Willkommen, meine Schüler. Heute wird Euch der große Shifu Ace ein Gleichnis erzählen. Es handelt von zwei Orten, an dem ein und dieselbe Sache unterschiedlich behandelt wird - weil es unterschiedliche Erträge bringt. Es geht um die Sicht der Dinge - und darum, dass es selbst bei banalen Dingen unendlich viele Ansichten geben kann und auch gibt.
Aber fangen wir einfach mal an.
Nehmen wir einen Staat. Er ist klein, er ist abgeschieden und er ist wehrhaft. Diese Wehrhaftigkeit ist der große Stolz des kleinen Staates. Seit ein paar Jahrhunderten steht er alleine, und so will er es auch. Er spielt nicht bei den vermeintlich "Großen" mit, und bisher ist er damit gut gefahren.
Durch dieses Verhalten, diesen Kodex, diese Einstellung, kann sich unser Staat aller Privilegien erfreuen, die er sich zuteilt. Wer sollte ihn auch kontrollieren? Im Gegenteil, seine neutrale Haltung führt eher noch dazu, dass man solche Kontrollen unterlässt, oder ihm in internationalen Verträgen sogar Vergünstigungen einräumt, die andere Staaten nicht bekommen.
Eines seiner größten Staatsschätze ist das Bankgeheimnis. Es ist absolut, dieses Bankgeheimnis. Der Staat sagt, dass jeder Euro, jeder Dollar, jede Rupie und jede Franke, der auf eine seiner Banken eingezahlt wird, absolut vertraulich behandelt wird. Und dieses Versprechen verteidigt er mit Zähnen und Klauen. Von der Oma, die in diesem Staat ihre Spargroschen einlagert, über den Terrorist, der hier seinen Auslandsfond unterhält, bis hin zum Steuerhinterzieher - das Geld dieser Leute ist sicher auf den Banken des Staates, da er niemandem Rechenschaft schuldig ist.
Deshalb hat dieser Staat im Thema Bankensicherheit und Verschwiegenheit einen sehr guten Ruf, und wird von Menschen und Firmen aus der ganzen Welt in Anspruch genommen. Das macht das Bankenwesen nicht nur zu einem höchst wichtigen Wirtschaftszweig, sondern auch zu einer enormen Einnahmequelle. Denn selbstverständlich verschließen die Banken das Geld nicht in ihren unterirdischen Tresoren, sondern lassen es arbeiten, zum Beispiel indem die Geldinstitute das Geld gegen Zinsen weiter verleihen. Das bringt Gewinn. Ein Teil des Gewinns geht an den Kunden der Bank, ein anderer an den Staat, und den klitzekleinen Rest streicht die Bank selbst ein. Eigentlich eine schöne Sache, möchte man denken, und allen geht es gut dabei. Was ist also dagegen zu sagen, dass dieser Staat sein Bankgeheimnis so sehr schützt? Das hat immerhin etwas mit Integrität, Würde und Aufrichtigkeit zu tun.
Wir werden sehen.
Dieser Staat hat einen Nachbarn. Einen recht unruhigen Nachbarn aus Sicht des ersten Staates, denn als er schon lange gegründet war, da gab es diesen Nachbarn noch nicht einmal. In letzter Zeit jedoch machte der Nachbarstaat Furore. Erhöhte seine Einwohnerzahl um ein Drittel, vergrößerte sich auf völlig legalem Wege beachtlich, wuchs allgemein gegen den Welt-Trend und kämpfte die letzten drei Jahrzehnte meist erfolgreich um den Titel Exportweltmeister. Eigentlich, so möchte man meinen, ginge es dem Nachbarn recht gut. Dabei hat der Exportweltmeister ein kleines Problem: Er verlangt von seinen Bürgern, wenn sie Profite machen, einen Teil vom Kuchen. Immerhin stellt er ein Land zur Verfügung, eine Infrastruktur, verschiedene Medien und Gremien, Judikative, Exekutive, Legislative und versucht auch sonst, all seinen Bürgern ein gutes Leben zu ermöglichen. Diese Sachen, von der Autobahn bis zur Kostenerstattung für Ehrenämter, müssen bezahlt werden.
