Jeder, der im Mai meinen Blog aufmerksam gelesen hat, weiß: Ich liebe
Sushi! Um ehrlich zu sein gibt es nur EINE Sache, die ich noch lieber esse als Sushi, und das sind Nudeln, speziell Spaghetti. Und das will schon was heißen.
Nun habe ich in der heutigen überregionalen Ausgabe der Leine Deister Zeitung einen Artikel über Sushi gelesen.
Sushi-Boom bedroht Meere heißt der Artikel, und als Quelle wird dpa angegeben. Im Artikel selbst geht es aber vor allem um den von Überfischung bedrohten
Blauflossenthunfisch, auch oder eigentlich Roter Thun genannt, und um den Dokumentarfilm
Sushi - The Global Catch von Mark Hall, dem auch
Zeit Online einen Artikel gewidmet hat.
Demnach ist Sushi ein Luxusprodukt, und für die Überfischung des Blauflossenthunfisch verantwortlich. Und während Zeit Online von der "milliardenschweren Sushi-Industrie" schwadroniert, zeigt sich die LDZ eher versöhnlich, indem sie darauf hinweist, Sushi-Fans "können auf den Gelbflossenthunfisch ausweichen".
...sacken lassen.
Worüber ich mich aufrege: Weder bei Zeit Online noch LDZ, geschweige denn dpa scheinen die Redakteure jemals in ihrem Leben Sushi gegessen zu haben. Sonst wüssten sie nämlich, dass es außer Thunfisch-Sushi und vegetarischem Sushi
auch noch ganz andere Sorten Sushi in der Welt gibt. Tatsächlich sind Thunfisch-Sashimi und Thunfisch-Nigiri auf vielen Karten weltweit vertreten, aber nicht die Essenz von Sushi.
Ich will an dieser Stelle einlenken. Wenn Blauflossenthunfisch überfischt wird, wenn der Bestand durch Überfischung womöglich vernichtet wird, wenn es bald nie wieder Blauflossenthunfisch geben wird, ist das ein Thema, über das man berichten muss, berichten kann und auch berichten darf. Auch einen Dokumentarfilm drehen. Die Tatsache, das auf der Tokioter Fischbörse schon mal
dreihunderttausend Euro oder mehr für ein Prachtexemplar bezahlt werden, zeigt ja wohl zwei Dinge an: Zumindest richtig hochwertiger Blauflossenthunfisch ist (bereits?) eher selten, aber der Bedarf ist da, und die Kunden der Sushi-Künstler sind bereit, für diesen Genuss Unsummen zu zahlen. Und gerade Sushi-Produzenten sollten mehr als alle anderen daran interessiert sein, dass es Blauflossenthunfisch auch noch in fangbarer Menge in hundert Jahren im Ozean gibt.
Aber dafür quasi das ganze Thema Sushi pauschal zu verurteilen, das ist ein starkes Stück.
Was ist mit meinen Shrimps-Maki und -Nigiri? Wie sieht es mit meinem Lachs aus? Was mit mit Herzmuschel-Nigiri? Die Lachsrogen-Maki? Oder diese leckeren Maki mit Fischsalat? Barsch-, Lachs-, und Tintenfisch-Sashimi? Und hier fange ich erst an. Klar ist Thunfisch ein Bestandteil der Sushi-Küche. Aber ich bezweifle doch sehr, dass ich je in meinem Leben Blauflossenthunfisch in Deutschland serviert bekommen habe. Hat trotzdem geschmeckt. Und ehrlich gesagt habe ich Thunfisch-Sashimi erst einmal, und Thunfisch-Nigiri zweimal in meinem Leben gegessen. Schmeckt, zugegeben, wobei mir Sashimi an sich nicht so sehr zusagt wie die Nigiri, weil ich die Reisnote sehr mag. Doch lieber esse ich Lachs und Shrimps. Gerne auch mal Tako, und wenn es halt sein muss, auch ein gutes
Nigiri mit Rührei-Stückchen, die Tamago-Nigiri.
Fazit: Um es auf den Punkt zu bringen, wusste ich schon, was mich erwartet, nachdem der Artikel
Sushi-Boom bedroht Meere sich bereits in den ersten Zeilen ausschließlich um Blauflossenthunfisch gedreht hat. Ein Eyecatcher als Schlagzeile, Anklage an populäres Yuppie-New Age-Food, und dann das Fazit: Sushi-Esser rotten den Blauflossenthunfisch aus.
