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Freitag, 4. Juni 2010

Merkels Gaza-Hilfskonvoi nach Bellevue

Ihr werdet es kaum glauben, aber ich bin schreibtechnisch zu meiner alten Form zurückgekehrt. Besonders gut sehen kann man daran, dass ich wieder Blogposts schreibe, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Und, oh, Wunder, nach meiner bitteren Bangkok-Erfahrung bin ich auch wieder eifrig dabei. Vor allem, nachdem ich wieder ein paar gute Texte zu Papier bringen konnte. Dieser Post ist zwei brandaktuellen Themen gewidmet, die ich heute unbedingt anreißen möchte: Der Free Gaza-Hilfskonvoi, und die Bundespräsidenten-Frage.

Fangen wir mit dem einfachen Text an. Da gibt es eine Organisation. Sie nennt sich Free Gaza, und sie hat es sich zum Ziel gemacht, die Komplett-Blockade um den Gaza-Streifen, also jenes palästinensische Gebiet, das von der radikalen Hamas beherrscht wird, aufzubrechen und ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren.
Eigentlich sollte ich als gebranntes Kind bei der geballten Propaganderie auf beiden Seiten eifrigst zurückschrecken und die Finger davon lassen... Aber ich habe einiges gelernt. Und das wende ich jetzt auch an.
Fakt ist, dass die Hamas dem Kampf gegen Israel nicht abgeschworen hat. Fakt ist, dass der eigentliche Palästinenser-Präsident aus Gaza ins Westjordanland fliehen musste. Fakt ist, dass die Hamas meines Wissens nach auch keine Wahlen für den Gaza-Streifen abgehalten haben.
Fakt ist aber auch, dass Israel den Gaza-Streifen komplett abriegelt, und dies seit drei Jahren. Gab es zuvor für Palästinenser zumindest ein paarmal die Woche die Möglichkeit, Arbeitsplätze in Israel selbst aufzusuchen, so wurde das vollkommen unterbunden. Fakt ist, dass es im Gaza-Streifen nur ein paar Stunden am Tag Elektrizität gibt. Fakt ist, dass selbst nach sechzig Jahren Flüchtlingslager existieren.
Um es auf den Punkt zu bringen: Da stehen sich zwei unversöhnliche, gewaltbereite Standpunkte gegenüber, die israelischen Hardliner mit ihrer kompromisslosen Einstellung, mit der sie selbst den unnötigen Tod von Zivilisten schön reden, und auf der anderen Seite die Hamas, die noch immer von der Ausrottung/Vertreibung/was auch immer des israelischen Staates träumt.
Dazwischen und davor gibt es eine Menge Menschen, die ungewollt und unbeachtet auf beiden Seiten unter dieser Gewalt, dieser Kompromisslosigkeit leiden müssen; die letzte Offensive Israles gegen Gaza hatte über tausend Tote zur Folge, darunter viele Zivilisten.

In diese angespannte Situation dringt nun Free Gaza ein, eine offiziell vollkommen selbstlose Organisation, die versucht auf dem Seeweg Gaza mit Medikamenten, Baumaterial und Hilfsgütern zu versorgen.
Die aktuelle Free Gaza-Flotte, bestehend aus sechs Schiffen, wurde mitten in der Nacht aufgebracht, geentert, und in einen israelischen Hafen umgelenkt, von dem aus Israel sich bereit erklärt hat, die Hilfsgüter per Lastwagen nach Gaza zu schaffen.
Lassen wir einmal die Toten im zweistelligen Bereich außen vor. Schauen wir mal nicht auf die plötzliche Bereitschaft Israels, Hilfsgüter in den Gaza-Streifen zu lassen, ja sogar selbst zu bringen. Schauen wir mal nicht auf die Knüppel, Stangen und Messer, die das israelische Elite-Angriffskommando dazu gezwungen hat, "das Feuer zu erwidern". Und denken wir einmal nicht daran, dass Free Gaza das Angebot, alle Hilfslieferungen über Land nach Gaza zu schaffen, stets ablehnt, weil sie so auf die Blockade an sich aufmerksam machen wollen.
Schauen wir nur auf die Fakten. Was sagen diese Fakten? Dass eine internationale Flotte von Fracht-, und Passagierschiffen außerhalb der Zwölf Meilen-Zone, die jeder Staat an seiner Küste als Hoheitsgebiet beansprucht, von israelischen Einheiten aufgebracht, geentert und aus dem Kurs gezwungen wurde. Dass die Passagiere inhaftiert und abgeschoben wurden. Dass die Fracht nicht zurückgegeben wurde.
Entschuldigt, wenn ich jetzt etwas gehässig klinge, aber am Horn von Afrika patrouillieren deutsche Schiffe, weil man das dort PIRATERIE nennt.
Das ist ein Fall für das internationale Seegericht in Hamburg, und das nicht nur wegen der Toten, die für eine Elite-Einheit, die angeblich beteiligt gewesen sein soll, mehr als peinlich ist.


