Seiten

Donnerstag, 19. Juli 2012

Wohlstand - Eine Meinung zum Artikel mit Sicht aus der ehemaligen DDR

Als ich den Text zu "Wohlstand? Ja, leck mich am Arsch" geschrieben habe, wollte ich vor allem darauf hinweisen, dass ich einen Verlust des Wohlstandes in Deutschland empfinde. Dass wir gezwungen werden, als einfache, nicht organisierte Arbeiter und Angestellte, im Neoliberalen Jobvernichter-System immer schlechtere Arbeit zu immer schlechteren Konditionen anzunehmen. Und dass in der Familie immer mehr gearbeitet werden muss, damit die Familie funktioniert. Eine der Ursachen für den Geburtenrückgang sehe ich ganz klar hier: Kinder sind teuer und eine Belastung für viele Paare. Die Politik ändert die Rahmenbedingungen nur insoweit, dass den Eltern das Arbeiten erleichtert wird, obwohl m. E. ein Schwenk in die andere Richtung erforderlich wäre.
...sacken lassen.

Nun hat sich betty0815, eine Userin auf Fanfiktion.de und meine Leserin, zu Wort gemeldet. Meine Beschwerde erinnerte sie frappierend an die Zeit in der DDR, und ich fand das, was sie geschrieben hat, so interessant, dass ich es Euch nicht vorenthalten möchte.

Betty, it's yours.


Ich bin ja im Ostteil der Bunten Republik aufgewachsen und hier war das normal. Meine Mutter blieb jeweils die ersten drei Jahre bei ihren Kindern zu Hause (ich habe Bruder und Schwester), dann ist sie wieder arbeiten gegangen, weil Geld sonst knapp war. Aber man muss auch sagen, dass die Verdienste bei weitem nicht so hoch wie im anderen Teil der Republik waren. Na gut, Mieten und Lebensmittel waren auch billig, da mussten wir uns nach der Wende ganz schön umstellen...(alle Preise mal 10, ohne dass sich am Lohn was veränderte, zumindest vorerst).
Ich kann mich an meinen ersten "West-" Blumenkohl erinnern. Der kostete schlappe 10 Mark!

[Den nächsten Absatz hat sie mir später geschickt. Ich habe ihn hier eigenmächtig eingesetzt, damit er nicht umkommt. Ace]
Wir lebten im Sozialismus, der Kommunismus war ein Ideal, eine theoretische Utopie von Marx. Im Kommunismus haben die Menschen alle das Gleiche, will heißen es gibt keine Klassenunterschiede. Jeder bekommt die Waren die er braucht...also jedem nach seinen Bedürfnissen. Geld ist überflüssig usw. Keine Ahnung wer das und wie das geregelt werden soll..

Es gab auch viele Mütter, die wenn sie einen Krippenplatz bekamen, nach ihren 6 bezahlten Wochen Mutterschutz wieder losgezogen sind. Die Mütter hatten nichts von ihren Kindern und die Kinder nichts von ihren Eltern, da der Arbeitstag (Mo-Sa) 8 3/4 h war. Sowas wie Teilzeit gab es selten. Meine Mutter z.B. ging voll arbeiten und war erst abends nach 18.oo wieder zu Hause. Vom Kindergarten hat mich entweder mein Vater, oder eins meiner Geschwister abgeholt.
Urlaub? Wenn man Glück hatte konnte man über die Gewerkschaft einen Platz ergattern, oder man suchte sich einen privaten Platz. Meine Eltern hatten nur ein Auto...einen Trabbi, bei dem die Bestellzeit, ich weiß nicht mehr, 8-10 Jahre gedauert hat. Ins Ausland sind wir zum ersten Mal in den Achzigern gefahren. CSSR (heute heißt das ja Tschechien). Das war was ganz besonders für mich. Du konntest einfach nicht unbegrenzt Geld tauschen, nicht weil du es finanziell nicht konntest, sondern weil der Staat einen Riegel vorgeschoben hat. Ungarn hat sich für viele nicht gelohnt, weil man nicht genug Geld in die Hand bekam um dort auch mal essen zu gehen, geschweige sich ein Hotel zu leisten.
Aber das fand ich nicht so schlimm. Der Betrieb meines Vaters hatte ein Ferienlager an der Ostsee, und da bin ich bis zur 10. Klasse jedes Jahr für 2 1/2 Wochen hingefahren. Im Gegensatz zu einer heutigen Jugendreise war das spottbillig. Und wir sind nicht dauerhaft Rotlicht bestrahlt worden, auf wenn das manche heute behaupten.
[Rotlicht = Staatliche Propaganda. Ace]
Arbeiten gehen*** durften wir ab 14 und die meisten haben das genutzt um sich ein paar Mark Taschengeld dazuzuverdienen. Ich denke mal, dass wir hier frühzeitig darauf getrimmt wurden unsere Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Jeder hat einen Beruf erlernen können und bekam einen Arbeitsplatz (auch wenn es nicht immer der Wunschberuf war).
Dass hier die Frauen nach der Entbindung arbeiten gingen, war irgendwie selbverständlich. Und ich denke, dass weder Krippe noch Kindergarten geschadet haben. Vielleicht sind wir Kinder damals schneller selbständig geworden, weil es diese tiefe Bindung zu den Eltern aus der Kinderzeit nicht gab? Ich weiß es nicht, aber jeder Jugendliche hat zumindest versucht so schnell wie möglich das Nest zu verlassen...aber da gab es ja wieder das Problem mit einer Wohnung...aber das ist eine andere Geschichte...
***Ach herrje, ich meinte nicht Kinderarbeit...ist wohl falsch rübergekommen, ich meinte Ferienarbeit. Aber zum Unterricht in der DDR gehörte auch ab der 7. Klasse sogenannten UTP zum Lehrplan : Einführung in die sozialistischen Produktion, Technisches Zeichen und Produktive Arbeit und da gab es Noten. Im Prinzip waren wir aber billige Arbeitskräfte, die in Betriebe geschickt wurden, und dann Idiotenjobs gemacht haben. Als Beispiel: Federrechen herstellen für einen Fernschreiber (das sind die Vorläufer der Faxgeräte und die haben diese lustigen Lochstreifen gehabt...), absolute Fummelarbeit! Dann saß ich mal an einer Maschine, die die Schlitze in die Schraubenkopfe gefräßt hat...ich durfte Schrauben nachfüllen, geistig total anstrengend! (*g*), oder Motoren für den Fernschreiber zusammenbauen usw., bohren und senken, sowie Gewinde schneiden nicht mitgezählt. Wir wurden also für die Arbeit nach der Schule aufs Berufsleben vorbereitet und ich wusste, das werd ich niemals machen. Später bin ich Krankenschwester geworden...aber das ist ja Nebensache.
Die Politiker der BRD waren froh die DDR und alles was dazu gehört geschenkt bekommen zu haben. Viel haben sich an der Vereinigung eine goldene Nase verdient. Betriebe wurde für einen Appel und ein Ei an Großunternehmer verscheuert und dann zugemacht = Konkurrenz ausgeschaltet. Hier sind eben die Leute vor 22 auf die Straße gesetzt worden und nun ist es im Westen nicht anders. Die Großen können den Hals nicht voll genug bekommen und verlagern die Produktion ins Ausland, wegen der geringeren Lohnkosten.
Auch der Osten der Republik ist ein Lohnbilligland, aber das wird gut verschwiegen. Und noch eins, was die meisten Leute im Westen nicht wissen, wir bezahlen auch den Solibeitrag. Ist übrigens nur eine Steuer, die nicht den Anschein erwecken soll ;o))

Keine Kommentare: