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Montag, 10. Dezember 2012

Storytime: Die letzte Strafe


Wieder ein paar Informationen vorweg zu dieser Geschichte. Auch schon zwölf Jahre alt oder älter, gerade frisch von mir aufgehübscht. Schätze, ich muss mir 'nen Lektor suchen. ^^
Nichtsdestotrotz eine der Geschichten, die mir wirklich viel Spaß gemacht haben.
Und deshalb wünsche ich Euch auch Spaß beim Lesen. ^^



Es war ein normaler Tag, hier auf Erden. Irgendwo in Afrika tobten ein Dutzend Bürgerkriege, irgendwo in Europa erfror ein Obdachloser, irgendwo in Asien starb ein Bankräuber im Kugelhagel der Polizei, in Amerika war wieder mal der Rassismus an der Tagesordnung.
Alles in allem also ein ganz durchschnittlicher Tag.
Doch eine höhere Macht - sie mit Gott zu bezeichnen, würde sie negieren - sandte an diesem Tag einen Boten auf Erden. Dieser Bote, vom Antlitz her eine wunderschöne junge Frau, wandelte auf dieser Welt, an seiner Seite zwei Männer die ihm bei der Entscheidung helfen sollten. Mußte die Menschheit vernichtet werden? War die Menschheit am Ende?
Der erste Helfer der wunderschönen Frau war Pro. Ein vorlauter Kerl, der immer und überall eine Möglichkeit fand, seinen Standpunkt, die Menschheit gehöre vernichtet, zu stützen.
Ihr zweiter Helfer war Contra, ein ruhiger Zeitgenosse, der selten etwas sagte. Ehrlich gesagt, hatte er bisher noch gar nichts gesagt, um die Argumente von Pro zu erschüttern...

„Siehst du, diese Frau dort“, sagte Pro und deutete auf ein Mädchen, daß gerade ein Bürohochhaus verließ. „Gerade hat sie mit ihrem Chef gevögelt, um ihre Karriere voranzutreiben. Die Firma, in der sie arbeitet, produziert Waffen, die in die Dritte Welt exportiert werden, um dort Abertausende zu töten. Sie hat ihre alte Mutter ins Altenheim gesteckt, um sich nicht mit ihr belasten zu müssen und unterhält zur Zeit drei sexuelle Beziehungen zu verschiedensten Kerlen, von denen sie nicht einen liebt. Und wenn sie nach Hause kommt, dann setzt sie sich vor den Fernseher und sieht sich irgendeine schwachsinnige Soap an!“
Die wunderschöne junge Frau sah Pro an, der seine Worte mit einem grimmigen Nicken unterstrich. Dann sah sie zu Contra. Doch dieser schwieg, trotz der schweren Anklage. Noch immer.
„Wir folgen dem Mädchen, diesem verderbten Luder! Und ich verspreche, ich werde noch mehr Beweise vorlegen können, die beweisen, wie dringend dieser Sündenpfuhl gereinigt werden muß!“
Die drei folgten dem Mädchen, unsichtbar für alle die anderen, ohne jeden Hauch von Materie. Doch wer immer auf seinem Weg jenen Bereich berührte, an dem sich die schöne Frau befand, erfuhr einen Moment des Glücks. Wer jenen Bereich durcheilte, an dem sich Pro befand, mußte spontan weinen. Und wer immer Contras Pfad kreuzte, der sah erstaunt auf... und lächelte.
'Merkwürdig', dachte die junge, schöne Frau bei sich. 'Wer mich durcheilt, spürt die Harmonie des Universums, daß ich präsentiere, und wer Pro berührt, spürt seinen geballten Zorn auf die Menschen, denen er nie verzeihen wird. Doch was spüren sie, wenn sie Contras Sphäre berühren?'

„Siehst Du?“, blaffte Pro in seiner hitzigen, hasserfüllten Art. „Siehst Du, was sie gerade kauft? Schuhe aus Krokodilleder! Seit 200 Millionen Jahren gibt es diese Amphibien auf der Welt, selbst die Dinosaurier überlebten sie, doch die Menschen werden die lebenden Zeichen der Evolution ausrotten, nur, um an ihre Haut zu kommen, weil einigen von ihnen die Schuhe aus den Häuten der extra dafür gezüchteten Rinder nicht mehr fein genug sind! Wie viele Arten haben die Menschen schon vom Antlitz der Erde getilgt, teils aus Gier, teils aus völliger Gleichgültigkeit? Würden sie nicht ab und an auch Exemplare ihrer eigenen Spezies so gleichgültig vernichten, würde man meinen, sie würden sich daran ergötzen, niederes Kroppzeug auszurotten!“
Die junge Frau sah zum Mädchen herüber, dass sich gerade die neuen Schuhe einpacken ließ. Deutlich hörte man sie den Verkäufer fragen, ob es auch echte Tierhaut war und nicht etwa Imitat.
Pro grinste hämisch. Er sah sich wieder einmal bestätigt, und Contra schwieg, schwieg noch immer.
'Wenn Contra nicht bald etwas zur Verteidigung der Menschen sagt', dachte die wunderhübsche Frau, 'werde ich nicht umhin können, Pro recht zu geben... Und das würde bedeuten, daß die Menschheit bald nicht mehr sein wird.'