Kommen wir zur nächsten Peinlichkeit. Horst Köhler, Finanzjongleur und ehemaliger Bundespräsident, wurde aus einer Rede zitiert, und erntete dadurch auch aus den eigenen Reihen, vor allem aber der Presse vernichtende Kritik.
Ich kann verstehen, dass er diesen Schritt unternommen hat. Ich kann auch verstehen, dass er verlauten lässt, die kritisierte Passage über Wirtschaftlichen Absatz und Auslandseinsätze der Bundeswehr habe nicht unmittelbar mit Afghanistan zu tun.
Aber ehrlich gesagt finde ich es sehr Schade, denn Horst Köhler war ein für Schwarzgelb sehr unbequemer, nach dem eigenen Gewissen, und nicht (zumindest selten) nach dem Parteibuch entscheidender Bundespräsident.
Anstatt sich nun an die eigene Nase zu fassen und sich zu fragen, ob und warum, wo die eigenen Fehler lagen, die den Bundespräsidenten - unser Staatsoberhaupt - zum Rücktritt bewegten, entspinnt sich in der Koalition die große Selbstmitleids-, und Beweihräucherungsmasche.
Das erste Thema bei ihnen ist nicht: Welche Schuld haben wir wegen dem Rücktritt?
Es lautet: Wer macht nun den Job?

Ziemlich schnell wurde Zensursula genannt, Tschuldigung, ich meine natürlich die Tochter unseres ehemaligen niedersächsischen Landesvaters, die mit sieben von Nannies aufgezogenen Kindern und grandioser sachlicher Familienpolitik Furore machte, indem sie sich für den Big Brother-Überwachungsstaat á la Schäuble hatte einspannen lassen.
Mein erster Gedanke dazu war: Von der Leyen als Bundespräsidentin? Gut, da kann sie ja nicht mehr so viel falsch machen.
Dennoch, dieser Kelch ging an der Frau, welche die Nöte der selbst erziehenden Eltern aus eigener Hand kennt, und damit auch an uns glücklicherweise vorbei.

Nun hat die Koalition Christian Wulff am Wickel.
Ehrlich, ich mag Wulff nicht. Er regiert autoritär, kompromisslos, deckt den Gorleben-, und Asse-Skandal als sei er nicht der niedersächsische, sondern der bayrische Landesvater, und neigt bei Kürzungen der Haushaltsaufgaben zu sozialer Ungerechtigkeit. Aber dieses Schicksal hat er nicht verdient.
Von den CDU-Ministerpräsidenten ist er mir allemal lieber als Mr. "Ich fahre Ski, töte jemanden, und nutze das dann tränenreich im Wahlkampf, obwohl ich deshalb wegen fahrlässiger Tötung vorbestraft bin" Althaus, Mr. "Wenn ich am rechten Rand fische, gewinne ich die Wahl" Koch, oder Mr. "Rechtsrandfischen hat doch auch in Hessen geklappt, versuchen wir das doch auch in NRW und diskriminieren die SPD-Schnepfe ein wenig" Rüttgers.
Nun soll Chris also das allerhöchste, repräsentative Amt Deutschlands bekommen, im Schloss Bellevue sitzen, Gesetze unterzeichnen und Staatsgäste empfangen. Manchmal. Wenn Übermutter Merkel keine Zeit hat, oder der Gast sogar für sie zu wichtig ist.
Was für eine Verschwendung. Chris Wulff wurde lange Zeit als Nummer zwei der CDU gehandelt, als nächster Bundeskanzler.
Für alle, die sich in unserem politischen System nicht so auskennen, der Bundeskanzler ist der Macher bei uns. Zwar nur die Nummer vier des Staates (Bundespräsident, Bundesratsvorsitzender, Bundestagsvorsitzender, Bundeskanzler), aber er führt als Kommissar die Staatsgeschäfte. Bundeskanzler ist eine Menge Arbeit, aber auch eine Menge Macht. Außerdem spielt hier die Musik, im Kanzleramt, und nicht im Schloss Bellevue.
Was passiert also mit Chris, wenn er den Bundespräsidenten macht? Er wird nicht mehr Bundeskanzler. Oder könnt Ihr Euch einen Bundespräsidenten vorstellen, der als Zweitkarriere Kanzler werden kann? Nein? Dachte ich mir.
Im Prinzip sollte es mir als SPD-Wähler egal sein, wen die CDU als Nächsten zerstört, aber mir drängt sich dabei ein Gedanke auf, den ich hier mal zum Besten gebe: Sieht das nicht so aus, als würde Supermutter Angie Merkel hier ihren schärfsten Konkurrenten um das Kanzleramt ausschalten? Für mich ja.
Na ja, wenigstens haben wir es dann in Niedersachsen etwas ruhiger...

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