Nicht mit mir, Leute. Und sicher nicht mit irgendjemandem, der gerne mal Sushi isst.
Diese Totalverurteilung von Sushi an sich ist ein totaler redaktioneller Fehlgriff. Eine Konzentration auf das Thema an sich, den Blauflossenthunfisch, wäre dem Thema auch in Hinsicht auf die Tokioter Fischbörse und den Bedarf der Sushi-Künstler besser gewesen, wie es der Dokumentarfilmer sicherlich auch gemeint hat, indem er seine Interviews von Verwertern und Kritikern unkommentiert lässt. So aber ist es nur ein nichtssagendes Pamphlet, unter dem eine Kochsparte zu leiden hat, die nur mittelbar "Schuld" ist.
Zwei Gedanken, die ich noch zum Thema habe, möchte ich loswerden.
Zum einen sind da die horrenden Auktionspreise, die Blauflossenthunfisch erzielt. Besonders der Artikel auf Welt Online ist zwiespältig verfasst. Wird nun jeder Thunfisch da so teuer versteigert? Oder zumindest die Hälfte, ein Drittel, oder wieviel?
Ich vergleiche das jetzt mal mit den
Koi-Karpfen, die in Japan sehr beliebt sind, und auch in der westlichen Welt ihre Fans haben. Nur eine Sorte Koi-Karpfen bringt wirklich einen Höchstpreis: das sind jene schneeweißen Karpfen mit dem roten Punkt im Nacken, die aussehen wie die japanische Nationalfahne. Dann kommt erst einmal lange Zeit nichts, und dann erst setzen die
Zuchtformen ein, bei denen große, prächtig gemusterte Fische auch ihren Preis erzielen, aber eben nicht die Spitzenpreise wie die mit der japanischen Fahne als Schuppenkleid.
Ebenso wird es mit den Blauflossenthunfisch sein. Ein frischer, gesunder und besonders großer sowie wohlgeformter Fisch schafft es hier in die oberste Preiskategorie - da ich Fotos von Sushi-Tafeln gesehen habe, wo der Kopf mitserviert wurde, gibt es hier wohl auch einige wichtige Kriterien, den Kopf betreffend. Alle anderen fallen unter ferner liefen, werden aber, bei entsprechendem Bedarf, auch ihren Preis erzielen - nur halt keine halbe Million Euro.
Der andere Gedanke ist, dass Sushi, wie ich mal gelesen habe, angeblich entstanden sei, weil "die frühen Japaner alles, was irgendwie essbar war, in Reis gelegt und mit Reisblättern umwickelt haben" sollen.
Tatsächlich ist die Geschichte des Sushi sehr alt, und nicht nur in Japan weitverbreitet. Kulturell gehört diese Speise zu ganz Südostasien.
Und wenn mal nicht gerade ein Dreihunderttausend Euro-Thunfisch auf dem Teller liegt, dann gilt Sushi durchaus nicht als Delikatesse, sondern als Alltagsessen. Spötter meinen sogar, Sushi sei eigentlich ein "Arme Leute-Essen".
Tja, es ist legitim und richtig, dem Hauptabnehmer für Roten Thun, der Sushi-Industrie, auf die Finger zu schauen und diesen Aspekt besonders zu beleuchten. Auch die verantwortlichen Geschäftsleute mit dem Problem zu konfrontieren.
Dafür aber eine ganze Kochrichtung abzuwatschen und so zu tun, Sushi würde grundsätzlich und ausschließlich mit Thunfisch zubereitet - ja, und selbstverständlich NUR mit Blauflossenthunfisch - ist nicht nur eine Frechheit, sondern ganz mieser Journalismus.
Also: Sushi bedroht keinesfalls die Meere, jedenfalls nicht mehr, als die übliche Überfischung durch westliche Fangflotten ohnehin verursacht. Und mir meine Tako-Nigiri und meine Kappa-Maki madig zu reden, weil die Autoren der Artikel nicht mal wissen, dass es diese Varianten gibt, ist sehr, sehr, sehr peinlich.
Aber bevor ich es vergesse: Rettet den Roten Thun. Ich für meinen Teil esse jetzt gar keinen Tuna mehr, oder, wenn es sich nicht vermeiden lässt, nur noch Gelbflossenthunfisch.
P.S.: Ein großer,
ausgewachsener Roter Thun bringt es auf drei Meter Länge und rund dreihundert Kilo Gewicht. Das sind eine ganze Menge Sashimi und Nigiri.