Okay, mag man sich denken, wenn zum Beispiel der reiche Onkel Paul seine Million Euro nicht in der Matratze aufbewahrt, sondern einer Bank leiht, damit die daraus noch mehr Geld macht, dann darf der Staat doch ruhig seinen Anteil davon haben. Er nimmt ja nicht alles weg, nur einen kleinen Teil. Doch der Exportweltmeister hat diese Rechnung ohne Onkel Paul gemacht - und natürlich unseren freundlichen Staat mit dem Bankgeheimnis. Denn in dessen Banken kriegt Onkel Paul auch Zinsen auf sein Geld - und dass er Steuern zahlen muss, merkt er gar nicht. Im Endeffekt aber verdient er an den Zinsen im Nachbarland mehr als wenn er in einer Bank des Exportweltmeisters investieren würde. Was macht also Onkel Paul? Er fliegt ins Ausland, zu unserem freundlichen Staat, eröffnet ein Konto und zahlt seine Million darauf ein. Da freut sich die Bank natürlich, weil sie nun eine Million mehr hat, mit der sie arbeiten und an der sie verdienen kann - auch wenn sie Onkel Paul nun Zinsen zahlen muss.
Auch der Onkel Paul freut sich, denn einerseits kriegt er ja nichts von den Steuern mit, die er im Bankenstaat zahlen muss, und andererseits hat er mehr raus als hierzulande. Und er umgeht so auch die lästige Zinssteuer.
Die Sache hat nur einen kleinen Haken: Der Exportweltmeister hat genau gesehen, dass Onkel Paul die Million im Inland verdient hat, und er findet, das sie an Onkel Pauls Zinsen mitverdienten sollte, genau wie an allen anderen Zinsen, die von den Banken im Inland ausgezahlt werden. Immerhin, die ganzen Straßen, Sozialversicherungsleistungen und die Bundeswehr unterhalten sich ja nicht von allein. Doch das ist Onkel Paul egal, denn es kann ihm ja niemand beweisen, das seine Million im Bankenstaat liegt. Stattdessen braucht er nicht einmal zu behaupten, er hätte das Geld durchgebracht. Dass dadurch vielleicht Waisenhäuser geschlossen werden müssen, und Straßen nicht mehr repariert werden, das ist Onkel Paul egal. Auf die paar Kröten kann der Staat auch verzichten, denkt er sich. Und ist es seine Schuld, das es ganz, ganz viele Onkel Pauls im Exportweltmeisterland gibt, die alle denken, das Steuern zahlen böse ist - vor allem für sie?
Nun geschieht aber etwas ganz schreckliches: Im Bankenstaat arbeitet ein ganz unfreundlicher Zeitgenosse mit diesen Bankdaten aus dem Land mit dem Exportweltmeister, und er sieht ganz deutlich all die Onkel Pauls, die da ihr ganzes Geld am Staat vorbei drücken. Und da er es satt hat, immer nur fremde Millionen umher zu schieben, beschließt er, kriminell zu werden. Richtig, er klaut einfach mal alle Informationen, welche die Bank über ihre internationalen Kunden hat. Und damit ist das Bankgeheimnis für den Arsch.
Diese Bankdaten bietet der Frechdachs nun dem Exportweltmeister für ein paar läppische Milliönchen an, und ein paar Testdaten, die er als Lockmittel heraus gegeben hat, verschaffen dem Staat schon mal das Doppelte an Steuernachzahlungen als der freche junge Mann aus dem Bankenstaat haben will. Klingt ja eigentlich nach einem guten Geschäft.
Aber für unseren kleinen, freien und selbstbewussten Staat ist das natürlich eine Katastrophe: Wo kommen wir denn dahin, wenn alle Welt wüsste, wer bei ihnen welche Bank benutzt um mit wie viel Geld in seinem Heimatland Steuern zu hinterziehen? Wo kommen wir denn dahin, wenn all diese Kunden ihre Milliarden abziehen, um in Zukunft brav Zuhause zu investieren und Steuern bezahlen wie die normalen Bürger auch?
Das sagt der Bankenstaat natürlich nicht, denn wenn er es so formuliert, dann klingt es ja so, als würde er einerseits illegale Aktivitäten beschützen wollen, die nur bei ihm nicht illegal sind, und andererseits es ihm nur um die vielen Milliarden Euro geht, mit denen seine Banken arbeiten können und von denen sie Steuern zahlen.
Darum werfen sie dem Nachbarstaat, also dem Exportweltmeister, auch prompt vor, er würde nicht als Rechtsstaat handeln, weil die Bankdaten ja geklaut sind. Und ein Staat, der geklaute Bankdaten kauft, um im eigenen Land seine eigenen Staatsbürger der Steuerhinterziehung zu überführen, das ist ein Hehler.
Und so plustert sich der kleine Bankenstaat gewaltig auf, droht mit Konsequenzen in den guten Beziehungen und bestellt vielleicht sogar den Botschafter vom Exportweltmeister ein, um sich zu beschweren: Das ist doch alles nicht Rechtsstaatlich.
Vor Gericht zieht er allerdings nicht, um den Nachbarn zu hindern, die Daten zu kaufen. Und damit hat er wahrscheinlich Recht, denn das Gericht könnte gegen ihn entscheiden. Dann lieber Stimmung machen, gegen die Moral des Exportweltmeisters wettern und mit viel Geschrei und dem Vorwurf der Hehlerei davon ablenken, das es ja gar nicht um den Rechtsstaat geht - es geht um Geld. Viel Geld. Verdammt viel Geld. Und wenn der Staat auch nur einmal den Handel mit geklauten Bankdaten einreißen lässt, und zulässt das seine Kunden im Heimatland vollkommen legal der Steuerhinterziehung überführt werden, dann... Dann weichen seine Kunden womöglich noch auf andere kleine, stolze, unabhängige Staaten aus, die auch ein Bankgeheimnis haben, und wo die Mitarbeiter noch keine Daten geklaut haben, um sie den anderen Staaten zu verkaufen. Die Cayman-Inseln, zum Beispiel. Das ist dann ganz, ganz schlecht für den Bankenstaat, dem so eine riesige Einnahmequelle verloren geht, weil die ganzen Onkel Pauls nicht mehr zu ihnen kommen.
Ja, ja, Onkel Paul hat bei der Geschichte übrigens nichts gelernt. Er ist immer noch der Meinung, das er von seinen Zinsen nichts an den Staat, in dem er lebt, abgeben sollte. Also nimmt er seine nächste Million und bringt sie... Nicht in den Bankenstaat, denn da ist ja das Geheimnis um sein Vermögen, für das er keine Steuern zahlt, nicht mehr sicher. Stattdessen macht er dann wohl mal einen Ausflug in die Karibik.
Was ist die große Weisheit hinter diesem Gleichnis? Minus und Minus ergibt leider nur in der Mathematik Plus. In unserem Fall jedoch ist es tatsächlich unmoralisch, ja, illegal, die geklauten Bankdaten zu kaufen, um Steuersünder im eigenen Land zu überführen.
Andererseits ist es noch unmoralischer, ein Bankenwesen zu unterhalten und zu fördern, das auf diese Kunden abzielt, das rund um das Erfolgsmodell der Steuerhinterziehung aufgebaut ist. Das so weit geht, dass sogar der Staat protestiert, wenn einer einzigen Bank ein paar tausend vertraulicher Datensätze verloren gehen.
Letztendlich entstehen damit allen, außer dem Bankenstaat, Nachteile. Zum Beispiel neulich, als der Bankenstaat nach sechzig Jahren endlich dazu gezwungen werden konnte, die Vermögenswerte von im Krieg getöteten Juden deren rechtlichen Erben offen zu legen. Bis dato war das Geld weiter verwaltet worden, war mit den Zinsen Geld verdient worden. Eine sichere Angelegenheit, wenn man einerseits den Erben die Einsicht verweigern konnte - womöglich heben sie das Geld noch ab - und man andererseits ziemlich sicher sein kann, dass die Kontobesitzer nicht wieder kommen werden. Bei wie vielen Steuerhinterziehern ist das auch schon passiert, ohne das die Banken im Bankenstaat sich bemüßigt sahen, die Erben über das Konto des toten Onkel Paul aufzuklären?
Man sollte schon ein einigermaßen reines Gewissen haben, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt, mein lieber Bankenstaat.