Seiten

Freitag, 31. Januar 2020

Zum Corona-Virus

Es kommt in letzter Zeit etwas selten vor, dass ich Kommentare abgebe, zum Beispiel zum Weltgeschehen. Aber heute muss ich etwas zum Corona-Virus schreiben, auch um ein paar Dinge "geradezurücken".
Heute habe ich einer Kundin Atemschutzmasken verkauft. Nein, nicht diese Gasmaskendinger aus dem Fernsehen, das in Kriegen getragen wird, auch nicht die Papierteile, mit denen Hunderttausende Chinesen herumlaufen. Richtige, gute Masken aus dem Fachhandel der Filterstufe FFP 3, die Partikel bis zu Null Komma sechs Mikrometer Größe davon abhalten, eingeatmet zu werden. Damit ist diese Maske effektiv gegen eine mögliche Penetration durch das Corona-Virus. (FFP 2 hätte auch gereicht.)
Jedenfalls wusste die Dame, dass "der Corona-Virus auch durch die Augen übertragen" wird und eine Maske deshalb wohl doch eher sinnlos ist. Aber für den Fall der Fälle wollte sie eben welche Zuhause haben.
Jetzt wird es ein wenig wild. Die Dame wusste übrigens auch, dass "die Chinesen damit irgendetwas planen". Sie war auch davon überzeugt, dass die ganze deutsche Politikerkaste längst auf eine einsame Insel umgezogen ist, wo sie vom Virus unbeeinträchtigt sein wird, und dass um das Politikerding in Berlin (Anm.: Sie meinte das Kanzleramt) ein Graben gezogen werden soll.
Nun haben wir es hier mit einem lebenden, atmenden, fühlenden und Vernunftbegabten Wesen zu tun, daher verbietet sich jede Form von Spott automatisch, alleine aus Respekt. Aber was ich tun kann, das ist, ein paar Fakten anzubieten und etwas zu recherchieren. Dazu werde ich den derzeitigen Stand des Corona-Virus mit der Schweinegrippe und SARS vergleichen, die in diesem so jungen Jahrtausend bereits um die Welt gezogen sind und noch einen kurzen Abstecher zum letzten Pockenausbruch in Deutschland nehmen, der sich in den frühen Siebzigern im Saarland ereignet hat.

Zuallererst einmal: Keine Panik. Bei dem "neuen" Virus handelt es sich um 2019-nCoV aus der Coronaviridae, einer hinlänglich bekannten Virenfamilie. Es stellt sich derart dar, dass es bei anfälligen Menschen schwere Lungenentzündungen und/oder andere Leiden auslöst, die tödlich enden können. Die Ansteckungsrate ist relativ hoch, die Sterblichkeitsrate jedoch nicht.
Bevor ich jetzt irgendetwas anderes schreibe, lasse ich mal die blanken Zahlen zum Thema sprechen.
Offizielle Stellen sprechen von einer Sterblichkeitsrate von 2,9, d.h., von einhundert Infizierten sterben 2,9 Personen. Dies ist aber (noch) unsicher, da sich die Sterblichkeitsrate aus zwei Faktoren ergibt: Der Anzahl der Fälle und der Anzahl der Todesfälle. Der Rest ist schlicht und einfach Mathe. Nun können viele Infektionen überhaupt gar nicht gemeldet worden sein, weil der Krankheitsverlauf nur schwach oder die Krankheit überhaupt nicht ausgebrochen ist. Das würde bedeuten, dass es wesentlich MEHR Krankheitsfälle gibt, was automatisch die Sterblichkeitsrate senkt. Es kann aber auch sein, dass es in absehbarer Zeit zu einer akuten Häufung an Todesfällen kommt, was bedeuten würde, die Letalität würde steigen, und damit auch die Sterblichkeitsrate.
Das Problem bei einer sicheren Berechnungsrate liegt wie immer im Detail. In Wuhan sind vor allem Personen über sechzig Jahren verstorben, und viele Fälle sind auskuriert worden und wurden nicht gemeldet, die als Dunkelziffer stattgefunden haben. Die Wahrscheinlichkeit liegt nahe, dass einige Todesfälle entweder fälschlicherweise dem Corona-Virus zugeordnet wurden, oder aber Corona als Todesursache für Todesfälle im Dezember (noch) nicht erkannt werden konnte, da die Infektion noch nicht bekannt war.

Zwischenschritt zur Virologie. Was macht Viren, zum Beispiel einer Virusfamilie, zu einer Bedrohung für den Menschen? Was ist mit SARS und Schweinegrippe? Nun, das Problem ist, dass Viren faktisch eine Art von biologischer Mschine sind. Ihr einziger Existenzzweck ist, in einen Gast einzudringen, dort in eine Zelle einzudringen, für die es den "Schlüssel" hat, und dort die Reproduktionsprozedur mit seiner eigenen RNS zu überschreiben, sodass sich die betroffene Zelle nicht mehr selbst reproduziert, sondern, Ihr ahnt es, Viren baut, bis sie entkräftet abstirbt. Die neuen Viren verbreiten sich, befallen Zellen des gleichen Typs, vermehren sich, und, und, und.
Bei Grippe und Co. ist das Problem, dass zwei Viren der gleichen Familie aufeinander treffen können - und dann tauschen sie Teile aus, was dem neu entstehenden Virus dann ganz andere Möglichkeiten gibt, bzw. der Dietrich für die Körperzellen wird verändert, was dem Virus eventuell neue Möglichkeiten eröffnet. Das kann furchtbar werden; in den meisten Fällen kommt aber harmloser Mist dabei heraus.
Auch das aktuelle Virus ist so entstanden: Eine Neukombination aus mehren Teilen von Viren, die bereits Tiere oder Menschen befallen haben. Deshalb kennen wir die Virenfamilie, nicht aber das Virus selbst.
Nun ist die Virologie eine recht junge Wissenschaft, und die Aufzeichnungen sind noch keine einhundert Jahre alt. Wir können also nicht sagen, ob 2019-nCoV nicht schon einmal in der Menschheitsgeschichte aufgetreten ist. (Was auch sinnlos wäre, da immune Menschen nach einhundert Jahren größtenteils verstorben wären.)
Anders sieht es bei der H1N1 aus, der Schweinegrippe. Sie trat bereits in den Sechzigern auf, was dazu führte, dass am Hauptausbruchsort, der Millionenmetropole Mexico City, nur Menschen unter fünfzig Jahren erkrankten. Manche Medien machten daraus eine Panikstory zum rabiaten Killervirus, der uns alle auslöschen wird - na, fällt da irgendjemandem eine Parallele auf? - anstatt die Frage, warum alte Leute nicht erkrankten, mit einem logischen "die hatten das schon mal und sind immun" zu beantworten.
Wir kennen also das Corona-Virus per se, nur halt nicht in dieser Zusammenstellung.

Zurück zum eigentlichen Virus. Die WHO hat gestern den Gesundheitsnotstand ausgerufen, was bei einigen Medien dazu geführt hat, dass sie (wieder mal) das Ende der Welt gekommen sehen haben wollen. Tatsächlich aber heißt es nur, dass sich die Organisation fachlich und sachlich mit dem Thema durch eine Expertenkommission auseinandersetzt und Verhaltensmaßnahmen an Mitgliedsländer ausgibt. Zwar ist der Status einer Pandemie erfüllt, sobald das Virus sich über mehrere Länder verteilt, also quasi andere Kontinente erreicht hat. Aber das sagt nur etwas über die Ansteckungsrate aus, nicht über die Gefährlichkeit.
Bei SARS, einem Virus, das ebenfalls aus der Coronaviridae-Familie stammt, war es geringfügig anders. Es hat während des Ausbruchs 2003 weltweit 8096 Infizierte gegeben. Direkt oder mittelbar durch die Infektion und andere Krankheiten verstarben 774 Menschen, was eine wesentlich höhere Sterblichkeitsrate von 9,6 ergeben hat.
Beim Influenza H1N1, im Volksmund Schweinegrippe gerufen, war es  2009/2010 genau umgekehrt. Es gab verdammt hohe Ansteckungsraten mit 226.000 verifizierten Fällen in Deutschland, aber es gab nur 226 Todesfälle. Genaue weltweite Zahlen sind nicht mehr verfügbar oder schwer zu bekommen. Aber nehmen wir an, die Sterblichkeitsrate wäre 9,6 wie bei SARS gewesen, alleine in Deutschland wären rund eintausend Menschen gestorben.
Dies entspricht übrigens den Todesfallzahlen der regulären Grippe.

Worum geht es der WHO also? Nun, 2019-nCoV breitet sich schnell aus, ist infektiös, und in einigen Fällen führt sie zum Tod. Dazu kommt, dass sie dank moderner Transportmittel schnell weltweit verbreitet wurde und wird. Da wir mittlerweile auf jedem der fünf Kontinente Infektionsfälle haben, ist eine Pandemie-Warnung angebracht. Aufgrund der Verbreitung. Lieber einmal zu viel warnen, als einmal zu wenig. Man stelle sich nur vor, die Schweinegrippe wäre mutiert und hätte SARS-Gefährlichkeit erreicht. Dann hätten wir durchaus ein Problem gehabt.
Als Beispiel möchte ich den letzten großen Pockenausbruch in Deutschland erwähnen, der aus Pakistan eingeschleppt wurde, weil der Patient Null eine unzureichende Schutzimpfung erhalten hatte. Pocken sind derart ansteckend, dass man nur im gleichen Raum die gleiche Luft atmen muss, die der Infizierte atmet; damit sind sie ähnlich ansteckend wie die Masern-Viren, was man nicht oft genug erwähnen kann. (Und Masern sind gefährlich genug, btw.)
Damals kam es zu einer relativ kleinen Ansteckung, aber mehreren Todesfällen. Doch in einem modernen Land wie Deutschland waren mehrere hundert Krankheitsfälle und Verdachtsfälle in Quarantäne im vierstelligen Bereich ein Schock, glaubte man doch diese Krankheit besiegt. Happy End: Die Pocken sind offiziell weltweit ausgerottet, und es existieren nur noch Proben in zwei sehr speziell gesicherten Labors, damit man für den Fall des Ausbruchs irgendeiner neuartigen Pockenvariante einen Impfstoff herstellen kann.
Aber auch bei diesen Raten der Ansteckung sind wir nicht.

Fazit: Etwas früher, weil ich nicht an die Zahlen komme, die ich haben will, komme ich zu einem Ende. Derzeit kann man noch nicht sagen, wie sich 2019-nCoV entwickeln wird. Es besteht bei Viren immer die Gefahr, dass sie mutieren. Dadurch können sie schlimmer werden, aber auch schwächer. Siehe weiter oben. Wir wissen jetzt seit zwei Monaten von diesem speziellen Gast der Coronae-Familie, und wir haben schon dank des Flugverkehrs auf jedem Kontinent außer der Antarktis bestätigte Krankheitsfälle.
Das bringt mich auf eine witzige Anekdote. Wisst Ihr, warum uns im Herbst/Winter Impfstoffe für die saisonale Grippe zur Verfügung stehen? Nun, meistens bricht die aktuelle Unfluenza in den Ballungsgebieten Südostasiens aus und breitet sich dann durch Tröpfeninfektion langsam in alle Himmelsrichtungen aus. Erreicht die aktuelle Grippe Deutschland, hatten die Pharma-Firmen natürlich genug Zeit, Impfstoffe zu entwickeln. Sowohl bei SARS als auch Schweinegrippe und jetzt beim aktuellen Corona-Virus ist es anders; die primäre Ausbreitung erfolgt über den Flugverkehr.
Was nicht heißt, dass eine eher traditionelle Ausbreitung von Person zu Person nicht doch noch stattfindet und den Weg zu uns findet. War bei SARS übrigens nicht der Fall.

Was also steht uns bevor? Nicht viel. 2019-nCoV brach in der Millionenstadt Wuhan aus, in der elf Millionen Menschen leben. Es gab definitiv nicht mehr Todesfälle als Infektionen, also sind die Ansteckungsraten eher moderat. Die Sicherheitsmaßnahmen in den anderen Ländern greifen, sodass infizierte Personen gut isoliert werden, ebenso die Personen, die mit ihnen in Kontakt gekommen sind, was bei einer Sterblichkeitsrate von 2,9 schon angebracht ist. Wer spielt schon gerne Lotto mit dem eigenen Leben? Die vier Fälle in Bayern wurden gut gemanaged und eine weitere Ausbreitung bisher verhindert. Und nein, die Kinder des Patienten Null, der sich bei seiner chinesischen Kollegin angesteckt hat, wurden definitiv NICHT von der Quarantäne ausgenommen. Es gibt keinen logischen Grund, das zu tun. Das hindert die Panik-Bubble aber nicht, so etwas einfach zu behaupten. Wenn also jetzt eines seiner Kinder ebenfalls positiv getestet wurde, heißt das nicht, dass eine ganze Schule oder ein Kinderspielkreis angesteckt sind. Heißt es das doch, werden eben auch diese Kinder isoliert. So schnell kommt das Ende der Welt nun mal nicht. Vor allem nicht in einem gut organisierten und gut aufgestellten Land wie Deutschland.

Also: Abwarten und Tee trinken. Impfen lassen? Sicher. Wenn das Virus über die normalen Verbreitungswege kommt, wie es die reguläre Grippe macht. Also von Person zu Person quasi zu Fuß über den ganzen Kontinent.
Wir müssen auf mögliche Mutationen achten, sicher. Und sich infizieren, und unter die 2,9 zu fallen, ist auch nicht nett, weil tödlich. Absehen, was überhaupt passieren wird, können wir auch nicht. Aber wenn es so weitergeht, und wenn die Behörden weltweit weiter so gut reagieren, sollte die Geschichte von 2019-nCoV wesentlich schneller zu Ende sein als Schweinegrippe oder SARS.
Verhaltensmaßnahmen? Abstand zu hustenden Personen. Hände waschen. Schutzmaske? Nur, wenn man direkt mit Patienten in Kontakt ist.

Grund zur Panik? Nein. Wir reden hier nicht von Masern, nicht von Pocken, nicht von der Schwarzen Pest. Und auch selbst wenn 2019-nCoV über die Augen übertragen wird (über die Augenschleimhaut, was ein recht komplizierter Weg in den menschlichen Körper ist), geben die bisherigen Zahlen einfach keine Panik her. Noch nicht.
Ich wage allerdings die Prognose, dass es auch dabei bleibt. Im Übrigen sollten sich alle Medienschaffenden schämen, die das genaue Gegenteil von dem tun, was ich hier gerade mache. Die bisherigen Zahlen sind Grund genug für eine Warnung und erhöhte Aufmerksamkeit, aber nicht für Hiobsbotschaften oder gar Panik.
Just my two Cents.


Keine Kommentare: