilung
„der“ Internetcommunity wehren. Zwar ist auch diese Zuspitzung
dem Zwang zur Verkürzung geschuldet. Ich denke aber, dass ich den
differenzierenden und selbstreflektierenden Vertretern dieser Gemeinschaft -
zu der Sie womöglich zählen - tatsächlich auch eine
differenziertere Betrachtung schuldig gewesen wäre. Mein Angriff in der
Sache hat hier vielleicht eine persönliche Färbung bekommen, die
ich keinesfalls beabsichtige.
Bei aller berechtigten Kritik am Stil mancher Berichterstattung irritiert
mich hingegen Ihre Einschätzung, wonach die Schuld an der Entwicklung
in Emden „einzig und allein“ bei den Medien liege. So ist mir
nicht bekannt, dass der Name des ersten Verdächtigen im Emder Mordfall
von der Presse veröffentlicht worden wäre. Auch einen Aufruf zur
Lynchjustiz habe ich in keinem Medium finden können. Mit einem solchen
Vorgehen hätte sich ein Presse- oder Rundfunkorgan schwerwiegende
juristische Konsequenzen eingehandelt.
Revolverblättern die Alleinschuld für jegliche Straftaten
beizumessen, halte ich deshalb für eine doch recht grobe Vereinfachung.
Sie entlassen damit den Bürger aus seiner
Selbstverantwortung, stellen Straftätern mit Verweis auf die bösen
Medien per se einen Freifahrtschein aus.
Was das Thema
Fahndung auf Facebook betrifft (bislang allein in Niedersachsen
praktiziert), so möchte ich der Kürze halber nur auf die
Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Datenschutz verweisen:
https://www.bfdi.bund.de/bfdi_forum/showthread.php?2944-fffentlichkeitsfahndung-via-Facebook
. Der Fall von Emden ist meines Erachtens eine traurige Bestätigung
mancher hier geäußerten Vorbehalte.
Soziale Netzwerke verbinden Person A mit Person B. Manchmal verbinden
Sie auch Person A mit Person B und C. Das alles fällt unter den Bereich
des privaten Datenverkehrs. Werden nun Person A, B und C mit zweihundert
oder gar tausend weiteren Personen vernetzt, kann nicht mehr von einem
privaten Austausch die Rede sein: In diesem Fall erschafft der Anbieter eine
publizistische Einflussmöglichkeit, wie sie allenfalls Rundfunksender
oder Verlage erreichen. Das ist grundsätzlich in Ordnung, verlangt
aber, dann auch die Verbreiterhaftung zu übernehmen.
Mit Ihrem Vergleich von Facebook einerseits
und den Online-Foren der Zeitungen andererseits benennen Sie hierzu
selbst den entscheidenden Unterschied: Allein das unverzügliche
Löschen von Entgleisungen bedeutet für die Verleger erhebliche
Personalkosten. Diese erbringen sie keinesfalls freiwillig, sondern weil das
Gesetz sie dazu zwingt. Die Online-Redaktion der Süddeutschen Zeitung
schaltet ihre Kommentarfunktion nachts gänzlich ab, um nicht eine
Veröffentlichung justiziabler Äußerungen zu riskieren.
Auslöser dieser Maßnahme war im Übrigen der verlorene
Prozess eines Bloggers (Stefan Niggemeier), der einen in der Nacht
eingegangenen Kommentar erst morgens und damit zu spät entfernt hatte.
Deutsche Blogger und Zeitungen müssen mit solchen Konsequenzen leben
– nicht aber milliardenschwere Konzerne mit Sitz in den USA. Dass ich
dieses Missverhältnis kritisiere und eine gerichtsfeste Definition von
Öffentlichkeit in digitalen Foren jeder Art einfordere, müsste
eigentlich in Ihrem Interesse sein.
Ein paar Worte möchte ich noch zum Thema Youtube verlieren.
Zunächst zu den „gesichtslosen“ Kritikern, die eine
Kontrolle des Kopierens im Internet für grundsätzlich nicht mehr
realisierbar halten. Sie befinden sich beispielsweise hier:
http://www.spreeblick.com/2012/04/14/ich-heb-dann-mal-ur/
, hier:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-84339496.html
und hier:
http://www.dirkvongehlen.de/index.php/netz/vom-wissen-der-wichser-zwei-thesen-zur-urheberrechtsdebatte/
, vor allem aber hier:
http://wiki.piratenpartei.de/Programm#Urheberrecht_und_nicht-kommerzielle_Vervielf.C3.A4ltigung
Dass ich die Kenntnis um diesen Diskussionsstand voraussetze, mag gewagt
erscheinen. Allerdings kann ich eine gewisse Verwunderung über die
Notwendigkeit einer klaren Bezugnahme – gerade bei einem Blogger
– nicht ganz verhehlen.
Was Ihre Interpretation
unserer Gema-Berichterstattung betrifft, so waren zwar tatsächlich nur
zwölf Videos Gegenstand des Prozesses. Allerdings hatte die Gema diese
lediglich exemplarisch ausgewählt, der Prozess war ein Musterverfahren
von grundlegender Bedeutung. Nun liegt mir der betreffende Bericht gerade
nicht vor, ich möchte aber nicht völlig ausschließen, dass
wir diesen Umstand eventuell nur unzureichend deutlich gemacht haben. Liegt
das Missverständnis vielleicht in diesem Detail begründet?
Korrigieren muss ich Ihre Behauptung, das Hoch- und Herunterladen von
Videos sei nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Das Gericht hat Youtube
sogar eigens dazu verpflichtet, neues Hochladen von einmal entfernten Videos
zu unterbinden. Selbst eine Software für dieses Verfahren wurde im
Urteil benannt. Vielleicht hätte auch dieser Umstand in unseren Bericht
klarer zum Ausdruck kommen sollen. Für schlichte
"Neuformulierungen" bestehender Verträge jedenfalls strengen
Verhandlungspartner eher selten aufwändige Prozesse an: Im Prozess der
Gema gegen Youtube ging es um nichts weniger als die Haftungsfrage für
unzweifelhaft rechtswidrig hochgeladene Inhalte.
Dass das
Vervielfältigen urheberrechtlich geschützten Materials illegal ist
(nur zur Sicherheit:
http://www.rechtzweinull.de/index.php?/archives/24-Risiken-fuer-YouTube,-MyVideo-Co-und-deren-Nutzer-Haftung-bei-Videoplattformen.html
), werde ich Ihnen nicht
erläutern müssen. Das Urteil schützt somit legal handelnde
Nutzer vor versehentlichen Rechtsverstößen mit den
anschließenden Abmahnungen durch geschäftstüchtige
Rechtsanwälte. Zugleich aber erschwert es Nutzern, die das geltende
Recht bewusst hintergehen möchten, die Arbeit: Auf Youtube jedenfalls
werden solche Verstöße schlichtweg nicht mehr möglich sein.
Ich finde das sehr begrüßenswert. War hier womöglich etwas
nicht verständlich genug formuliert?
Was Ihre Einschätzung der finanziellen Lage von Rechte-Inhabern
betrifft, so ist diese subjektive Wahrnehmung selbstverständlich Ihr
gutes Recht - dass Sie in diesem Punkt über keine tieferen Kenntnisse
verfügen, räumen Sie ja selbst ein. Aus meiner Erfahrung als
Kulturjournalist komme ich jedenfalls zu einem anderen Ergebnis: Nach dem
Zusammenbruch des Tonträgermarktes sind Künstler mehr denn je auf
professionelle Verwerter angewiesen. Vor schwarzen Schafen mit
Knebelverträgen schützt im Großen und Ganzen der freie
Markt. Niemand ist gezwungen, sich einem Verwerter auf Gedeih und Verderb
auszuliefern – wer sich übervorteilt fühlt, kann sich ein
neues Management suchen.
Puh, das ist am Ende jetzt doch eine ganze Menge geworden. Vielleicht
können Sie meinen Erwiderungen ja den einen oder anderen
Gedankenanstoß abgewinnen. Die Diskussion um das Urheberrecht im
digitalen Wandel ist sehr komplex und die Fronten sind nicht zuletzt wegen
des hohen Emotionalisierungspotenzials ziemlich verhärtet. In jedem
Fall freue ich mich über jede Rückmeldung zu meiner
Berichterstattung, künftig am Besten an meine persönliche
Mailadresse, dann kommt es auch an.
Viele Grüße
Johannes Bruggaier
P.S.: Und lassen Sie uns einander doch bitte nicht Lobbyismus oder
Propaganda unterstellen, ich gehe meinerseits auch nicht davon aus, dass Sie
im Auftrag von Google unterwegs sind.
Dr. Johannes Bruggaier
Kulturredakteur
4 Kommentare:
Ace, bist du im Auftrag von Google unterwegs? ^^
Schön schön, was hast du jetzt geantwortet?
Der Text mit meinen Antworten kommt dann morgen. Versprochen.
Verliere dich aber nicht nur in deinem Blog, wir wollen noch andere Dinge im B-Bereich lesen.
Wieso? Der ist doch schon fertig. Muss nur noch ein wenig bearbeitet werden, damit sich meine Antworten abheben. Das kostet nicht viel Zeit.
Kommentar veröffentlichen