Die drei verfolgten das Mädchen weiterhin auf ihrem Weg, der wohl nach Hause führen würde.
Dabei kamen sie an einem Mann vorbei, der in Lumpen gehüllt an der Straße saß und  um Geld bettelte. Die meisten Passanten gingen vorbei, einige wenige warfen ihm ein Geldstück zu, vermieden es aber, ihn anzusehen. Auch das Mädchen warf ein Geldstück, dabei sah sie gerade mal  weit genug herüber, um wenigstens in die Nähe des Mannes zu werfen.
„Das brauche ich wohl nicht groß zu kommentieren, oder?“, stieß Pro gehässig hervor. „Wie Zeus aus seinem Olymp wirft sie dem Wurm am Boden ein paar Krumen zu und geht weiter, ohne ihn überhaupt angesehen zu haben!“
Contra schwieg, aber er schien zu lächeln.
Weiter folgten sie dem Mädchen auf ihrem Heimweg. Die wunderschöne Frau wußte nicht so recht, wie Pro das gemacht hatte, aber sie war sich sehr sicher, dass er für den nächsten Zwischenfall verantwortlich war. Plötzlich sackte ein älterer Herr auf dem Pflaster zusammen, griff sich an die Brust. Er war kreidebleich im Gesicht und sein Atem ging japsend, stoßweise. Das Mädchen wich scheu aus und setzte seinen Weg fort, es floh beinahe vor dem Unglücklichen.
„Sie hätte ihm vielleicht helfen können!“, rief Pro anklagend. „Sie hätte vielleicht auch nur einen Arzt rufen können! Aber was hat sie gemacht? Gar nichts, rein gar nichts! Nein, etwas hat sie doch gemacht, sie ist schneller gegangen, um hier fortzukommen!“
Contra schwieg immer noch.
„Contra!“ Der Mann sah zur wunderschönen Frau herüber. „Contra, wenn du nicht bald ein Argument gegen die Ausführungen von Pro bringst, werde ich gezwungen sein, ihm recht zu geben. Und was das bedeutet, kannst du dir ja denken!“
Contra nickte stumm. Er bedeutete den beiden, ihm zu folgen. Das Mädchen war derweil in einem der Mietshäuser hier verschwunden. Contra stieg in die Luft bis zum Dritten Stock und durchquerte die Wand des Hauses. Die anderen folgten ihm. Ihnen gegenüber ging die Haustür auf. Das Mädchen trat ein, schloß hinter sich ab, ließ seine Einkäufe fallen und fiel mit dem Rücken gegen die Tür. Tränen liefen seine Wangen herab und es schluchzte leise.
Schließlich wischte die junge Frau die Tränen mit den Händen aus dem Gesicht und lächelte bald wieder ein wenig. „So schlimm war die Welt heute gar nicht“, murmelte sie. „Vielleicht wird sie eines Tages sogar einmal besser sein.“

Die wunderschöne Frau zog sich mit ihren Begleitern zurück, als das Mädchen begann, ihr Abendessen zu bereiten. Sie ließ sich mit ihren Begleitern auf einer nahen Bank nieder und sah die beiden an.
„Ich habe eine Entscheidung getroffen. Sie ist mir sehr schwer gefallen, aber ich denke, es ist die richtige. Dir, Contra, kann ich nicht nachgeben. Du stehst für den Fortbestand der Menschheit, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie dies auch verdient.
Aber dir, Pro, kann ich auch nicht Recht geben. Du stehst für die Vernichtung dieser Spezies, einer Vernichtung, die sie aber auch noch nicht verdient hat.
Es gibt viel Gutes im Bösen dieser Welt, und ebenso viel Böses im Guten. Ich kann und darf heute nicht entscheiden, welches Urteil die höhere Macht fällen wird. Deshalb setze ich die Untersuchung für weitere tausend Jahre aus. Soll einer meiner Nachfolger dereinst versuchen, eine eindeutige Antwort auf die Frage finden: Pro oder Contra!“
Damit verschwand die wunderhübsche Frau, einfach so, ohne ein weiteres Wort.
Doch einige Zeit standen sich Pro und Contra noch gegenüber. Schließlich sagte Contra leise: „Ich glaube, diesmal war es ganz schön knapp. Beinahe wäre eine eindeutige Entscheidung gefallen.“
„Für die die Menschen noch nicht reif sind. Vielleicht sind sie es aber in eintausend Jahren. Und wenn nicht werden sie in weiteren tausend Jahren geprüft werden, und vielleicht noch einmal in nochmal tausend Jahren. Und wir werden versuchen, die Antwort auf diese Frage solange hinauszuzögern, sie in einem Patt halten, wie dieses Patt auch in den Menschen herrscht.“
Contra nickte nur. Plötzlich gingen die beiden ineinander, aus zwei wurde eins, drei Sekunden darauf konnte man als normaler Mensch einen jungen Mann aus dem Nichts entstehen sehen, der sich mit zufriedener Miene umsah und anschließend fröhlich pfeifend davonspazierte - für dieses Mal.

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