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Donnerstag, 6. Dezember 2012

Storytime: SOLAR FIVE

Diesmal ein paar mehr Informationen. Ursprünglich 2003 geschrieben, wurde diese Geschichte in der Anthologie "Deus ex machina" veröffentlicht. Später brachte ich sie auch im World of Cosmos und veröffentlichte sie auch unter meinen Geschichten auf Fanfiktion.de. Wie viele meiner älteren Geschichten habe ich ihr keine Überarbeitung gegönnt, sondern sie einfach gepostet. 
Heute erreichte mich eine recht kritische Stimme von meiner Briefbekanntschaft Uwe Lammers vom SFCBW, der das Fanzine Baden-Württemberg Aktuell herausgibt, wobei er mir sagte, ich hätte zuviel Potential verschwendet und die Geschichte hätte eigentlich acht oder zehn Seiten lang sein müssen. Nun, für mich war sein Brief zumindest Ansporn genug, um mich heute mal hinzusetzen und die Fehler aus der Version auf FF.de rauszusuchen. Da ich vier verschiedene Versionen auf meiner Festplatte hatte, erschien mir das der gangbarste Weg zu sein. Damit habe ich das Potential noch immer nicht ausgeschöpft, zufrieden bin ich trotzdem. Viel Spaß mit der Kurzgeschichte wünsche ich. ^^


„Und hier sehen Sie die Solarwind-Tänzer bei ihrer Arbeit!“ Die Stimme der Fremdenführerin überschlug sich fast, als sie mit geröteten Wangen und einer weit ausladenden Armbewegung durch die transparente Kuppel des Touristenpendlers nach draußen deutete.
Draußen, das war die unmittelbare Umgebung von SOLAR FIVE, dem Sonnenwindkraftwerk, welches die Energieversorgung der Erde, des Mondes und der neun großen orbitalen O´Neill-Kolonien sicherte.
„Die Oberfläche des Kollektors von SOLAR FIVE beträgt zweihundert Quadratkilometer. Sie ist also um einiges größer als St.Andrews, die mit zwei Kilometern Radius neueste und größte O'Neill-Kolonie im Tausend Kilometer-Orbit um die gute alte Erde.
Die Fläche muss so groß sein, um genügend Partikel des allgegenwärtigen Sonnenwindes einzufangen. Der Energiebedarf der Menschheit ist riesig, und dieses Kraftwerk liefert sie.
Es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass eine zweihundert Quadratkilometer weite, aber nur wenige hundertstel Millimeter dünne Kollektor-Folie dies bewerkstelligen soll. Vor allem nicht, da die Folie extrem gefährdet ist, und zwar von…“
Ein junges Mädchen hob eifrig die Hand. Sie gehörte wie zwei Drittel der Passagiere des Touristenbootes zu einer Schulklasse aus Shanghai, die zur SOLAR FIVE ihren Tagesausflug machten. Die Kids liebten es, Dinge die eigentlich jeder Mensch wusste, zu wiederholen.
„Von kosmischem Staub, Mikrometeoriten, Weltraumschrott, mit dem unsere Vorfahren der prästellaren Erde den Weltraum verschmutzt haben und von Trümmern vom Mond, die bei Einschlägen von Meteoriten in den Orbit geschleudert werden.“
„Richtig“, lobte die junge Frau. „Und natürlich auch von teilweise gigantischen Meteoren und Kometen, die unglücklicherweise die Mondbahn kreuzen und damit SOLAR FIVE bedenklich nahe kommen. Erst letztes Jahr kam der Halleysche Komet hier vorbei und passierte den Mond in lediglich zwanzigtausend Kilometer Abstand. Die Besatzung von SOLAR FIVE hatte drei Monate alle Hände voll zu tun, um die Staubpartikel und Trümmer abzusammeln, die Halley hinter sich hergezogen hatte, bevor sie die Kollektorfolie gefährden konnten. Und wer genau hat das gemacht?“
„DIE SOLARWIND-TÄNZER!“, riefen die Kinder im Chor.
Die Touristenführerin lächelte. „Richtig. Die Solarwind-Tänzer. Obwohl die Arbeit auf SOLAR FIVE sehr, sehr wichtig ist, und nur die Qualifiziertesten und fähigsten Menschen hier arbeiten dürfen, so sind die Tänzer unter ihnen doch etwas Besonderes. Sie sind es, die jeden Tag ihr Leben riskieren, um die Folie vor Schaden zu bewahren. Sie sind die großen Helden unserer Zeit.“
Ein Erwachsener im Hawaii-Hemd spähte nach draußen und deutete auf die im All umeinander kurvenden Tänzer-Schiffe. „Miss, ich dachte, die Tänzer kriegen immer die neueste und beste Hardware. Aber das Ding da draußen neben dem Armstrong Hewlett Alpha 3 ist ja noch aus dem letzten Jahrhundert. Eine Fokker Spacebus 39, wenn ich nicht irre.“
„Na, das nenne ich einen Glücksfall. Es gibt nur einen einzigen Sonnenwind-Tänzer, der dieses Modell noch benutzt. Pilot, bringen Sie uns bitte näher heran.
Meine Damen und Herren, liebe Kinder. Wir haben das äußerst seltene Glück, einen der berühmtesten Tänzer unserer Zeit zu sehen. Er war der Anführer der Sonnenwind-Tänzer von SOLAR FOUR, hält neun stellare Rekorde, hat bereits hundertfünfundsiebzigtausend Flugstunden, flog vierundzwanzigtausend Einsätze und bekam für seinen aufopferungsvollen Dienst an der Menschheit neun Tapferkeitsmedaillen, drei Belobigungen des Parlaments und wurde elfmal zum wichtigsten Mann des Systems gewählt. Er war es, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, um die sieben Fragmente des Kometen Wong-Mbuto zu zerstören, als dieser zerbrach und auf die Erde, den Mond und die damalige Kollektoranlage SOLAR FOUR zu stürzen drohte. Er war es auch, der in der legendären Hundert-Stunden-Schicht, sowohl im Erdorbit als auch um SOLAR FOUR, die Anstrengungen der anderen Tänzer koordinierte, die Trümmer der von ihm vernichteten Fragmente einzusammeln und damit Millionen Menschen allein in den O'Neill-Kolonien und auf der Erde das Leben rettete. Und das ohne eine einzige Pause.
Er ist das Vorbild jedes Solarwind-Tänzers, und sicher ist er auch euer Held. Von wem spreche ich?“
„DENNAR WATTS!“, riefen die Kinder im Chor. Auch der eine oder andere Erwachsene fiel ein.

„Dennar Watts“, brummte der Mann im Hawaii-Hemd und machte Aufnahmen mit seiner Holocam. „Als ich klein war, da war er mein großer Held.“
Die Touristenführerin lächelte. Das war er immer noch, für viele Menschen im gesamten Sonnensystem. „Es ist gerade sehr ruhig da draußen, die Tänzer sind nur auf Patrouille. Ich denke, wir können es wagen, Dennar Watts anzufunken. Er ist heute draußen mit Sarem Adegi, seinem Flügelmann und diesjährigem Sieger im Pan-Planetoidenrennen. Wir werden ihn zuerst fragen, ob Dennar mit uns sprechen kann. Sarem, können Sie uns hören?“
Die Stimme des Tänzers erfüllte die halbtransparente Kabine. Kaum jemand wagte zu atmen. „Sarem Adegi hier. Sind Sie das, Kassia?“
„Kassia Poul, richtig. Es freut mich, dass Sie sich an mich erinnern. Sagen Sie, hat Dennar Watts heute einen guten Tag? Ich habe hier eine Besuchergruppe aus Shanghai, die für ihr Leben gerne mit ihrem großen Helden sprechen würde.“
Sarem Adegi lachte leise. „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Dennar? Hast du Zeit?“
Einen Moment lang war Stille, dann vernahm man die unverkennbare Stimme des berühmten Piloten. „Wofür? Um den Leuten etwas zu zeigen, was ich nicht bin? Himmel, Sarem, zeige mir einen Helden und ich zeige dir einen Lügner. Es gibt nur zwei Sorten von ihnen. Strahlende Lügner und tote Helden. Dazwischen ist nichts.“
Kassia Pouls Lächeln gefror. Sie flog die Strecke beinahe täglich und traf dementsprechend oft auf Dennar Watts. Sie hatte sich gefreut, überhaupt die Stimme des legendären Piloten zu hören, aber seine Antwort war wie immer patzig und dazu geneigt, ein Dutzend Kinderträume zu zerstören.
„Alter Tattergreis!“, blaffte Sarem Adegi wütend. „Wir wissen alle, was du über Helden denkst. Aber da sind Kinder an Bord, die gerne ein paar Worte vom fähigsten Sonnenwind-Tänzer des Systems hören würden!“
„Dann rede du doch mit ihnen!“ blaffte Dennar zurück. „Ich habe meinen Zenit lange schon überschritten!“
Darauf folgte eine atemlose Stille, die endlos zu sein schien. Eines der Kinder begann zu weinen.
„Na schön.“ Der legendäre Pilot seufzte steinerweichend. „Liebe Kinder, ich bin Dennar Watts. Ihr habt sicher schon von mir gehört. Wenn ich all meine Auszeichnungen anstecke, brauche ich eine zweite Jacke, um alle unterzukriegen. Ich fliege schon seit fünfzig Jahren und bin Sonnenwind-Tänzer, seit ich meinen Abschluss in stellarer Navigation gemacht habe. Okay, für einige von euch mag mich das zum Helden machen. Aber das bin ich nicht. Vielleicht ein Vorbild. Denn die Arbeit hier draußen ist gefährlich, anstrengend und zeitraubend. Es ist ein Dienst an der gesamten Menschheit. Ich wusste das, als ich mich für diesen Posten beworben hatte. Und ich wusste, dass es eine Lebensaufgabe ist. Doch es sind nicht nur wir Sonnenwind-Tänzer, die der Menschheit mit dieser gefährlichen Aufgabe dienen.“
Innerlich atmete Kassia Poul auf. Der alte Pilot schien heute wirklich einen seiner besseren Tage zu haben, wenn er so freundlich werden konnte.
„Neben uns Tänzern, die den Nordpol des Mondes und die Umgebung von SOLAR FIVE nach kosmischen Trümmern absuchen, gibt es noch fünftausend Menschen von der Erde, dem Mond, dem Mars und den Venus-Habitaten, die hier arbeiten, um die Energieversorgung zu sichern. Sie sind hier als Techniker, als Ärzte, Köche, Ingenieure, Fährenpiloten, oder Fremdenführer. Ja, auch eure Fremdenführerin, Frau Poul, ist eine von uns. Sie arbeitet bereits seit fünf Jahren hier und hilft den Menschen, einen Einblick in die gefährlichste Arbeit im ganzen Sonnensystem zu bekommen.“
Kassia wurde rot. Der alte Haudegen erinnerte sich an sie?
„Denkt also immer daran, Kinder. Die Tänzer sind vielleicht die berühmteste Gruppe von SOLAR FIVE, aber ohne die anderen wären wir nichts. Ohne die Besatzung der ARCHE, die den von der Kollektorfolie gesammelten Sonnenwind konvertiert und als Mikrowellenstrahl zum Nordpol des Mondes hinab schickt, wäre unsere Arbeit sinnlos. Wenn überhaupt, dann sind wir alle hier oben Helden. Vielleicht machen wir aber auch nur unsere Arbeit.“
Ein Knacken in der Leitung deutete an, dass Dennar abgeschaltet hatte.

Die beiden Tänzer-Schiffe verharrten noch kurz neben dem Touristenpendler, dann beschleunigten sie und verschwanden in der Tiefe des Alls. Im Shuttle selbst herrschte beängstigende Stille.
„Ich will auch Sonnenwind-Tänzer werden und der Menschheit dienen“, sagte das Mädchen von vorhin plötzlich. „Ich will auch auf SOLAR FIVE arbeiten.“
„Du? Du könntest doch in tausend Jahren kein Tänzerschiff bedienen“, spottete der Junge neben ihr.
„Na und? Dennar Watts hat doch gesagt, jede Arbeit an Bord der ARCHE ist genau so wichtig wie die der Tänzer. Dann werde ich eben Ärztin oder ich werde auch eine so gute Fremdenführerin wie Miss Poul!“, konterte sie.
Der Mann im Haiwaii-Hemd nickte bestätigend. Er klatschte in die Hände, und die gesamte Fähre fiel nach und nach ein. „Unsere Helden von SOLAR FIVE!“
Mühsam hielt Kassia die Tränen zurück. Alles in allem war Dennar Watts doch kein so übler Kerl, fand sie.

Als die Fähre zur eigentlichen Besichtigung die ARCHE erreichte, durchlief Kassia wie immer ein wohliger Schauer. Der konische Zylinder mit den Dutzenden Auslegern erreichte eine Maximallänge von elf Kilometern, oben an der Kollektorfolie, wo die aufgesammelten Partikel des Sonnenwindes zusammenliefen drei, und unten am Fuß, von wo der Mikrowellenstrahl die aufgesammelte Energie an die Nordpolstation des Mondes verschickte , einen halben Kilometer.
Dies erschien auf den ersten Blick groß. Aber der Zylinder war innen weitestgehend hohl, lediglich durchsetzt mit hunderten schwebenden Generatoren, die den stetigen Strom von Partikeln konvertierten und weiter nach unten sandten.
Die Ausbeute der aufgefangenen Partikel betrug siebenundachtzig Prozent. Über die Ausleger wurden die übrigen dreizehn wieder abgegeben, bevor sie der ARCHE schaden konnten.
An diesen Hohlraum drängte sich der Lebensraum für die fünftausend hier arbeitenden Menschen.
Die Zustände waren nicht wirklich beengt, aber auch nicht großzügig. Kassia Poul schauderte bei dem Gedanken, dass es auf SOLAR FOUR noch knapper zugegangen sein sollte.
Aber es reichte, um eine Touristengruppe beinahe unbemerkt von der Besatzung einmal durch das riesige Gebilde zu führen.
Die Fähre dockte an und die Fremdenführerin lächelte. „Sie haben nun alle etwas Zeit, um sich nach Herzenslust umzusehen. Aber bitte bleiben Sie in dem grün markierten Bereich. Der rote Bereich ist Sperrgebiet, seit die Kämpfer für den Sonnenwind neun Anschläge auf die ARCHE verübt haben.“
„Was sind denn die Kämpfer für den Sonnenwind?“, wollte das kleine Mädchen wissen, das mal Ärztin auf SOLAR FIVE werden wollte.
Kassia runzelte die Stirn. „Du, das ist schwierig zu erklären. Weißt du denn, was die Gäaner sind?“
„Das ist leicht“, strahlte sie. „Das sind Menschen, die die Erde als geschlossenen, lebenden Organismus verstehen. Es gibt verschiedene Ausprägungen: Neo-Gäaner, Kontra-Gäaner, Gäaner Vieille…“
„Gut“, lobte Kassia. „Dann weißt du sicherlich, dass es noch eine vierte Gruppe Gäaner gibt, die Radikalen.“
Das Mädchen nickte eifrig. „Das sind doch die, die wollen, dass alle Menschen wieder auf die Erde zurückkommen, um dort absolut naturverbunden zu leben.“
„Richtig. Es gibt da eine ähnliche Gruppierung wie die Gäaner, das sind die Solaner. Sie verstehen das gesamte Sonnensystem unserer Sonne Sol als lebenden Organismus und sehen uns als Teil dessen an.
Wie bei den Gäanern gibt es friedliche Gruppen wie die Kontras oder die Vieilles.
Es gibt aber auch aggressivere Gruppen wie die Radikalen Gäaner, die sogar Gewalt einsetzen, um ihre Ziele durchzusetzen. Eine dieser Gruppen bilden die Kämpfer für den Sonnenwind. Auch sie glauben daran, dass das gesamte Sonnensystem ein Organismus ist. Und sie glauben daran, dass der Sonnenwind für das gesamte System sehr wichtig ist, so wie Blut, das durch den menschlichen Körper fließt. Die sagen nun, dass Stationen wie SOLAR FIVE den Sonnenwind abfangen, bevor er die Außenbereiche des Systems erreichen kann. Dort entsteht dann ein riesiger Teil im Raum, wo kein Sonnenwind hinkommt. Oder anders gesagt, dort droht der Organismus Sonnensystem abzusterben.“
Das kleine Shanghaier Mädchen sah die Fremdenführerin aus traurigen Augen an. „Ist das wahr, Miss Poul?“
Kassia drückte sie an sich. „Nein, mein Engel, natürlich nicht. Denn selbst wenn die Solaner Recht hätten, würde der Schatten von SOLAR FIVE durch das Sonnensystem wandern, wie es die Planeten auch tun. Außerdem ist die Sonne so groß, dass sich die Strahlen vom linken und vom rechten Rand der Sonne schon wenige tausend Kilometer hinter der Station treffen. Du brauchst keine Angst zu haben.“
Die Tür glitt auf, nachdem das Andockmanöver beendet war. „Sie haben zwei Stunden, bevor wir den Rundgang auf der Beobachtungsplattform oben an der Kollektorfolie beginnen. Ein Elektrobus wird uns dort hinbringen.“
Kassia lächelte jedem einzelnen freundlich zu, als sie die Fähre verließen. Besonders freundlich dem Mann im Hawaii-Hemd, der sich seine kindlichen Helden bewahrt hatte. Er musste ein Gäaner sein, denn diese trugen, um ihre Verbundenheit mit der Natur zu vergegenwärtigen, gerne Pflanzenmotive wie Palmen und Strand. Auf dem Hemd des Touristen war sogar ein Stück des Sternenhimmels zu erkennen.

„Kassia!“ Die Fremdenführerin wandte sich um. Fröhlich winkend kam Sarem Adegi auf sie zu. Der mittelgroße Spitzenpilot legte seine Rechte auf ihre Schulter, als er die zierliche Frau erreicht hatte. „Kassia. Ich darf Sie doch Kassia nennen? Es tut mir leid wegen vorhin, aber Sie wissen ja, wie Dennar so ist. Aber ich glaube, wenn man nur den Mund aufmacht und schon schieben sich zehn Mikrophone davor, um die eigenen Worte für die Nachwelt festzuhalten, darf man ruhig etwas ruppig und genervt sein.“
Kassia erschien die Szene wie aus einem Traum. Adegi, ausgerechnet Adegi, sprach mit ihr. Und seine Hand lag auf ihrer Schulter. Wie gerne hätte sie ihn jetzt einfach geküsst. Etwas, irgendetwas getan. Doch sie starrte ihn nur an.
Sarem runzelte verwundert die Stirn, weil die junge Frau beharrlich schwieg. Geradezu erschrocken riss er die Hand von ihrer Schulter und murmelte eine hastige Entschuldigung.
Er trat von einem Bein aufs andere, sah ihr stumm in die Augen. Sie sah zurück, unfähig, auch nur einen Ton zu sagen.
„E-entschuldigung“, stammelte Sarem und wandte sich zum Gehen.
Kassia erschrak und erstarrte noch mehr. Sie fühlte genau, dies war ihre einzige und letzte Chance, ihrem Schwarm nahe zu kommen.
„Na, du bist mir ja ein Held“, hörte sie plötzlich Dennar Watts spöttische Stimme hinter sich. „Lässt dieses tolle Mädchen hier einfach so stehen.“
Sarem wandte sich wieder um und warf dem berühmten Solarwindtänzer einen tiefen, verzweifelten Blick zu. „Ich… Ich will Kassia nicht aufhalten. Sie hat noch soviel zu tun…“
Dennar gab der Fremdenführerin einen sanften Klaps auf den Rücken.
„Du hältst mich doch nicht auf!“, rief sie hastig und viel zu laut. Erschrocken über ihre eigene Courage starrte sie Sarem an. „Die Tour geht erst in zwei Stunden weiter.“
„Oh“, machte der Solarwindtänzer. „Oh.“
„Nun lad sie schon zum Mittagessen ein“, schalt Dennar seinen Flügelmann. „Sonst stehen wir morgen noch hier.“
„Äh“, machte Sarem. „Hast du…“
„Ja!“, kam ihre viel zu laute Antwort.
Der junge Pilot lächelte. „Okay. Ich hoffe, du magst venusianisch?“
„Leidenschaftlich gerne. Da gibt es doch dieses tolle Restaurant an der Ecke…“
Dennar sah den beiden hinterher. Manche Dinge brauchten ab und an einen leichten Stoß.
Andere, wie diese hier hingegen, einen ausgeprägten Tritt in den Hintern.
Er seufzte und dachte an seine eigenen Beziehungen. Keine von ihnen hatte so unschuldig angefangen. Und keine hatte auch nur annähernd so lange gehalten, wie er es von seinem Flügelmann und der Fremdenführerin erwartete.

Plötzlich schreckte ihn der Alarm auf! Der Rhythmus der Sirenen war eindeutig: Störung der Kollektoranlage!
Dennar Watts reagierte mit den guten Reflexen eines Solarwindtänzers, rannte zum nächsten Interkom und informierte sich über die Art der Störung.
Er erstarrte. Der Mikrowellenstrahl wurde gestaut. Das bedeutete Sabotage.
Watts rannte zum nächsten Verbindungskorridor, schnappte sich einen Elektrowagen und fuhr zur Schnittstelle, in der der Mikrowellenstrahl gebündelt wurde.
Ein heftiger Ruck sagte ihm, dass er einen Passagier dazubekommen hatte. Er sah hinter sich und erkannte seinen Flügelmann. Neben ihm hangelte sich gerade Kassia auf den bereits fahrenden Wagen.
Dennar sah die beiden an, nickte grimmig und beschleunigte.
Als sie die Beobachtungsgalerie erreicht hatten, von der aus die Techniker rein optisch die Anlage überwachen konnten, blendeten sämtliche Bildschirme den Befehl zur Evakuierung und einen Countdown ein.
Als Dennar vom Wagen sprang, eilte sofort Maren Strautmann, die Diensthabende Chefingenieurin, herbei. Sie deutete auf die Schnittstelle. Dort schwebte ein einsamer Raumanzug. „Er verstopft die Schnittstelle mit einer Folie aus Platin. Die Strahlung wird ihn in spätestens einer Minute umgebracht haben. Aber ich befürchte, bis dahin hat er sein Ziel erreicht.
Bereits jetzt steigt die Strahlung so stark an, dass ich keinen von meinen Leuten da hineinschicken kann.“
„Ich verstehe“, sagte Dennar. „Totalabschaltung der Kollektorfolie?“
„Dauert zehn Minuten. Die Überladung erfolgt aber in sieben. Keine Chance.“
„Was sagt Captain Myles?“
„Er hat die Evakuierung selbst ausgerufen. Wir müssen hier in spätestens einer Minute raus, oder wir kommen nicht mehr weit genug von der Station weg.“
„Meine Gruppe!“, rief Kassia erschüttert. „Hoffentlich folgen sie den Anweisungen der ARCHE-Besatzung. Sie dürfen sich ja frei bewegen und…“
Sie erstarrte und deutete auf den stumm agierenden Mann im halbtransparenten Raumanzug. „Oh mein Gott, warum habe ich das nicht sofort gesehen? Dies ist einer aus meiner Touristengruppe! Der Mann mit dem Hawaii-Hemd. Die Sterne auf dem Hemd, sie formen das Kreuz des Südens. Und das ist doch eines der Symbole der Kämpfer für den Solarwind.“ Kassia Poul fluchte unbeherrscht.
„Das erklärt einiges.“ Chefingenieurin Strautmann brummte missmutig. „Wenn das einer von diesen Spinnern ist, wird er sich im Tode auch noch quer vor den Strahl legen. Das wird das Ende der ARCHE um zwei bis drei Minuten beschleunigen. Das war es dann. Wir kommen hier nicht mehr weg.“
Dennar sah der Ingenieurin in die Augen. „Wir haben immer noch eine Chance.“ Er deutete auf den Sterbenden, der sich nun wirklich direkt in den Strahl schob.
„Freiheit…“, kam eine raue Stimme über die Kommverbindung, „für… den… Sonnen…“
Die Gestalt erstarrte. Der Mann mit dem Hawaii-Hemd war tot.
„Einer geht da rein, schiebt den Solaner aus dem Strahl und reißt die Folie ab“, sagte der alte Pilot bestimmt.
„Irrsinn. Mit jeder Sekunde wird das Operationsfenster für so einen Quatsch kleiner und kleiner. In zwei Minuten überlebt man da drin höchstens noch zehn Sekunden.“
Dennar wandte sich um und sah Sarem und Kassia an. Wieder seufzte er. "Ich gehe rein. Geben Sie mir einen Anzug, schnell. Je eher ich rein komme, desto mehr Zeit habe ich.“
„Das wird dein Tod sein, Dennar. Ich werde gehen“, rief Sarem. „Ich bin ein ebenso guter Pilot wie du.“
„Du sagst es, mein Junge. Und du hast dein Leben noch vor dir. Falls ich es schaffe.“
„Sir?“ Dennar wandte sich um und sah eine Faust auf sich zukommen. Der Schlag war hart genug, ihn zu Boden zu schicken, aber nicht hart genug, um ihn ohnmächtig werden zu lassen.
Einer der Techniker hatte sich einen Anzug geschnappt und begann hinein zu steigen.
Der Schläger rieb sich die schmerzende Rechte und nickte dem Techniker, der gerade den Anzug schloss, aufmunternd zu. „Sir. Sie sind Pilot. Und Sie sind der Beste in diesem Job. Aber das hier ist eine Aufgabe für einen Techniker. Überlassen Sie das uns, bitte. “
Ohne ein weiteres Wort half der Techniker seinem Kollegen in die Schleuse.
„Irrsinn!“, blaffte Strautmann wieder. „Ihm bleiben zwanzig, bestenfalls dreißig Sekunden!“
Wortlos ließ der Mann die Schleuse zufahren.

Atemlos beobachteten die Anwesenden, wie der Techniker ausschleuste. Mit Hilfe der Schubdüsen des Anzugs beschleunigte er hart und flog direkt auf die Schnittstelle zu.
Hart rammte er die Leiche des Solaners.
„Na toll“, murrte jemand, „jetzt geht es noch schneller.“
Doch der Techniker war noch nicht am Ende seiner Kraft. Er drückte und schob und befreite den Anzug mit dem Toten aus der Schnittstelle. Als dies geschehen war, zog er sich selbst heraus.
„Die Strahlung fällt wieder etwas. Wir haben nun wieder fünf Minuten Spiel, das reicht für eine Evakuierung!“ Strautmann sah zu ihrem leblos dahin schwebenden Techniker hinein. „Verdammt, Antani, verdammt.“
Dennar aber sah noch etwas anderes. Auch Sarem schien es zu sehen, denn er streckte die Hand aus und deutete auf die Schnittstelle.
Unendlich langsam schob sich der Techniker wieder auf die Schnittstelle zu. Die behandschuhte Rechte griff in den Partikelstrom hinein. Die Fingerkuppen berührten die Folie.
Wie in Zeitlupe begannen sich die Finger zu krümmen. Die Folie dellte ein, spannte an den Seiten… Und riss.
Lauter Jubel brandete auf, als die Strahlung noch weiter zurückging.
„Sieben Minuten!“, rief Strautmann aufgeregt. „Der Junge hat uns das volle Evakuierungsfenster zurückgegeben! Wäre sein Arm nicht in der Schnittstelle, könnten wir sogar die ARCHE retten!“
Als hätte sie damit ein Kommando gegeben, glitt der Helm des Technikers auf. Die Luft innerhalb des Anzuges schoss heraus und gab dem Anzug einen Bewegungsimpuls mit, fort von der Schnittstelle.
„Jetzt hat er wirklich alles gegeben“, hauchte Kassia ehrfürchtig. Ihre Hände berührten das Schutzglas. Sarem stand hinter ihr und hielt sie fest an sich gedrückt.
„Die Strahlung pendelt sich auf das Niveau ab, das wir mit den Anzügen kompensieren können. Die ARCHE wird nicht explodieren.“
Maren Strautmann ging zum Schrank mit den Anzügen und suchte sich einen heraus. „Ich gehe unseren Helden da raus holen.“
„Ja, das ist er wohl.“ Dennar starrte hinein in die Schnittstellenkammer. „Er hat uns allen das Leben gerettet. Ein wahrer Held…“

2 Kommentare:

Nathan hat gesagt…

„Von kosmischem Staub, Mikrometeoriten, Weltraumschrott, mit dem unsere Vorfahren der prästellaren Erde den Weltraum verschmutzt haben und von Trümmern vom Mond, die bei Einschlägen von Meteoriteneinschlägen in den Orbit geschleudert werden.“

2x einschläge ist zuviel.
mist da kommt man mal nach längerm wieder hier bei dir vorbei und du hast massig nachschub geliefert


Ach ja ich hab diese story schon früher gerne gelesen. Nur der schluß erfolg etwas zu hastig und zu salopp...

Ace Kaiser hat gesagt…

Okay, die zweiten Einschläge nehme ich raus. Danke für den Hinweis.
Ja, vielleicht habe ich ein klein wenig geschrieben zwischendurch, Nathan. ^^
Wie, der Schluss erfolgt zu hastig und zu salopp?