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Dienstag, 14. Januar 2014

Der Schülerhilfe/Abitur-Rant

Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob ich darüber schon mal gebloggt habe, aber meine Meinung hat sich nicht geändert.
Wer hat im Fernsehen die Werbung für die verschiedensten Schülerhilfe-Formate mitbekommen? Und wer weiß noch, dass wir vor gut einem Jahr von wesentlich mehr Formaten dieser Art regelrecht bombardiert wurden? Und wem kam das ebenso wie mir spanisch vor?
Die Fernsehspots reichten von manipulativen Unsäglichkeiten der Protagonisten ("Wenn die Zensuren schlechter werden, beginnen ja die Nachbarn zu gucken!") über Heilsversprechen (Schüler geht an die Tafel und löst unter dem ungläubigen Blick des Lehrers eine Gleichung) bis hin zu rationellen Anekdoten (Schüler wirft eine vier um und stützt sich auf eine drei - m.E. die aussagekräftigste und sinnvollste Werbung). Und sie haben alle eines gemeinsam: Sie suggerieren, dass ohne professionelle Nachhilfe, also ohne Nachhilfe-Firmen nichts mehr geht.
...sacken lassen.

Was also ist los in Deutschland? Warum ist das Geschäft mit professioneller Nachhilfe groß genug, dass "man" auf diversen Sendern Fernsehspots schalten kann, die erst in der Produktion und dann in der Sendung Hunderttausende Euro kosten? Ist Deutschlands Nachwuchs verblödet, sind die Ansprüche exorbitant gestiegen, hat der PISA-Test zu einer "Jetzt erst Recht"-Einstellung geführt, oder aber werden wir nach Strich und Faden belogen, damit wir unnötig Geld für Nachhilfe ausgeben, nur weil uns suggeriert wird, "heutzutage braucht man das eben"?

Abitur-Probleme:
Vielen dürfte bekannt sein, dass der Trend zum Abitur geht. (Darüber habe ich mehr als einmal gebloggt, ich weiß.) Mehr und mehr Ausbildungsberufe fordern als Minimum ein Abitur. Bankkaufmann zum Beispiel mit einem Erweiterten Sekundar I machen? Oder gar Versicherungskaufmann? Unmöglich. Deshalb steigen die Ansprüche und die Anforderungen, und - das ist leider so - versuchen sich viele junge Menschen am Abitur, die dort ehrlich gesagt nichts verloren haben, weil ihre Fähigkeiten und Neigungen eher in andere Berufszweige deuten (was sie aber eventuell nicht wahrhaben wollen, bzw. sie gezwungen werden, Abitur zu machen). Klingt fies, ich weiß. Aber um zu verdeutlichen, was ich meine, muss ich mal differenzieren. Ein Abitur dauerte früher drei Jahre. Drei Jahre, in denen auf das Studium vorbereitet wurde. Drei Jahre, die einem Bankkaufmann im Leben fehlen. Gut, heute sind es zwei, das sogenannte Turbo-Abitur, aber gerade die Komprimierung der Inhalte erhöht den Druck und die Ausfallquote. Dabei sollte eigentlich klar sein: Abitur=Studium. Realschule=Kaufmännische Berufe. Hauptschule=Handwerk und Industrie. Das bedeutet nicht automatisch, dass ein Hauptschüler ein Schüler zweiter Klasse ist. Viele Handwerksberufe erfordern neben des körperlichen Geschicks (das ich nie besessen habe) auch auf den geisteswissenschaftlichen Gebieten einiges. Gerade auf dem weiteren Berufsweg, z.B. Meister oder einem berufsnahen Studium. Aber zumindest wird ein Hauptschüler nicht mit drei Extra-Jahren Schulbankdrücken belastet. Was haben wir stattdessen? Die Hauptschule hat einen schlechten Ruf und gilt als Abschiebe-Ort für Problemkinder. Diese Entwicklung zeigt doch am meisten, wie falsch die schulische Gestaltung in Deutschland mittlerweile ist. Und wie unrealistisch die Ansprüche der Ausbildungsbetriebe.
...sacken lassen.

Cui bono?
Wer verdient also an dieser Entwicklung oder profitiert zumindest davon? Abgesehen von den ungezählten professionellen Nachhilfeinstitituten? Die Schulen mit Oberstufe, die nun mehr Schüler haben? Die Firmen, die wegen ihres Anspruchs zwei Jahre länger auf ihren Nachwuchs warten müssen? Ehrlich gesagt würde es mich wundern, wenn es hier Gewinner gibt. Abiturienten, die nicht studieren (allgemein studieren, denn in seinem Ausbildungsberuf kann JEDER studieren), legen heutzutage zwei Jahre ihres Lebens drauf, um in ihren kaufmännischen Traumberuf zu kommen. Wofür? Damit man sagen kann, man hat nur Leute mit Abitur? Für eine kaufmännische Tätigkeit.
Versteht mich nicht falsch, das soll die kaufmännischen Azubis nicht abwerten. Aber angenommen, in diesen Berufen geht es um die "Medaille" Abitur, sodass sie bei allen Bewerbern vorausgesetzt wird, dann bedeutet das, dass die Ausbildungsbetriebe daran schuld sind, dass diese zukünftigen Kaufleute zwei lange Jahre dem Berufsleben vorenthalten werden und zwei Jahre später mit ihrer Ausbildung fertig werden. Und was dann? Sie sind Kaufleute, haben Abitur, können also jederzeit BWL studieren, btw... Und entscheiden sich dann ganz spontan doch für ein Geschichtsstudium oder auf Lehramt?
Nicht nur etwas läuft ganz bitter falsch, und die negative Klassifizierung der Hauptschule ist dabei ebenso ein Symptom wie Abi für kaufmännische Berufe und die massiv beworbene Schülerhilfe.

