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Dienstag, 21. Juni 2011

Stand by my side... EHEC.

Es ist, wie das Leben manchmal so spielt. Da denkt man, die "Epidemie" mit EHEC wäre von den Medien ausgelutscht und vergessen, und wir könnten uns endlich verdientermaßen den Themen der Saure Gurken-Zeit zuwenden:
- UFO-Nazi-Geschichten mit oder ohne Basis auf der Rückseite des Mondes
- Kätzchen, die in Flaschen groß gezogen werden (ein echter Klassiker)
- skandalöse Busenblitzer promintenter und nicht so prominenter Frauen (geht immer)
- Mann beißt Hund (noch ein Klassiker)
- BILD sprach schon wieder mit den Toten (aber das Gespräch lief sich tot)
- Nessi wurde wieder mal gesichtet

Alles zeitlose Klassiker, auch wenn man über den Informationsgehalt streiten kann.
Aber es scheint, wir sind EHEC noch nicht ganz los.
Denn seit einigen Tagen geistern zwei Meldungen durch die Pressewelt, EHEC betreffend:
- eine einzige Frau, die in einem Partyservice gearbeitet hat, soll Schuld sein an der ganzen Geschichte.
- EHEC, um genauer zu sein der besonders aggressive Erreger, über den so ausführlich berichtet wurde, wurde im Wasser eines Baches nahe eines Klärwerks nachgewiesen. Und werden wir diesen speziellen Erreger jetzt nie wieder los?
...sacken lassen.

Diese beiden Meldungen sind es wirklich wert, das man sie beleuchtet. Meldung Nummer eins, dass eine Frau bei einem Partyservice arbeitete, selbst erkrankt sei und das Essen infizierte, wird m.E. nicht so gehandhabt, wie es sein sollte. Nun bin ich kein Biologe, und erst Recht kein Seuchenforscher. Aber bisher ging ich davon aus, dass das EHEC-Bakterium, oder meinetwegen, Ihr Sensationsmedien, auch der furchtbare Killerkeim, der leider keine Tausende umgebracht hat, nur ein paar Dutzend, sich durch Schmierinfektion überträgt.
Auf unseren Fall umgelegt heißt das, dass die Frau nicht nur selbst erkrankt war, sondern dass sie sich schlicht und einfach nach einem Toilettengang NICHT DIE HÄNDE GEWASCHEN HAT. So funktioniert Schmierinfektion nämlich. Und es geht auch nicht darum, dass sie sich nicht gründlich genug die Hände gewaschen hat, oder keine Seife nahm. Es geht darum, dass genügend Bakterien von ihren Händen in die Nahrung gelangten, und anschließend von Partygästen konsumiert wurden, sich in deren Därmen ansiedelten und bei rund zwanzig von ihnen Erkrankungen bis zum HUS auslösten.
Korrigiert mich wenn ich hier irre, aber für mich sieht das in allererster Linie nach mangelnder Hygiene aus.
Es ist KEINESFALLS so, dass mit EHEC infizierte Menschen nur in die Nähe von Nahrungsmitteln kommen müssen, um diese zu kontaminieren. Oder durch eine Menschengruppe gehen, um diese alle anzustecken. Sie brauchen kontaminierte Hände, sie brauchen Kontakt zum Überträgermedium. Und sie brauchen Leute, die das Überträgermedium in ihre Verdauung einbringen. Das sind Hände am Mund, das sind infizierte Häppchen im Magen. So funktioniert Schmierinfektion.
Aber so, wie die Medien darüber berichten wirkt es ein wenig so, als müsste ein EHEC-Träger nur neben einer Salatgurke stehen, um sie zum Überträgermedium zu machen. Das ist sachlich vollkommen falsch. ...Aber ich lasse mich da fachlich gerne eines Besseren belehren.

Noch ein Punkt in diesem Zusammenhang, der mir zu denken gibt: Die Recherche ist NICHT ausführlich genug. Die Frau als Ausgangspunkt zu bezeichnen ist einseitig. Denn beim aktuellen, ansteckenden und pathogenen Erreger handelt es sich um einen Hybriden, d.h., ein Bakterium mit neuem Erbcode, das entstand, als zwei EHEC-Bakterien Teile ihrer Erbinformationen ausgetauscht haben. Das passiert vor allem dann, wenn sich zwei Bakterien in einem entsprechendem Environment befinden, also guten Umweltbedingungen. In unserem Fall tippe ich mal stark auf einen Darm. Kuhdarm, Schweinedarm, Menschendarm, ich denke das ist unserem Bakterium reichlich egal.
Um die Frau also wirklich als Ausgangspunkt eindeutig zu identifizieren, quasi als Patient Null, müssen in ihrem Darm mindestens zwei weitere Stämme von EHEC nachgewiesen werden, die große Teile ihrer Charakteristika mit dem aggressiven Erreger teilen. Sprich, aus diesen beiden Bakterien muss einhundert Prozent des Erbgut des pathogenen Bakteriums stammen. Nicht fifty fifty, aber so und nicht anders läuft die Geschichte.
Das wäre mindestens eine Meldung wert gewesen, ebenso wie die Vermutung der mangelnden Hygiene. Aber das wären ja Fakten, und Fakten sind in der deutschen Medienlandschaft wohl schwerer zu verkaufen als Tote. Ist das nicht traurig?
Nein, Herrschaften, ich bin nicht sicher, dass Patient Null tatsächlich schon gefunden ist. Hier haben wir bestenfalls Überträger Eins. Wenn überhaupt.
Ich persönlich vermute, dass wir hier die Ursache für einen starken lokalen Ausbruch haben, aber nicht den Anfang der Ereigniskette. Doch wie gesagt: Ich vermute.


Fall Nummer zwei: EHEC im Bach.
Um es kurz zu machen: Klar. Passiert. Leute, die mit dem pathogenen EHEC-Stamm infiziert sind, gehen auf Toilette, bzw. das was sie produzieren gelangt in die Kanalisation. Von dort geht's zum Klärwerk, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Bakterien soweit überleben, dass sie tatsächlich später mit dem gereinigten Wasser in die Umwelt gelangen.
Aber auch hier gilt wieder: Schmierinfektion. Gut, gut, es ist jetzt nicht so, dass das Wasser sich nicht die Hände gewaschen haben muss, um einen Menschen oder ein Tier anzustecken. Das wäre banaler Blödsinn von mir. Aber um z.B. ein Säugetier zu infizieren, das dieses Wasser trinkt, muss das Bakterium in angemessener Zahl aufgenommen werden. Wasser ist kein Darm, vor allem kein Darm, in dem sich das bakterium geschützt ausbreiten kann und sich selbst in Massen reproduziert. Was den Kot zu einer höchst infektiösen Sache macht. Ich kriege bei dieser Meldung also erst Angst, wenn ein Labor feststellt, dass das Gewässer gesperrt gehört, und Menschen sich ihm nicht näher als zehn Meter nähern dürfen, bis es auf einen größeren Fluss trifft und sich entsprechend verdünnt hat. Die Warnung an Kleingärtner, das Wasser nicht zum Wässern für ihre Pflanzungen zu verwenden, beunruhigt mich nicht besonders. Was hätten sie auch sonst sagen sollen?
Mag also sein, dass der pathogene EHEC-Stamm O104:H4 uns noch eine Zeitlang begleitet, vielleicht sogar für immer und ewig. Aber ein wenig angemessene Hygiene sollte dem Bakterium ein ausreichendes Schnippchen schlagen.


Mein Fazit: Welt.de zeigt eine tolle Karte mit bundesweiten Infektionen und durch HUS ausgelöste Todesfälle in einem Artikel zu EHEC.
Epidemie sieht anders aus. Es bleibt also meinen Lesern überlassen, was sie denken möchten: Haben die schnellen und hysterischen Warnungen vor Gurken, Tomate und Sprossen uns vor Schlimmeren bewahrt, auch wenn sie letztendlich unsinnig waren; oder war die ganze Sache für uns letztendlich gar nicht so schlimm? Abgesehen von jenen, die gestorben sind, natürlich.
Ich für meinen Teil bevorzuge es, nicht hysterisch zu werden.

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