Tja, da habe ich seit einer Woche nicht mehr gebloggt, was zu einem nicht geringen Teil daran liegt, dass mich der aktuell grassierende Husten/Schnupfen-Virus als Wirt auserkoren hat, zum anderen Teil, weil ich wirklich, WIRKLICH große Artikel schreiben möchte und mich ein wenig davor fürchte. Und dann blogge ich doch wieder, und das gleich zu einem ernsten und sehr wichtigen Thema.
Im Hauptort meiner Samtgemeinde, Gronau Leine, sind am Dienstag ein paar Schmierereien aufgetaucht, die ohne weiteres der rechten Szene zugeordnet werden können. Neben ausländerfeindlichen Parolen der Vorkriegspropaganda und der Neonazi-Szene (Deutschland erwache; Hass und Tod dem ****; 14/8*; usw.) an der Turnhalle, auf einem Zebrastreifen und an diversen Gebäuden war dies auch noch eine sehr detailgetreue und, ja, sprechen wir es ruhig aus, gut gemachte Sprayarbeit vor der Kreissparkasse in Form einer Reichskriegsflagge.
Ein paar Gedanken zum Thema, die aber nichts mit der Demo zu tun haben. Die rechte Szene in Gronau ist mir nicht bekannt. Ich höre quasi nichts von ihr. Gar nichts. Und wenn man auch noch annehmen kann, dass die Vorkriegsrhetoriksprüche und der Nazi-Skin-Mist schnell von jedem Idioten aufgesprüht werden kann, so ist die Reichskriegsflagge ein ganz anderes Kaliber. Da hat jemand dran gearbeitet, ein "Künstler". Jemand, der es konnte. Es ist gewiss kein Zufall, dass die Schmierereien nach der Ankündigung des Landkreises erfolgten, das leerstehende Realschulgebäude als Erstaufnahmeinrichtung für Flüchtlinge nutzen zu wollen. Es wäre aber doch ein viel zu großer Zufall, dass unter den zweifellos in Gronau vorhandenen "besorgten Bürgern" und Rechtssympathisanten tatsächlich ein Facharbeiter von diesem Kaliber war. Will sagen: Wer all das in dieser einen Nacht verbrochen hat, um "völkische Gefühle von Patrioten" zu wecken, kam von außerhalb. Diese Schmiereien sind ein Import. Nichts, worauf man stolz sein kann, aber ein klares Zeichen dafür, dass man Rechtsrhetorik viel zu lange gewähren ließ. Nicht umsonst heißt es immer wieder, die Entnazifizierung nach dem Krieg war größtenteils wirkungslos, der Beamtenapparat wäre der selbe gewesen wie vor und während des Krieges, und dem Verfassungsschutz, speziell dem in Bayern, wird nicht erst seit gestern unterstellt, die Neonazi-Szene zu lenken.
So. Nun haben wir den Salat. Vor zwei Wochen haben zwei Neonazis und eine Mittäterin gleich um die Ecke in Salzhemmendorf versucht, ein Gebäude anzuzünden, in dem unter anderem Asylbewerber leben. Weil sie glaubten, sie kämen damit davon. Dienstag waren es in Gronau noch "nur" Schmierereien. Aber seien wir ehrlich, "besorgte Bürger" haben wir in Gronau zuhauf. Und bevor nun auch noch die Realschule brennt, muss ein Zeichen gesetzt werden.
Aber dazu am Ende oder in einem eigenen Artikel mehr.
Zurück zum Thema. Am meisten empört über diese Schweinereien war Gronaus Stadtbürgermeister Karl-Heinz Gieseler von meiner Partei, der SPD. Was dann geschah, war auf der anderen Seite schon ein kleines Wunder. Er schlug vor, eine Demonstration gegen Fremdenhass zu organisieren. Bis Mittwoch Nachmittag. Der Chef vom SPD-Ortsverein Hans-Gerhard Besser half ihm diese Aufgabe zu stemmen, eine Anmeldung beim Landkreis erfolgte, eine Rundmail ging rum, Nachrichten wurden auf Facebook geteilt, und der Termin stand fest. Mittwoch auf dem Rathauskellerplatz um vier Uhr Nachmittags. "Und wenn da dann nur zehn Leute stehen" war weder ein Hinderungsgrund, noch eine Ausrede für Kalle. "Das machen wir."
Gesagt, getan. Die Genehmigung kam, die eMail wurde geteilt, ebenso der Facebook-Beitrag, und als ich zehn Minuten vor vier eintraf, war auf dem Ratshauskellerplatz (direkt vor der Kirche in westlicher Richtung) der "kleine" Wochenmarkt im Gange, aber immerhin schon rund dreißig Leute abseits versammelt.
(Da ich einer der ersten SPD-Leute vor Ort war, drückte mir Kalle gleich eine Ordner-Armbinde auf, weil das für die Demo Vorschrift war. Keine Sorge, das war mein ganzes Mitwirken, abgesehen von meiner Anwesenheit.)
Das Erstaunliche geschah in den folgenden zehn Minuten. Der Platz füllte sich zunehmend, nicht nur mit Genossen, sondern mit Menschen jedwelchen Alters. Von Grundschulkindern, die selbstgemalte Schilder für mehr Toleranz hochhielten bis zu alten Damen, die Zeitzeugen des WKII waren, war alles vertreten. Sogar die CDU war mit starker Abordnung erschienen, was wir als Demokraten hoch anrechnen. Da müssen wir nicht, weil es für die Demokratie selbstverständlich ist und wir im Gegenzug dasselbe gemacht hätten. Aber wir wissen es sehr zu schätzen.
Alles in allem waren es rund dreihundert Personen. Die Zeitung spricht von zweihundertfünfzig, aber das ist eine sehr vorsichtige Schätzung.
Zuerst sprach Karl-Heinz Gieseler selbst. Er sprach über das Unding mit den Schmiereien, darüber, dass in Salzhemmendorf bereits ein Haus brannte, und dass wir so etwas in Gronau nicht wollen. Oft stockte ihm die Stimme, weil ihn Ärger und Abscheu über diese Schmiereien zu überwältigen drohten. Er wurde oft mit großem Applaus bedacht. Auch tangierte er die Pegida-Bewegung, die er für die Schmierereien mitverantwortlich machte, da die Bewegung vielleicht anfangs aus Sorgen und Ängsten entstanden war, jetzt aber rechtes Gedankengut propagiert. "Und das", so Kalle, "soll sich in Gronau nicht verbreiten".
Danach war Rainer Mertens dran, der Samtgemeindebürgermeister. Er schlug in die gleiche Kerbe, warb für Toleranz und das weltoffene, freundliche Gronau, das wir bisher hatten und weiter haben wollen. Zudem kündigte er für den Auslöser der Geschichte, nämlich die Unterbringung von Asylbewerbern in der leerstehenden Realschule für den nächsten Donnerstag einen Informationsabend an, dessen Ort aber noch nicht feststeht. Auch er erhielt oft langen Applaus.
Danach war Bernd Beushausen dran, Bürgermeister von Alfeld und Vorsitzender des Kreiskomitees für Asylfragen. Seine eindringlichsten Worte waren: "Wir dürfen uns von den Rechten nicht unser Verständnis von Demokratie definieren lassen." Er warb offen für Verständnis, Toleranz und, ja, christliche Werte, möchte ich sagen, die wir eigentlich alle schon im Konfirmationsunterricht gelernt haben sollten. Oder die Katholiken zu Kommunion. Natürlich bekam auch er anhaltenden Applaus.
Als Kalle dann die Abschlussworte sprach, waren gerade einmal zwanzig Minuten vergangen, aber ich hatte wirklich, wirklich das Gefühl, dass in sehr kurzer Zeit so viel Wichtiges gesagt worden war. Und es war ein gutes Zeichen, dass die Vertreter umliegender Ortschaften wie der Samtgemeindebürgermeister Duingen, oder auch u.a. die Bürgermeister von Eime und Marienhagen ebenfalls vor Ort waren, um Flagge zu zeigen. Und das sind noch nicht mal alle gewesen, nur die, die mir gerade einfallen.
Nach der Rede standen Bürgermeister Gieseler und Samtgemeindebürgermeister Mertens den Menschen trotz Anschlusstermin noch Rede und Antwort zu vielen Fragen, aber sie hörten den Leuten auch einfach nur zu, so zum Beispiel der Zeitzeugin des WKII aus dem nahen Johanniterstift, die wegen der Naziparolen vielleicht das erste Mal in zehn Jahren laut geworden ist. So etwas darf es nicht noch einmal geben. Richtig.
Kleine Anmerkung: Ich gebe natürlich nicht alles wortwörtlich wieder, und nur so, wie ich es mir gemerkt habe. Falls also jemand ein falsch zugeordnetes Argument findet, möge er es mir ebenso verzeihen wie Auslassungen; ich habe keine Notizen gemacht.
Mein Fazit: So eine Veranstaltung von heute auf morgen aufzuziehen, sie genehmigt zu kriegen und dann auch noch erfolgreich durchzuziehen, ist ein logistischer Albtraum. Aber sie war erfolgreich. Sehr erfolgreich. Sie macht Hoffnung. Und sie gab all den Menschen, die gekommen waren, das Gefühl, dass nicht die Pegida-Denke die vorherrschende Meinung in Deutschland ist, sondern Toleranz, Mitgefühl und andere christliche Werte. Tschuldigung, dass ich immer auf dem "christlich" rumreite, aber "Das Boot ist voll" oder "wir können nicht die ganze Welt aufnehmen" sind sehr unchristliche Hetzparolen. Ausgesprochen von Menschen, die das "christlich-jüdische Abendland" beschützen wollen. Ich denke, wenn das christlich-jüdische Abendland beschützt werden muss - abgesehen davon, dass es sowas gar nicht gibt - dann am ehesten vor Leuten, die die Grundlagen dieses Abendlandes zerreden, dagegen verstoßen und dagegen hetzen. Pegida zum Beispiel. Neonazis zum Beispiel.
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