Das Fazit:
Industrie und Handwerk beklagen Fachkräftemangel und Nachwuchsprobleme. Vollkommen zu Recht. Was also soll geschehen? Stellt man Schreinerlehrlinge in Zukunft nur noch mit Abitur ein, um den Stellenwert des Berufs zu erhöhen? Oder wertet man die Hauptschule wieder auf? Geht man sogar so weit und rückt die Aufteilung der Sekundarstufen wieder auf das Ziel ihrer Ausbildungsberufe zurecht?
Ich denke, das beste Zeichen für den Abitur-Wahnsinn ist das Turbo-Abitur. Das zweitbeste ist Abitur als Einstellungsgrundlage für kaufmännische Ausbildungen. Beides werden wir nicht beseitigen können, und dies für eine lange Zeit nicht, weil sie sich schon zu tief in die Gesellschaft eingegraben haben. Das Einzige, was wir jetzt verändern können und müssen, ist, ein Deckchen über unsere Schulen zu werfen; aus drei Schulformen nach außen hin eine zu formen. Schüler, die von Gesamtschulen kommen, haben auf jeden Fall nicht mehr den schlechten Ruf der Hauptschule. Ist immerhin ein Anfang. Hin zur Gesamtschule, weg von den Einzelschulen. Und als nächster Schritt muss mal die unrealistische Erwartung der kaufmännischen Ausbildungsbetriebe wie Banken und Versicherungen dringend hinterfragt werden.

Die vielen professionellen Schülerhilfe-Firmen sind also ein Symptom. Für eine Gesellschaft, die sich selbst die Knie wegkickt und die das Opfer Hauptschule in Kauf nimmt, solange die eigenen Kinder am besten Abitur machen, ob sie es brauchen oder nicht. Am liebsten natürlich mit Nachhilfe, damit sie es auch schaffen...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Ace,

Abitur als Einstellungsgrundlage gibt es nicht nur für Kaufmännische Berufe sondern das ist weit verbreitet.

Nicht mal weil Abiturienten "schlauer" wären, nein, die sind 18 und somit flexibler einsetzbar. sie dürfen Auto fahren und unterliegen nicht mehr den Regelungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes.

Heutzutage, wo es wieder zugeht wie im frühen 20. Jahrhundert und Lehrlinge einfach billige Arbeitssklaven sind, ist so was natürlich wichtig. Nicht für einen Handwerksmeister, der für seinen persönlichen Bedarf ausbildet und Wert auf solide Ausbildung seiner Lehrlinge legt, sondern eine "übliche" Firma, wo Lehrlinge halt Überstunden schieben müssen, keine Sonderpausen nehmen dürfen(Pause nach 4,5h Arbeit - faule Säcke wo gibt es denn so was, 6h durcharbeiten, dann 30min Pause, mehr geht nicht, Lehrjahre sind keine Herrenjahre etc. pp.)

Tostan

Ace Kaiser hat gesagt…

Hallo, Tostan.
An diese - für den Ausbildungsbetrieb sicher genehm kommende - Variante habe ich gar nicht gedacht. Volljährigkeit bedeutet mehr Einsatzmöglichkeiten, richtig.
Hehe, wo Du es gerade ansprichst, die Ausbildung, in der man nur ein weiterer Angestellter ist, der anderthalb Tage die Woche für die Berufsschule fehlt, habe ich Anfang der Neunziger selbst erlebt. Nicht ein einziger Tag innerbetrieblicher Ausbildung... Aber da war ich mit der Wahl des Betriebes auch selbst schuld, schätze ich.

Was uns zum Fazit bringt: So eine Vereinnahmung durch den Ausbildungsbetrieb, eine derartige Ausbeutung ist No Way. Aber wer sollte hier Abhilfe schaffen? Die Tarifpartner? Die Gewerkschaften? Die Politik? Ich denke, es fängt bei jedem einzelnen selbst an. Dann werden die Betriebe bald merken, dass es nicht ausreicht, fremde Länder wirtschaftlich zu ruinieren, um ihre Jugend für die unterbesetzten, weil unattraktiven Ausbildungsberufe abzuschöpfen.